Schmerzindex

Neugeborene: Hohe Schmerzempfindlichkeit

  • Neueste Untersuchungen an Neugeborenen in der funktionellen Kernspinresonanztomografie deuten auf eine viermal so hohe Schmerzempfindlichkeit wie bei Erwachsenen hin.

  • Weniger als eine Woche alte Säuglinge zeigen in der funktionellen Kernspinresonanztomographie ähnliche Schmerzreaktionen wie Erwachsene. Ihre Schmerzschwelle war in der in eLife publizierten Studie sogar viermal niedriger.

    Die Forschung ging lange davon aus, dass Kinder in den ersten Lebensmonaten keine Schmerzen empfinden können, da ihr Gehirn dafür nicht weit genug ausgereift ist. Die beobachteten Reaktionen der Säuglinge auf Schmerzreize wurden als bedeutungslose „Reflexe“ interpretiert. Bis Ende der 1980er Jahre wurde bei chirurgischen Eingriffen an Säuglingen auf Schmerzmittel verzichtet.

    Auch heute halten viele Intensivmediziner bei schmerzhaften Eingriffen eine Analgesie für entbehrlich. Sie betonen, dass für das Wohlbefinden der Säuglinge Kuscheln und Fütterung wichtiger seien als schmerzlindernde Medikamente. Zuckerwasser galt und gilt vielfach als das beste Mittel gegen schreiende Säuglinge oder wenn eine erhöhte Herzfrequenz andeutet, dass ihnen bestimmte Maßnahmen nicht behagen.

    Da Schmerz nur schwer messbar ist und die Säuglinge nicht befragt werden können, ist es schwierig, ihre Schmerzen zu registrieren. Und die funktionelle Magnetresonanz­tomographie fMRT, die durch die Aktivierung bestimmter Zentren im Gehirn objektive Hinweise auf die Schmerzverarbeitung liefern kann, lässt sich schwer durchführen, da Kleinkinder in den engen Röhren in der Regel nicht ruhig liegen bleiben, was Voraussetzung für die Bildgebung ist.

    Im den ersten Lebenstagen schlafen Säuglinge allerdings noch den größten Teil des Tages. Das Team um die Pädiaterin Rebeccah Slater von der Universität Oxford konnte jetzt zehn Säuglinge im Alter von einem bis sechs Tagen untersuchen, nachdem sie von ihren Müttern in den Schlaf gewiegt worden waren. Während sie auf dem Unter­suchungs­tisch lagen, „piekten“ die Untersucher die Ferse der Kinder sanft mit einer Feder (Kraft bis zu 128 mN), wodurch im Gehirn der weiterhin schlafenden Kinder 18 von 20 Hirnareale aktiviert wurden, die auch bei Erwachsenen auf eine Kraft von bis zu 521 mN reagierten. Die Intensität der Hirnsignale war bei Säuglingen und Erwachsenen gleich stark, obwohl die Stimuli bei den Säuglingen viermal geringer war.

    Es gab zwar Unterschiede in den Aktivitätsmustern, die laut Slater vermuten lassen, dass die Säuglinge anders auf Schmerz reagieren. Richtig sei auch, dass einige Leitungsbahnen, die an der Schmerzwahrnehmung beteiligt sind, noch nicht angelegt seien. Dass die Säuglinge aber gar keine Schmerzen empfinden, könnte aufgrund der Ergebnisse nicht länger behauptet werden.

    (aerzteblatt.de, 22.4.2015)

    Rubrik: 1. Lebensjahr

    Erscheinungsdatum: 26.05.2015