Projekt »TeamBaby«

Verstehen wir uns?

Das Projekt »TeamBaby« soll die sichere Kommunikation in der Geburtshilfe erforschen und nachhaltig verbessern. Das Besondere: Es richtet sich sowohl an Fachkräfte als auch an werdende Eltern. Dabei kommen Schulungen, Umfragen und eine interaktive App zum Einsatz. Erste Ergebnisse aus den Unikliniken Frankfurt/Main und Ulm sind vielversprechend. Freya Häußler
  • Prof. Dr. Frank Reister leitet das Projekt an der Ulmer Frauenklinik.

Die Patient:innensicherheit ist ein zentrales Ziel gesundheitlicher Versorgung. In der Geburtshilfe stellt sie eine besondere Herausforderung dar, da die Gesundheit von zwei Menschen, Mutter und Neugeborenem, betroffen ist. Patient:innensicherheit wird mit der Abwesenheit sogenannter unerwünschter Ereignisse (UE) definiert. Dazu gehört es, Risiken und vermeidbare Schäden konsequent und nachhaltig zu senken sowie die Auswirkungen von Schäden zu mindern (Schrappe 2018; WHO 2021).

Unerwünschte Ereignisse können vermeidbar sein, wenn sie auf die Behandlung zurückgehen, also etwa auf einen nicht notwendigen Kaiserschnitt oder das Ausbleiben einer schnellen Behandlung bei Komplikationen (Schrappe 2018). In der Geburtshilfe sind 72 % der als vermeidbar eingestuften frühkindlichen Todesfälle und Ursachen für Behinderungen auf Fehler in der Kommunikation zurückzuführen (Pronovost et al. 2011).

 

Versorgungsforschung

 

An dieser Stelle setzt das Projekt »TeamBaby« an. Dieses bundesweite, unter anderem am Universitätsklinikum Ulm durchgeführte, wissenschaftliche Versorgungsforschungsprojekt stellt gute und effektive Kommunikation in der Geburtshilfe ins Zentrum. Das primäre Projektziel ist die Verbesserung des Kommunikationsverhaltens zwischen Fachkräften aller Professionen und werdenden Eltern in der Geburtshilfe. Zudem sollen vermeidbar-unerwünschte Ereignisse (VUEs) reduziert und die Zufriedenheit der Fachkräfte sowie der (werdenden) Eltern erhöht werden (Lippke et al. 2019).

Die Maßnahmen des Projekts sollen sichere zwischenmenschliche Kommunikationskompetenzen bei allen Beteiligten in der klinischen geburtshilflichen Versorgung in drei aufeinander aufbauenden Phasen verbessern. Dabei wird untersucht, wie sich Präsenz-, Online- und über eine digitale App durchgeführte Kommunikationstrainings auf das effektive Kommunikationsverhalten auswirken. Des Weiteren werden die Auswirkungen auf die Zufriedenheit von Patient:innen und Gesundheitsdienstleister:innen sowie die Reduktion von VUEs analysiert (Lippke et al. 2019).

 

Kooperations­partner:innen und Förderung

 

An dem Forschungsprojekt beteiligen sich neben dem Universitätsklinikum Ulm viele Einrichtungen in ganz Deutschland. Die überörtliche Leiterin (Konsortialführung) ist die Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Sonia Lippke von der Abteilung für Psychologie der Jacobs University Bremen. Beteiligt sind außerdem die Klinik für Geburtshilfe der Universitätsklinik Frankfurt am Main, das Aktionsbündnis für Patient:innensicherheit sowie die Techniker Krankenkasse. Das Forschungsprojekt wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) bis zum Jahr 2022 mit 1,9 Millionen Euro gefördert.

Alle Informationen rund um das Projekt sowie Anmeldemöglichkeiten für die aktuelle Projek­tphase finden sich unter > www.uniklinik-ulm.de/teambaby.

 

Susanne Lehr, Leitende Hebamme im Universitätsklinikum Ulm, ist bei der Zusammenarbeit im geburtshilflichen Team eine gute, sachliche und klare Kommunikation sowie interdisziplinäres Vertrauen sehr wichtig: »Das gilt für das Team, aber auch für die werdenden Eltern. Durch Kommunikation wird schon in der Schwangerschaft ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Dieses Vertrauen gibt Sicherheit und reduziert Ängste während der Geburt.«

Um die Wichtigkeit von Kommunikation weiß auch Prof. Dr. Frank Reister, Leiter der Geburtshilfe am Universitätsklinikum Ulm, der das Projekt an der Ulmer Frauenklinik leitet: »Kommunikation ist ein Klassiker-Thema in der Medizin. Kommunikation ist wichtig und wird auch regelmäßig von unserem Fachpersonal trainiert. Im Rahmen des ›TeamBaby‹-Projekts haben wir das Ganze nun einen Schritt weitergetragen. Wir haben die Forscher:innengruppe vervollständigt und Gebärende sowie werdende Väter mit dazu genommen. Denn wir haben erkannt, dass es gerade in der Geburtshilfe – nicht nur, aber gerade da – besonders wichtig ist, dass die Wünsche, Sorgen, Beunruhigungen, vielleicht auch Ängste der werdenden Eltern verstanden werden, um diese besser adressieren zu können.«

 

Phase 1: Mitarbeitende schulen

 

In der ersten Phase des Projekts von Januar bis Juli 2020 wurden die Mitarbeiter:innen in den Universitätskliniken Frankfurt und Ulm in einem vierstündigen Präsenztraining in guter und sicherer Kommunikation geschult. Insgesamt haben 141 Mitarbeiter:innen aus beiden Kliniken teilgenommen.

Das Schulungskonzept wurde von erfahrenen Kommunikationstrainer:innen aus der Geburtshilfe in enger Zusammenarbeit mit dem Projektteam entwickelt, zu dem Gesundheitspsycholog:innen, Gesundheitswissenschaftler:innen, Soziolog:innen sowie geburtshilfliche Fachkräfte gehören. Die Trainings bestanden aus kurzen Input-Einheiten und praktischen Aufgabenstellungen.

Katharina Münz, Hebamme aus dem Kreißsaalteam Ulm, profitierte beispielsweise von der vermittelten »Close-the-Loop-Kommunikationsstrategie«. Dabei sollen durch direkte Ansprachen, Rückfragen und Bestätigungen Missverständnisse vermieden werden. Sie empfindet eine Sicherheitskultur als sehr wichtig, in der sich jeder traut, Bedenken zu äußern. »Sogenanntes Speaking-Up muss unabhängig der beruflichen Hierarchiestufe, so auch als Hebamme gegenüber einem Oberarzt möglich sein«, sagt Katharina Münz. Eine Befragung von Klinikmitarbeiter:innen ergab, dass dabei die Persönlichkeit, Erfahrung, persönliche Beziehungen und Vertrauen innerhalb des Teams eine Rolle spielen. Auch das Gefühl, von Vorgesetzten gehört zu werden, um dadurch den Mut zu finden, auch ranghöhere Personen auf mögliches Fehlverhalten anzusprechen oder eigene Unsicherheiten zuzugeben, ist von zentraler Bedeutung (Schmiedhofer et al. 2020).

»Durch die Schulungen wurden die Mitarbeiter:innen sicher nochmals für Speaking-Up sensibilisiert,« sagt Susanne Lehr. »Wichtig ist es, die Speaking-Up-Thematik regelmäßig zu wiederholen. Ideal sind hierfür auch die regelmäßigen Notfallschulungen und das Simulationstraining.«

 

Kostenlose App für Nutzer:innen in Deutschland: www.jacobs-university.de/teambaby/app. Ansprechpartner:innen finden sich auf der Webseite.

 

Kostenlose App für Nutzer:innen in Deutschland: www.jacobs-university.de/teambaby/app. Ansprechpartner:innen finden sich auf der Webseite.

 

 

Phase 2: werdende Eltern besser vorbereiten

 

Bei 20 Terminen von Juni 2020 bis August 2021 hatten neben den Mitarbeiter:innen erstmals auch werdende Eltern an den Universitätskliniken die Möglichkeit, ihre Kommunikationskompetenzen in einer Online-Schulung zu verbessern. Um die Wirksamkeit zu untersuchen, wurden alle interessierten Teilnehmer:innen im Vorfeld entweder der Schulungs- oder einer Kontrollgruppe zugelost. Unabhängig von ihrer Gruppe haben die Teilnehmer:innen vor und nach der Geburt kurze Fragebögen ausgefüllt, die im weiteren Projektverlauf ausgewertet wurden.

Insgesamt haben bisher 202 Mütter und 57 Begleitpersonen die Schulungen besucht. Die Teilnehmer:innen unterschieden sich in ihren Geburtsmodi, ihrem Alter sowie der Anzahl der bisherigen Schwangerschaften. Die werdenden Eltern schätzten die Relevanz von Kommunikation aufgrund der Covid-19-Pandemie noch einmal als gestiegen ein. Sie nahmen das Projekt als Chance und gute Möglichkeit war, um sich auf die Geburt vorzubereiten, auch als Paar. Väter meldeten zurück, dass sie die Möglichkeit sehr gut fanden, sich aktiv in den Online-Schulungen einzubringen. Aufgrund der Einschränkungen durch die Pandemie konnten sie beispielsweise oft nicht an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen.

Das erste Feedback von geschulten Müttern ist vielversprechend. Mona Wildbihler, die im März als Schwangere an einer Online-Schulung teilgenommen hatte, meldete in einem Interview zurück: »Ich fand es super, dass eine Schulung angeboten wurde, die einem die Möglichkeit gibt, sich auf die Geburt vorzubereiten. Mir hat es wahnsinnig viel geholfen und ich habe mich mental besser vorbereitet gefühlt.« Sie habe vor allem von den vielen praktischen Übungen profitiert: »Ich fand es toll, dass man sich in die Situation hineinversetzen konnte und im Vorfeld kleine Rollenspiele geübt hat«. Darüber hinaus sei bei ihrer Geburt »die Kommunikation mit den Hebammen und Ärzten sehr gut verlaufen. Da hat mit Sicherheit auch die Schulung dazu beigetragen«. Sie würde die Teilnahme anderen werdenden Eltern empfehlen und auch bei einem zweiten Kind nochmals eine besuchen, um die Inhalte wieder aufzufrischen.

Viele Schwangere machen sich vor der Geburt kaum Gedanken über ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Die Bedeutung, die eigenen Interessen zu kennen und während der Geburt auszudrücken, wurde im Training mit der fachlichen Unterstützung sowie im Austausch mit anderen werdenden Eltern angeboten. Wenn die werdenden Eltern sich ihrer Wünsche und Bedürfnisse bewusst sind und diese auch klar kommunizieren, erleichtere das die Betreuung, so Münz. Auch ihr als Hebamme gebe es Sicherheit, wenn die werdenden Eltern bei Unsicherheiten nachfragten, zum Beispiel zu einer Untersuchung.

Die Ängste und Bedürfnisse von werdenden Eltern und Mitarbeiter:innen der Geburtshilfe sind größtenteils deckungsgleich. Es gibt aber auch individuelle Wünsche, die offen mitgeteilt werden müssen. »Eine Anpassung der Aufklärung an die Bedürfnisse der werdenden Eltern ist in solchen Situationen sehr wichtig«, bestätigt auch Lehr. »Unsere Aufgabe ist es, herauszufinden, was die Gebärenden und ihre Begleitung an Aufklärung benötigen, um eine Entscheidung treffen zu können. Die ›TeamBaby‹-Seminare für werdende Eltern unterstützen hier bestimmt sehr.«

Gerade Erstgebärende profitierten von den Schulungen. Für sie ist die Geburt eine Ausnahmesituation und noch nicht klar vorstellbar. Bei vielen löst das Unsicherheit aus und sie haben oft Angst, nachzufragen. Aber auch der Austausch mit Schwangeren, die bereits Geburtserfahrung aufwiesen, bereicherte die Schulungen. Die Mütter berichteten beispielsweise von negativen Erfahrungen bei vorherigen Geburten und erhielten Tipps, wie sie zukünftig anders handeln könnten.

 

Phase 3: Interaktives Training per App

 

Aus den Erkenntnissen der ersten beiden Projektphasen wurde partizipatorisch und theoriegeleitet eine digitale Web-App entwickelt, mit der die Kommunikation zur Vorbereitung auf die Geburt, aber auch von Seiten der Mitarbeiter:innen trainiert werden kann. Verschiedene Versionen dieser App werden in Phase 3 ab September 2021 den Fachkräften und den werdenden Eltern an den Kliniken zur Verfügung gestellt, um die Wirksamkeit dieser digitalen Kommunikationsschulung genau zu testen. Durch verschiedene interaktive Übungseinheiten können sie ihre Kommunikationskompetenzen trainieren, erweitern und verbessern. Die App bietet den Vorteil, dass sie unabhängig von festen Schulungsterminen, Zeit und Ort genutzt werden kann.

Seit Januar 2021 haben bereits Mitarbeiter:innen in der Geburtshilfe sowie werdende Eltern deutschlandweit außerhalb der teilnehmenden Universitätskliniken die Möglichkeit, ihre Kommunikationskompetenzen in der kostenlosen Web-App zu verbessern. Erste Rückmeldungen waren positiv, da die einzelnen Übungen ein kurzweiliges und interaktives Training anbieten. Für Mitarbeitende der Geburtshilfe wurde die App als zertifiziertes Fortbildungstool anerkannt.

 

Ausblick

 

Es wird erwartet, dass die geschulten Teilnehmer:innen eine höhere Kommunikationskompetenz entwickeln und mit der Geburt beziehungsweise ihrer Arbeit zufriedener sind. Bei der Anzahl und dem Schweregrad der Fehler und Missverständnisse sollte sich im Vergleich der Gruppen ebenfalls eine deutliche Reduktion ergeben (Lippke et al. 2019). Im weiteren Projektverlauf werden die Daten an den Kliniken sowie Ergebnisse der Fragebögen und parallel durchgeführte Interviews analysiert, um die Wirksamkeit der verschiedenen Interventionen zu untersuchen.

Frank Reister ist sich sicher: »Die Maßnahmen im Rahmen des ›TeamBaby‹-Projekts werden Betreuende in der Geburtshilfe sicherer und auch Gebärende sowie werdende Eltern zuversichtlicher machen und dazu beitragen, dass sich alle Beteiligten gut verstehen und eine sichere und schöne Geburt erleben.«

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 09/2021

Literatur

Lippke S, Wienert J, Keller FM, Derksen C, Welp A, Kötting L, Hofreuter-Gätgens K, Müller H, Louwen F, Weigand M, Ernst K, Kraft K, Reister F, Polasik A, Huener nee Seemann B, Jennewein l, Scholz C, Hannawa A: Communication and patient safety in gynecology and obstetrics – study protocol of an intervention study. BMC Health Serv Res 2019. 19(1), 908. doi:10.1186/s12913–019–4579-y

Pronovost PJ, Holzmueller CG, Ennen CS, Fox HE: Overview of progress in patient safety. Am J Obstet Gynecol. 2011. 204(1):5–10. doi:10.1016/j.ajog.2010.11.001

Schmiedhofer M, Derksen C, Keller FM, Dietl JE, Häussler F, Strametz R, Koester-Steinebach I, Lippke S: Barriers and Facilitators of Safe Communication in Obstetrics: Results from Qualitative Interviews with Physicians. Midwives and Nurses. Int. J. Environ. Res. Public Health 2021. 18, 915. https://doi.org/10.3390/ijerph18030915
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