Kolumne

Kurz mal innehalten

 

 

Muße muss nicht immer Nichtstun bedeuten. Sie lässt sich auch im Arbeitsalltag verwirklichen, so Prof Dr. Anja Göritz, Psychologin und Abteilungsleiterin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Ihre Studie »Muße im Krankenhaus? Eine achtsamkeitsbasierte Intervention bei AssistenzärztInnen« untersuchte, ob Informationen und Übungen zur Achtsamkeit auch im eng getakteten Alltag und unter Zeitdruck funktionieren können. Dafür waren die Übungen teils so konzipiert, dass sie während des Dienstes immer wieder kurz zum Innehalten einluden, wie etwa: zwei Sekunden innehalten vor dem Abnehmen des Telefons oder dem Öffnen der Tür zum Krankenzimmer. So fand die Forscherin heraus, dass Informationen zu und das Üben von Achtsamkeit zusammen besser wirken, als wenn nur theoretisches Wissen darüber vermittelt wird. Wir Hebammen kennen das aus der Geburtsvorbereitung: Bloßes Erzählen genügt nicht. Die Schwangeren müssen Atem- und Entspannungsübungen ausprobieren und wiederholen, um sie später anwenden zu können. Doch zeigte die Studie auch, dass die erlernten Achtsamkeitsübungen das Stresshormon Cortisol bei den Proband:innen nicht messbar gesenkt hatten. Ebenso wissen wir, dass Geburtsvorbereitung das Outcome von Geburten nicht messbar beeinflusst. Sind die Übungen also sinnlos? Nicht ganz. Denn das dritte Ergebnis der Freiburger Studie ergab – bei gleicher Arbeitsbelastung – nicht nur eine höhere Zufriedenheit der Übungsgruppe. Sogar Chef:innen, Kolleg:innen und Patient:innen bescheinigten den Achtsamkeits-Geübten, dass sie empathischer und präsenter waren – wichtige Eigenschaften für die Arbeit am Menschen. Es zeigte sich, dass hin und wieder Muße zu haben die Batterien auflädt. Göritz betonte aber auch, dass primär das Gesundheitssystem dafür verantwortlich sei, für gesunde Arbeitsbedingungen zu sorgen. Sicher wäre da auch die gezielte Einrichtung kleiner Mußemomente hilfreich. Eine Kollegin, die in ihrer Klinik unter großem Stress arbeitet, hat dieses Innehalten selbst für sich entdeckt. Sie erzählte mal, sie würde sich immer vor dem Eintritt in einen Geburtsraum bewusst machen, dass sie jetzt eine ganz besondere Situation betritt. Und dass sie sich immer wieder, egal wie hektisch der Dienst sei, wenigstens ein paar Minuten auf einen Hocker neben die Gebärende setze. Das seien die besten Momente ihrer Arbeit. Und wir wissen auch von den Gebärenden, dass sie solche Momente der ruhigen Zugewandtheit durch die Hebamme wirklich brauchen und zu schätzen wissen.

 

Rubrik: Immer in der DHZ | DHZ 09/2021

Ich bin Abo-Plus-Leserin und lese das ePaper kostenfrei.

Ich bin Abonnentin der DHZ und erhalte die ePaper-Ausgabe zu einem vergünstigten Preis.

Upgrade Abo+

Jetzt das Print-Abo in ein Abo+ umwandeln und alle Vorteile der ePaper-Ausgabe und des Online-Archivs nutzen.