Quengeln, Weinen, exzessives Schreien

Keine Eskalation im Wochenbett!

Schrei- und Schlafprobleme sind zeitlos brisante Themen in der Elternberatung, denn sie betreffen jedes fünfte Kind. Die frühkindliche Regulation, insbesondere die Schnittstelle zwischen exzessivem Schreien und Schlafproblemen kann junge Eltern im Wochenbett schnell überfordern. Neben dem fachlichen Hintergrundwissen veranschaulicht ein Fallbeispiel die Situation der betroffenen Familien, wie Hebammen präventiv wirken und was sie den Eltern raten können. Dr. med. Daniela Dotzauer
  • » Die Eltern müssen erst einmal herausfinden, was ihr Baby erlebt, bevor sein Verhalten altersgemäß eingeordnet werden kann. «

Aus dem geschützten Mutterleib kommt das Neugeborene in eine völlig fremde, neue Welt. Optimalerweise erlebt die Familie ein positives Bonding, beginnt verbunden und gestärkt die Zeit des Wochenbettes und lernt sich Schritt für Schritt kennen.

Neben diesen psychischen und seelischen Aspekten stehen in den ersten Wochen körperliche und physiologische Anpassungsprozesse an. Das Baby erlebt ganz Neues wie Nahrung und Verdauung, Tag und Nacht, Schlafen und Wachen, Aufregung und Beruhigung, Wärme und Kälte oder die ungewohnte Schwerkraft. Das sind grundlegende Erfahrungen für das Neugeborene. Mithilfe seiner Eltern kann es sich an diese neuen Lebensbedingungen anpassen und durch wiederkehrende Erfahrungen schließlich Zusammenhänge verinnerlichen.

Die elterliche Unterstützung ist dabei wesentlich und Ansatzpunkt für die Beratung. Denn wenn Eltern wissen, was sie tun, sind sie sicherer, ruhiger und geduldiger. Und diese Haltung kommt dem kleinen Erdenbürger zugute, denn durch seine Unreife hat er eine »lange Leitung«. Babys brauchen Zeit, Geduld und viele Wiederholungen.

Jedes fünfte Kind bringt mit seinem Temperament, seiner Genetik und der physiologischen Unreife eine besondere Konstellation mit, die im ungünstigen Fall von den Eltern nicht so leicht kompensiert werden kann (Lehtonen 1994; Papoušek 2010). Diesen Babys fällt es schwer, sich auf der Welt zurechtzufinden (siehe Fallbeispiel: Anna).

 

Fallbeispiel: Anna

 

Die kleine Anna ist sechs Wochen alt und braucht extrem viel Unterstützung. Sie will ständig gehalten, getragen und bewegt werden. Kann nicht entspannen in ihrem eigenen Körper, der ständig zappelt, erschrickt, die Arme hochreißt und schreit. Die ständige Erregung und Aufregung lassen an Entspannung, Ruhe und Schlaf gar nicht denken.

Es kommt zu einer permanenten Überreiztheit, Anna schreit stundenlang und ist von ihren Eltern nur extrem schwer oder gar nicht zu erreichen. Sie scheint dauernd »unter Strom« zu stehen, ist schwer zu lesen, sensibel und reizoffen, gleichzeitig lärmempfindlich. Sie braucht extrem viel und vor allem frühzeitige Unterstützung, um zur Ruhe zu kommen. Sie schläft wenig, ist ihren Befindlichkeiten ausgeliefert und häufig zu müde, um richtig zu trinken, und zu hungrig, um lange und tief zu schlafen.

Ihre Eltern verzweifeln, sind unsicher und suchen Hilfe. »Wir wissen uns nicht mehr zu helfen. Anna ist ständig wach, sie schläft nur ganz kurz auf dem Arm oder an der Brust, aber das Ablegen ist unmöglich. Sie schaut mit ganz großen Augen, zappelt ständig und schreit teilweise über Stunden, insbesondere in den Abendstunden«, erzählt Annas Mutter. »Diese Tage mit dem schreienden und unzufriedenen Baby machen mich unglücklich. Wir Eltern sind bereits nach den ersten Wochen beide am Rande unserer Kräfte und ehrlicherweise haben wir uns die erste Zeit mit Baby ganz anders vorgestellt.«

Fortsetzung folgt …

 

 

Frühkindliche Regulationsstörungen

 

Alle gesunden Babys teilen sich mit, sie »lautieren«, quengeln, weinen und schreien. Das gehört zum angeborenen natürlichen Ausdrucksverhalten eines Säuglings und beschreibt seine Befindlichkeit. Das physiologische Schreien ist ein Signal, ein biologisch sinnvoller Appell an die Umwelt. Es ist anfangs noch ungerichtet und Ausdruck der kindlichen Erregung und Bedürfnisse: Hunger? Müdigkeit? Schmerzen? Kälte? Das Gefühl des Alleinseins? Allgemeines Unwohlsein?

Dem starken Aufforderungscharakter eines schreienden Babys kann man sich kaum entziehen. Das ist von der Natur so vorgesehen, quasi als kindlicher Schutz gegen Vernachlässigung. Als Alarmsignal versetzt es gesunde Eltern in sofortige Reaktionsbereitschaft, sie zeigen eine messbare Stressreaktion. Es löst ein beruhigendes, intuitives Fürsorgeverhalten aus. »Damit gehören Schreien und Trösten zu den biologisch angelegten Grunderfahrungen der frühen Eltern-Kind-Kommunikation« (Papoušek 2009).

Das Symptom »Schreien« ruft die Eltern auf den Plan und in der Regel gelingt es ihnen, dank ihrer intuitiven Fähigkeiten ihr Baby wieder zu beruhigen. Eltern mit guten Ressourcen und Entlastungsmöglichkeiten werden durch das unstillbare Schreien auch verunsichert, können aber das Schlafdefizit kompensieren und die Überreiztheit ihres Kindes aushalten.

Bei mehrfach belasteten Eltern mit geringen Ressourcen hingegen kann das Schreiproblem schon früh in eine Regulationsstörung mit exzessivem und persistierendem Schreien umschlagen (Papoušek et al. 2010).

Aufregung und Schreien können eskalieren – auf beiden Seiten. »Das Kind gerät außer sich vor Erregung. Und mit ihm die alarmierten Eltern, die in ihren vergeblichen Beruhigungsversuchen immer heftiger reagieren und das Baby in einem Teufelskreis wechselseitig eskalierender Erregung im schlimmsten Fall anschreien oder sogar schütteln, um es irgendwie zu erreichen« (Papoušek 2009). Jedes fünfte exzessiv schreiende Kind lässt sich mit normalen Beruhigungsstrategien nicht erreichen. Je länger sein Erregungszustand anhält, desto mehr entgleist das Kind.

Wenn die gemeinsame Bewältigung der Entwicklungsaufgaben wie Beruhigen oder Einschlafen, also das Zusammenspiel von elterlicher Unterstützung und kindlicher Selbstregulation dauerhaft nicht gelingt, kann das zu Regulationsstörungen führen, mit ihren phasentypischen Symptomen.

 

Altersspezifische Störungsbilder

 

Zu Beginn des Lebens äußert sich die frühkindliche Regulationsstörung durch exzessive Schreiattacken, die regelmäßig mit Schlafschwierigkeiten einhergehen. Auch wenn das exzessive Schreien aufgrund des ersten biosozialen Reifungsschubs nach dem dritten Lebensmonat häufig aufhört, bleiben die Schlafschwierigkeiten oft bestehen. Sie können sich zu hartnäckigen Schlafstörungen entwickeln, die unter Umständen lange fortbestehen.

Zu den frühkindlichen Regulationsstörungen gehören alterstypisch folgende Störungsbilder:

  • exzessives Schreien
  • Schlafstörungen
  • Fütterstörungen
  • Verhaltensauffälligkeiten beim größeren Kind: Dysphorie mit Spielunlust, Gefühl von körperlichem oder sozialem Unwohlsein, exzessives Klammern, soziale Ängstlichkeit, anhaltende Trennungsängste, exzessives Trotzen, provokativ-oppositionelles und aggressives Verhalten.

Neu an dieser Diagnose ist, dass nicht eine Person Träger dieser Störung ist, sondern dass darunter das Zusammenspiel der drei beteiligten Faktoren verstanden wird: Kind, Eltern und die Eltern-Kind-Interaktion (siehe Abbildung 1). »Es wurde damit ein neuartiger Patient geschaffen: Die Eltern-Kind-Beziehung.« (Papoušek et al. 2010)

 

Eltern-Kind-Beratung

 

In der Eltern-Kind-Beratung geht es genau darum, nämlich die Eltern-Kind-Beziehung und -Interaktion in den Fokus zu rücken (siehe auch Seite 28ff.). Es muss niemand repariert werden, sondern es kommt auf das gegenseitige Verstehen zwischen Eltern und Kind an. Die Eltern müssen sich auf das unreife Gegenüber einlassen und die richtigen Hilfestellungen finden. Dafür ist es wichtig, den Eltern zum einen die Babywelt zu erklären, insbesondere die Unreife und die Eigenheiten des entsprechenden Alters. Zum anderen sollte die Hebamme ihnen sinnvolle angemessene Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen.

 

Unreife Schlaf-Wach-Organisation

 

Der Zusammenhang des exzessiven Schreiens mit gestörtem Schlafverhalten ist durch Studien belegt (Ziegler & Wollwerth de Chuisengo 2010) sowie durch zahlreiche klinische Beobachtungen (Thiel-Bonney & Cierpka 2015).

Das Ausmaß kindlicher Schrei- und Unruhephasen hängt mit dem Ausmaß des relativen Schlafdefizits zusammen. Bei exzessiv schreienden Säuglingen wurden kürzere Gesamtschlafzeiten, kürzere Tagschlafphasen, häufigeres Erwachen, längere Tageswachzeiten sowie verlängerte Einschlafzeiten gefunden.

Diese durch Unreife beeinträchtigte Schlaf-Wach-Regulation ist ein wichtiger Ansatzpunkt in der Beratung.

Zur Klärung und Objektivierung der Schlafsituation ist das Führen eines Schlafprotokolls für einige Tage zu empfehlen. So können der Gesamtschlaf, der Tages- und Nachtschlaf, die Schreiphasen sowie die Mahlzeiten erfasst, dargestellt und eingeordnet werden. Das ist gar nicht so leicht, denn bei den vorherrschenden Mischzuständen ist häufig nicht klar, wann das Baby noch trinkt oder wann es schon schläft. Aber genau darum geht es. Die Eltern müssen erst einmal herausfinden, was ihr Baby erlebt, bevor sein Verhalten altersgemäß eingeordnet und verändert werden kann.

Natürlich müssen organische Ursachen für die Schreisymptomatik kinderärztlich ausgeschlossen werden (siehe Seite 32ff.). Ebenso sollten mögliche cervico-vertebrale Blockaden durch Vorstellung des Kindes in einer manualtherapeutischen oder osteopathischen Praxis korrigiert werden.

Auch dem Thema Hunger ist manchmal gar nicht so leicht auf die Spur zu kommen. Zumal man die junge Mutter nicht durch häufiges Wiegen verunsichern will. Dennoch ist es erforderlich, neben einer ausführlichen Stillberatung auch auf eine ausreichende Gewichtszunahme zu achten. Denn ein hungriges Kind kann sich noch weniger regulieren und alle Bemühungen rund um den Babyschlaf laufen ins Leere (siehe Seite 38ff.).

 

Was ist anders beim Babyschlaf?

 

Der Schlaf eines Neugeborenen ist anders, als Erwachsene es kennen:

  1. Müdigkeit führt zu Erregung.
  2. Tag und Nacht müssen erst erfahren werden.
  3. Tagsüber gibt es viele Leichtschlafphasen.
  4. Durch Müdigkeit wird kein Schlafdruck erzeugt.

Müdigkeit führt zu Erregung

Das Neugeborene weiß noch nicht, wie sich der Zustand »müde« anfühlt und dass Schlafen die Lösung wäre. Es passiert einfach. Aber eben nicht immer.

Ein Beispiel: Ein sattes Baby fühlt sich diffus unwohl, weil es müde ist, und adressiert sich an seine Eltern, indem es schreit. Damit rückt aber gleichzeitig die Lösung in die Ferne: schlafen. Denn ein schreiendes, erregtes Kind muss erst erfolgreich beruhigt werden, bevor es einschlafen kann. Gelingt jetzt die elterliche Beruhigung nicht, wird das Schreien stärker, die Erregung nimmt zu und Einschlafen wird noch schwieriger.

Daraus kann man schon den wichtigsten Rat für die Eltern ableiten: der Erregung zuvorkommen. Damit das gelingt, braucht es eine Aufklärung über altersgemäße Wachzeiten (siehe Abbildung 2 und Kasten: Fallbeispiel Fortsetzung).

Abbildung 2: Schlafprotokoll mit altersgemäßer Anpassung an Tag
und Nacht.

 

Fortsetzung

 

Fallbeispiel Anna

 

Die Eltern der kleinen Anna sind völlig überrascht von den altersgemäßen Wachzeiten eines sechs Wochen alten Babys (siehe Abbildung 2). Sie berichten von mehrstündigen Wachzeiten. Bei genauerem Betrachten ihres Schlafprotokolls wird schnell klar, dass Anna immer wieder viele Stunden wach ist und tatsächlich meistens nach einer Wachstunde schon wieder unruhig und zappelig wird. Nur haben die Eltern dieses Zappeln und Armerudern anders interpretiert.

Der Vater erklärt, dass er Anna in diesen Unruhezuständen mit Späßen und Spielen gut ablenken könne. Allerdings nicht besonders lange. Anna wird dann im Zweifel nochmal die Brust angeboten, aber das Stillen befriedigt sie nicht. (Anna ist jetzt ja auch nicht hungrig, sondern müde.) Die Zeit vergeht schneller als die Eltern wahrnehmen, Anna ist inzwischen zwei Stunden wach und in einem deutlich aufgeregteren Zustand als vor einer Stunde. Die Eltern unternehmen dann immer heftigere Beruhigungsversuche und am Schluss landet die schreiende Anna häufig in der elektrischen Federwiege, die mit heftigem Impuls gegen das Schreien ankämpft.

Der Nebeneffekt dabei ist, dass sich Anna häufig in den Schlaf schreit, sich an den heftigen Reiz der Federwiege gewöhnt und das als ihre Einschlafwelt kennenlernt. Das genaue Gegenteil von dem, was wünschenswert wäre – Anna sollte nämlich erfahren: »Einschlafen geht ganz leicht.«

Babys fragen mit ihrem Weinen – und Eltern antworten mit ihrem Verhalten (nach Benz & Scholtes 2015): Wenn ein sattes Baby in den ersten zwei Lebensmonaten bereits eine ganze Weile wach war, nach einer Dreiviertelstunde ermüdet und seine Eltern »fragt«: »Warum fühle ich mich so komisch?«, der Vater dann mit Spielanreizen die Antwort gibt: »Ist doch klar, dir ist langweilig«, dann wird das Kind sich zunächst gerne ablenken lassen. Aber die Zeit geht ins Land und das diffuse Unwohlsein wird dadurch nicht besser, weil es Müdigkeit ist. Eine Stillmahlzeit ist nur dann die Lösung, wenn das Kind dabei einschläft. Wenn nicht, resultiert ein Erregungszustand, in dem das Kind schwer zu erreichen ist und die eigentliche Lösung rückt weiter weg: schlafen.

Dieses Kind kann keinen Zusammenhang herstellen mit dem ursprünglichen Gefühl »müde«, denn es wurde als Antwort bespaßt, gefüttert, bewegt, aber die Lösung »schlafen« wurde nicht erreicht.

Wenn die Eltern dies verstehen und am nächsten Tag statt Bespaßung frühzeitig schlafhinführende Maßnahmen einleiten, gelingt das Einschlafen leichter. Vor allem kann das Kind nun einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Gefühl der Müdigkeit und der Lösung, zu schlafen. Diese Verknüpfung ist enorm wichtig für die zu erlernende Eigenregulation.

Tag und Nacht müssen erst erfahren werden

Ein Neugeborenes muss sich erst an den Rhythmus von Tag und Nacht anpassen. Wichtig dafür sind das Tageslicht, Sozialkontakte, regelmäßige Nahrungsaufnahme und Geräusche. Im Laufe der ersten acht Wochen etabliert sich der Tag-Nacht-Rhythmus. Optimalerweise unterstützen die Eltern ihre Kinder bei dieser Lernaufgabe, so dass diese verstehen, wie Tag und wie Nacht funktionieren. Am Tage ist es hell und es gibt viele Geräusche. Das Baby schläft häufiger, es bekommt regelmäßig Nahrung, elterliche Zuwendung und viele Zwiegespräche. In der Nacht ist es dunkel, leise und langweilig. Das Baby wird nur bei wirklichem Bedarf gestillt, möglichst nicht gewickelt, es gibt kein Licht (insbesondere kein blaues Bildschirmlicht), kein Umhertragen und wenig Ansprache.

Tagsüber gibt es viele Leichtschlafphasen

Die Schlafentwicklung hängt direkt mit der Hirnreifung zusammen. Schlaf erscheint als körperlicher Ruhezustand, es ist allerdings eine komplexe Leistung des noch unreifen Gehirns. Während das Kind schläft, erfolgen wichtige neuronale Prozesse wie überbordende Synapsenbildung oder Gedächtniskonsolidierung. Man kann aktiven REM-Schlaf (Rapid Eye Movement), also Leichtschlaf, und ruhigen Non-REM-Schlaf, also Tiefschlaf und Zwischenzustände, unterscheiden. In den ersten Monaten ist tagsüber der Anteil an REM-Leichtschlaf hoch. Das erklärt den oberflächlichen, störanfälligen Schlaf, aus dem junge Säuglinge immer wieder aufschrecken.

Mit zunehmender Hirnreifung kommt es zu mehr geordneten Schlafzyklen, die jedoch deutlich kürzer sind als bei Erwachsenen. Bei jedem Übergang, wenn sich die Schlaftiefe verändert, kommt es zu einem kurzen Zwischenerwachen. Ob dann der Säugling weiterschläft oder wach bleibt, hängt von verschiedenen Außenfaktoren ab. Dies sind die wichtigen Momente, auf die Hebammen die Eltern sensibilisieren können.

Wenn ein kleines Baby schon nach 15 bis 20 Minuten wieder aufwacht, ist es noch nicht ausgeschlafen, sondern es handelt sich um ein Zwischenerwachen. Erst bei Verlängerung dieser Kurzschläfchen kommt es zu erholsameren Tiefschlafphasen.

Deshalb der Rat an die Eltern: Beim Zwischenerwachen unbedingt die Schlafstimmung aufrechterhalten und zum Weiterschlafen motivieren.

Durch Müdigkeit wird kein Schlafdruck erzeugt

In der Wachzeit häuft sich normalerweise eine sogenannte Schlafschuld an, die im Schlaf wieder abgebaut wird. Mit wachsender Schlafschuld steigt auch der Schlafdruck und damit die Bereitschaft einzuschlafen. Kurz gesagt: »Wachzeit macht Schlafdruck.« Dieser Zusammenhang ist allerdings bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen nicht vorhanden (Jenni et al. 2008). Diese Effekte setzen erst später ein. Das heißt, in dieser Altersstufe entwickeln die kleinen Säuglinge durch Wachsein noch keinen Schlafdruck, der das Einschlafen erleichtert. Sie fühlen sich diffus unwohl, regen sich auf und schlafen schlechter ein. Daraus folgt der Tipp: Kleine Säuglinge nicht wachhalten!

 

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

 

Familien in kritischen Phasen brauchen ein Netz von Fachleuten. Als erste Ansprechpartnerin der Familie sind Hebammen vor Ort und wenn deren Beratung nicht ausreicht, braucht es rechtzeitige Vermittlung an weiterführende Hilfen in Spezialambulanzen oder sozialpädiatrischen Zentren. Regelmäßige professionelle Unterstützung im Hausbesuch leisten die Frühen Hilfen, aber auch ehrenamtliche Angebote können entlasten. Stillberatung, Manualtherapie, Osteopathie sowie eine Haushaltshilfe können flankierend hilfreich sein.

Allen Beratenden ist zu empfehlen, im kollegialen Austausch die besonders schwierigen Fälle zu besprechen und in regelmäßiger Supervision den Kernpunkten auf die Spur zu kommen. Denn das Lernen durch und über die Familien ist auch verbunden mit dem Kennenlernen der eigenen Anteile. Dieses Lernen endet nie – es macht Beratende kompetenter und sicherer.

 

Den Entwicklungszauber vermitteln

 

Hebammen kommt eine wichtige Rolle in der Prävention zu. Sie können frühzeitig durch kompetente Beratung die Entwicklung günstig bahnen, Risiken und Hilfebedarf feststellen und die Familie rechtzeitig weiterverweisen.

Hebammen können den Eltern mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihrer Intuition den Entwicklungszauber ihres Kindes vermitteln. Sie haben entscheidenden Anteil daran, beide Welten zueinander zu bringen. Sie können die Eltern lehren, ihre Babys zu verstehen und ihnen angemessen zu antworten.

Die Einzigartigkeit der Eltern-Kind-Beziehung in den verschiedenen Altersstufen und die Möglichkeit, wirkliche und nachhaltige Veränderung zu bewirken, macht die Arbeit mit den Familien spannend und wertvoll.

 

Hilfe bei weinenden Babys

 

Adressen und Materialien

 

Schreiambulanzen: > www.elternsein.info, unter dem Menüpunkt Schreien, Suche: »Schreiambulanzen«.

Frühe Hilfen: unabhängiges Informationsangebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
> www.fruehehilfen.de
> www.kindergesundheit-info.de Suche: »Frühe Hilfen« eingeben.

Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH): Broschüre in leichter Sprache zur Aufklärung und Prävention bezüglich »Schütteltrauma«:
> www.fruehehilfen.de/service/publikationen/einzelansicht- publikationen/titel/broschuere-schuetteln-kann-babys-krank-machen- in-leichter-sprache/

Sozialpädiatrische Zentren: ambulante interdisziplinäre Einrichtungen für Kinder und Jugendliche bei Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung. Informationen über die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin: > www.dgspj.de

GAIMH: German Speaking Association for Infant Mental Health, deutschsprachige Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit. Angebote und Adressen Deutschland, Österreich, Schweiz:
> www.gaimh.org

Erziehungs- und Familienberatungstellen:
> www.bke.de

Schwangerenberatungsstellen:
> www.familienplanung.de

KoKi – Netzwerk frühe Kindheit: koordinierende Kinderschutzstellen in Bayern:
> www.stmas.bayern.de – »KoKi« in Suchmaske eingeben.

Schatten und Licht: Selbsthilfeorganisation zu peripartalen psychischen Erkrankungen:
> www.schatten-und-licht.de

Interaktives Netzwerk Schreibabys:
> www.trostreich.de

Wellcome: ehrenamtliche praktische Hilfe nach der Geburt in Deutsch- land, Österreich, Schweiz:
> www.wellcome-online.de

Elterntelefon:
Nummer gegen Kummer: 0800 111 0 550, bundesweit anonym und kostenfrei Montag bis Freitag 9.00 bis 17.00 Uhr und Dienstag und Donnerstag bis 19.00 Uhr.

Schlafprotokoll: > www.dr-dotzauer.de unter Service > Downloads.

 

Quelle: angepasst für die DHZ aus: Dotzauer D: »Babyschlaf – Fundiertes Wissen und konkrete Handlungsvorschläge aus der Beratungspraxis«, Seite 201–202. Mabuse Verlag 2021

Rubrik: 1. Lebensjahr | DHZ 12/2021

Literatur

Barr RG, Hopkins B, Green JA (Hrsg.): Crying as a sign, a symptom, & a signal: Clinical, emotional, and developmental aspects of infant and toddler crying. Mac Keith Press: Distributed by Cambridge University Press 2000

Benz M, Scholtes K: Von der normalen Entwicklung zur Entwicklungskrise und zur Regulationsstörung. In: Cierpka M (Hrsg.): Regulationsstörungen. 1–14. Springer. Berlin Heidelberg 2015. https://doi.org/10.1007/978-3-642-40742-0_1

Hofacker v N, Lehmkuhl U, Resch F et al.: Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter. Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (Hrsg.) 2007. 357–378
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