Kreißsäle als Jugend-forscht-Einrichtung?

  • Birgit Heimbach, Hebamme und Redakteurin der DHZ: »Viele warten nun auf die konkreten Pläne der neuen Regierung, ihre Versprechungen umzusetzen.«

Giulia Azzano, die junge Hebamme auf dem Titel dieser Ausgabe, ist eine von zwölf italienischen Kolleginnen an einem Universitätsklinikum in Deutschland. Diese erstaunliche Gruppengröße von Hebammen aus Italien in einem einzigen Team ist keine Seltenheit mehr. Die Hälfte der Kliniken in Großstädten und in dünn besiedelten Kreisen haben seit einiger Zeit enorme Schwierigkeiten, freie Stellen zu besetzen. Deshalb stellen sie nun häufiger Hebammen aus dem Ausland ein. Rund jedes zehnte Haus mit einer geburtshilflichen Abteilung sucht zudem Beleghebammen. 2020 waren 5 % der entsprechenden Kliniken deshalb von Schließungen betroffen, so das Deutsche Krankenhaus Institut. Ein Grund für die Unzufriedenheit von Hebammen in Deutschland ist eine hohe Arbeitslast. Immer wieder müssen sie zwei bis drei Gebärende gleichzeitig betreuen, wie es auch die IGES-Studie beschreibt (siehe Seite 14): Hebammen haben demnach das Gefühl, in der Begleitung von Schwangeren und Gebärenden nicht das tun zu können, was sie eigentlich müssten oder wollten. Nur 46 % erlebten ihre Arbeit im Kreißsaal als selbstbestimmt, heißt es in der Studie. Wie sich Geburtskliniken derzeit helfen und was sich ändern müsste, thematisiert diese Ausgabe.

Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) im November 2021 wurde deutlich, dass noch andere Schwierigkeiten den Berufsalltag von Hebammen in Kliniken erschweren. Neben den gravierenden Auswirkungen der Pandemie ist es die Digitalisierung, die oft noch nicht ausgereift funktioniert, und die derzeit damit verbundene Mehrarbeit. In Berlin haben kurz vor dem Kongress Hebammen und Pflegekräfte gestreikt und vehement auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen und Gehälter hingewiesen. Wie sie warten nun viele auf die konkreten Pläne der neuen Regierung, ihre Versprechungen umzusetzen.

PD Dr. Holger Maul, Chefarzt der Geburtshilfe in den Asklepios Kliniken in Hamburg, fand klare Worte: »Es ist kein Wunder, dass Hebammen und andere in der Klinik Tätige das sinkende Schiff verlassen. Was einem die Politik zumutet, ist eine Schande.« Es sei verrückt, dass Hebammen mit reduzierter Stundenzahl arbeiten, um einem Burnout zu entgehen, aber dann aufgrund der Überstunden doch bei einer 40-Stunden-Woche ankommen. Man müsse dringend in Personal investieren, sonst blieben Krankenhäuser dauerhaft eine »Jugend-forscht-Einrichtung«. Tatsächlich möchten viele junge Hebammenstudierende am Ende ihrer Ausbildung gar nicht erst anfangen, im Kreißsaal zu arbeiten.

Prof. Dr. Ekkehard Schleußner, frisch gewählter Präsident der DGPM und einer der Autor:innen des Titelthemas, betonte auf dem Kongress im November 2021, dem er als Kongresspräsident vorstand: »Wir müssen den Wandel als Herausforderung begreifen und unsere Meinung ist gefragt!« Angesichts vieler Missstände und der unvermeidlichen Zentralisierung heiße es, mehr politischen Einfluss zu nehmen. Er zitierte den Arzt und Politiker Rudolf Virchow (1821–1902): »Medizin ist eine soziale Wissenschaft und Politik ist Medizin im Großen.«

 

Birgit Heimbach

Rubrik: DHZ 01/2022

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