Impfpflicht in der Geburtshilfe?

Am 10. Dezember 2021 beschlossen Bundestag und Bundesrat das »Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19«. Der neu geschaffene § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) regelt die einrichtungsbezogene Impfpflicht ab 16. März 2022. Was bedeutet sie für praxisführende, freiberufliche und festangestellte Hebammen? Melanie M. Klimmer

Zum 16. März 2022 greift für alle Berufsgruppen, die in bestimmten Einrichtungen, Praxen und Unternehmen des Gesundheitswesens ein- und ausgehen und dort tätig sind oder dies werden möchten, eine einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen Sars-CoV-2. Das haben am 10. Dezember 2021 Bundestag und Bundesrat mit dem »Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie« (ImpfPrG) beschlossen.

Die Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes um eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen (§§ 20a und b IfSG) ist vorläufig bis zum 31. Dezember 2022 befristet. Ziel des Gesetzes ist es, die Impfquote in den betroffenen Einrichtungen und Unternehmen kurzfristig zu erhöhen, um besonders vulnerable Personengruppen zu schützen (Der Paritätische, 10.12.2021). Auch schwangere Frauen gehören zu den zu schützenden Risikogruppen, wie inzwischen viele erschütternde Berichte aus Intensivstationen belegen, wo immer wieder Schwangere und/oder deren Feten sterben (Hünerfeld 7.11.2021).

 

Einrichtungsbezogene Impfpflicht

 

Die Impfpflicht gilt für alle, die zum Beispiel in

  • Krankenhäusern (§ 20a Abs. 1 Satz 1a IfSG)
  • Entbindungseinrichtungen, Geburtshäusern (§ 20a Abs. 1 S. 1 f IfSG)
  • Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe (§ 20a Abs. 1 S. 1i IfSG)
  • und anderen schutzbedürftigen Settings nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 bis 10 IfSG, einschließlich Rettungsdienste oder in der ambulanten Versorgung tätig sind.

Mit der Impfpflicht gegen Covid-19 ist auch eine Nachweispflicht bis spätestens zum 15. März 2022 verbunden. Es spielt dabei keine Rolle, welche Funktion die Hebamme innehat oder in welchem arbeitsrechtlichen Verhältnis sie zu einer Einrichtung steht, sprich ob sie praxisführend, fest angestellt, geleast, freiberuflich, freiwillig, ehrenamtlich, als Auszubildende:r oder auch nur vorübergehend tätig ist. Außerdem besteht die Impfpflicht für grundsätzlich alle, die ein schutzbedürftiges Setting betreten, gleich ob die- oder derjenige in der Verwaltung, als Fachkraft, in der Küche, im Bereich Technik, Service oder als Praktikant:in tätig ist. Gleiches gilt für das Betreten von Privatwohnungen, zum Beispiel als betreuende Hebamme oder als Notfallsanitäter:in.

Ohne entsprechende Nachweise dürfen Beschäftigte nicht mehr in Patient:innenkontakt kommen. Das Gesundheitsamt kann es den betreffenden Personen untersagen, tätig zu sein oder die Einrichtung zu betreten.

Nicht von einer Impfpflicht eingeschlossen sind die zu beratenden und betreuenden Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen, Mütter oder Frauen mit Kinderwunsch, da noch keine allgemeine Impfpflicht besteht (Stand Dezember 2021). Auch Postbot:innen oder nur kurz eingesetzte Handwerker:innen in diesen Einrichtungen sind von einer Impfpflicht ausgenommen (Der Paritätische 2021).

 

Nachweise sind ein Muss

 

Alle, die nach § 20a Abs. 2 IfSG bereits in schutzbedürftigen Settings tätig sind oder ab dem 16. März tätig werden möchten, müssen vor dem 16. März 2022 einen der folgenden Nachweise erbringen. Der Nachweis muss auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch »verkörpert« oder digital erfolgen:

 

Nachweis einer vollständigen Impfung nach § 2 Nr. 3 Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmen­verordnung (SchAusnahmV)

Eine vollständige Impfung liegt vor, wenn die Immunisierung mit einem der, in der EU zugelassenen und von der Ständigen Impfkommission (StIKO) empfohlenen Impfstoffe in der entsprechend notwendigen Anzahl an Impfdosen erfolgt ist. Die letzte Impfung muss bis zu ihrer vollen Wirksamkeit 14 Tage zurückliegen. Zu den zugelassenen Impfstoffen gehören, Stand 20. Dezember 2021, die fünf Impfstoffe

  1. Comirnaty (BioNTech)
  2. Spikevax (Moderna)
  3. Vaxzevria (AstraZeneca)
  4. COVID-19 Vaccine Janssen (Janssen-Cilag International) (RKI, 3.8.2021)
  5. sowie der am 20. Dezember 2021 von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassene Proteinimpfstoff Nuvaxovid (Novavax) – ein Totimpfstoff.

Die Impfung mit einem anderen, von der EMA noch nicht zugelassenen Vakzin, zum Beispiel dem in Russland entwickelten Impfstoff Sputnik V, wird nicht anerkannt. Auch Genesene gelten in Deutschland als vollständig geimpft, sofern sie

  • mit einem zugelassenen Impfstoff geboostert oder
  • nach einem positiven PCR-, PoC-PCR-Test oder einem anderen Verfahren der Nukleinsäureamplifikationstechnik geboostert oder
  • nach einer ersten Impfung erkrankt und danach ein zweites Mal geimpft wurden.

 

Genesenennachweis

Aktuell gelten in Deutschland diejenigen Personen als »genesen«, die eine symptomatische Covid-19-Erkrankung vor oder nach einer Erstimpfung durchgemacht haben und bei denen die Erkrankung mindestens 28 Tage, nicht aber länger als 90 Tage zurückliegt (RKI, 15.1.2022). Außerdem muss ein positiver PCR-Test (alternativ: PoC-PCR-Test oder ein anderes Verfahren der Nukleinsäureamplifikationstechnik) eine Infektion mit Sars-CoV-2 bestätigt haben. Antikörpertests können für die Ausstellung eines Genesenennachweises nicht herangezogen werden, da deren Aussagekraft noch zu vage ist. Antikörper im Blutserum zeigen lediglich an, dass eine Infektion mit Sars-CoV-2 bestanden hat oder derzeit noch besteht. Sie sagen jedoch nicht aus, wann die Infektion durchgemacht wurde. Auch können Wissenschaftler:innen noch nicht sagen, ab welchem Schwellenwert die Antikörperkonzentration tatsächlich ausreicht, um vor einer erneuten Ansteckung geschützt zu sein.

 

Ärztliches Attest

Liegt eine Kontraindikation gegen eine Corona-Impfung vor, kann sich die Hebamme ein ärztliches Attest ausstellen lassen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen müssen die Kontraindikationen weder dem zuständigen Gesundheitsamt noch dem Arbeitgeber offengelegt werden (Der Paritätische 2021). Legt die Hebamme ein ärztliches Attest vor, hat das örtliche Gesundheitsamt die Möglichkeit, eine eigene ärztliche Untersuchung anzuordnen, um festzustellen, ob tatsächlich eine medizinische Kontraindikation gegen eine Corona-Impfung vorliegt (ebd.).

Sich auf andere Gründe als die drei genannten zu berufen, wird kaum möglich sein, so die Fachanwältin für Arbeitsrecht Nancy Novak von der Kanzlei Laborius im Interview.

 

Nachweise müssen aufgefrischt werden

 

Die genannten Nachweise müssen bis zum 31. Dezember 2022 regelmäßig erneuert werden (Der Paritätische 2021), da die Nachweise ihre Gültigkeit verlieren können. So sind für Nicht-Geboosterte

  • die EU-Impfzertifikate ab 1. Februar 2022 nur noch 270 Tage (9 Monate), statt wie bisher 12 Monate (u.a. JUDID-Redaktion, 21.12.2021) gültig
  • die Genesenennachweise nur 90 Tage gültig (RKI, Stand 15.1.2022).

Auch sind die jeweiligen Anpassungen an die Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung zu beachten.

 

Bußgelder

 

Bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Echtheit der Nachweise, ist der Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, umgehend das für den Bezirk zuständige Gesundheitsamt davon in Kenntnis zu setzen und personenbezogene Daten zu übermitteln. Dieses wird dann gegebenenfalls Ermittlungen gegen diese Person einleiten.

Sanktionen in Form von Bußgeldern können sowohl bei Verstößen gegen die Meldepflichten der Einrichtungsleitung beziehungsweise des Arbeitgebers, als auch der nachweispflichtigen Person drohen, sofern dem Gesundheitsamt die notwendigen Nachweise nicht rechtzeitig und vollständig bis zum 15. März 2022 vorliegen oder eine Person trotz berechtigter Zweifel an der Echtheit und Richtigkeit dieser Nachweise gegen die Vorschriften des IfSG beschäftigt wird. § 73 IfSG wurde mit Blick auf den neu eingeführten § 20a IfSG entsprechend ergänzt.

 

Keine Schonfrist

 

Die berufs- oder einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt ab dem 16. März. Bis zum Ablauf des 15. März 2022 müssen die gesetzlich erforderlichen Nachweise erbracht worden sein. Für alle neuen Arbeitsverhältnisse, die ab dem 16. März abgeschlossen werden, muss dieser Nachweis bereits vor Beginn der Tätigkeit vorliegen. »Vorher dürfen Personen, die dort tätig werden wollen, erst gar nicht dort anfangen«, so Nancy Novak. Die Vorlage der Nachweise ist nach § 26 Abs. 3 S. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) eine rechtliche Pflicht und gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung. Für den Fall, dass in der eigenen Praxis, einem Geburtshaus oder einer Geburtsklinik festgestellt werde, dass aufgrund des Gesetzes nicht mehr ausreichend Mitarbeiter:innen für die Geburtshilfe zur Verfügung stehen, sehe der Gesetzgeber hierfür keine Übergangsfristen vor, sagt die Fachanwältin.

 

Kündigung durch Arbeitgeber

 

Möchte sich eine Hebamme oder andere beschäftigte Person in der Geburtshilfe nicht impfen lassen und legt sie bis zum 15. März 2022 keinen gesetzlich vorgeschriebenen Nachweis vor, ist der Arbeitgeber verpflichtet, personenbezogene Daten an das örtliche Gesundheitsamt weiterzugeben und den von dort kommenden Anordnungen nachzukommen. Untersagt das Gesundheitsamt dieser Person aufgrund fehlender Nachweise den Zutritt in die Einrichtung, muss sich der Arbeitgeber an die Anordnung halten und darf sie nicht weiter beschäftigen. Ein Abmahnverfahren durch den Arbeitgeber sei nicht notwendig, sagt Nancy Novak. Auch die Lohnzahlungspflicht entfällt nach § 326 Abs. 1 und Abs. 2 BGB mit Inkrafttreten des Gesetzes (Der Paritätische 2021).

Hat die Hebamme eine eigene Praxis, kann es im Zweifel bedeuten, dass sie ihre eigene Praxis nicht mehr betreten darf, auch nicht um Verwaltungsarbeiten zu tätigen.

 

Freistellung vor Einführung der Impfpflicht

 

Bis zur Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht – und ohne eine allgemeine Impfpflicht – hat ein Arbeitgeber zunächst keine arbeitsrechtliche Handhabe gegen ungeimpfte Beschäftigte in seiner Einrichtung. »Eine verhaltensbedingte Kündigung in einem solchen Fall wäre unwirksam und unrechtmäßig erfolgt, da kein arbeitsvertragswidriges Verhalten vorausgegangen ist«, sagt die Arbeitsrechtlerin. Entscheidet sich ein Arbeitgeber für eine Freistellung – in Pflegeheimen war dies schon der Fall –, so müsse er der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer weiterhin den Lohn vergüten, so die Fachanwältin. Dies habe allerdings den Nachteil, dass die freigestellten Mitarbeiter:innen keine Arbeitsleistung mehr für das eigene berufliche Fortkommen erbringen können, was zu rechtlichen Problemen führen könne. »Der Arbeitgeber hat in solchen Fällen nur die Möglichkeit zu prüfen, ob er andere ›kompatible‹ Einsatzmöglichkeiten für den betreffenden Arbeitnehmer hat. Sofern dies nicht der Fall ist, kann gegebenenfalls eine personenbedingte Kündigung ausgesprochen werden«, so Novak.

 

Eigenkündigung

 

Wenn eine Hebamme eine Eigenkündigung vornimmt, um einer Kündigung durch den Arbeitgeber zuvorzukommen, weil sie die gesetzlich vorgeschriebenen Nachweise nicht erbringen kann oder will, muss sie/er mit einer zwölfwöchigen Sperrzeit auf das Arbeitslosengeld rechnen. »Der Gedanke dahinter ist, dass ich, wenn ich mein Arbeitsverhältnis eigenmächtig kündige, damit willentlich und wissentlich der Versichertengemeinschaft zur Last falle«, so Nancy Novak.

 

Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld

 

Da mit der Einführung der gesetzlichen Impfpflicht gemäß § 20a Abs. 1 S. IfSG ein gültiger Nachweis (Impfung, Genesung, ärztliches Attest) für eine Weiterbeschäftigung zwingend erforderlich ist, ist eine Kündigung aus Gründen im Verhalten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers, jedenfalls aber aus personenbedingten Gründen denkbar – sofern der Arbeitnehmer nicht an anderer Stelle gesetzeskonform eingesetzt werden kann. Damit ist auch eine zwölfwöchige Sperrzeit bezüglich des Arbeitslosengeldes vorstellbar. Es bleibe jedoch abzuwarten, welche Bewertung die Bundesagentur für Arbeit im Einzelfall vornehme, so die Fachanwältin.

 

Fazit

 

Wenn ich den Beruf einer Hebamme oder eines anderen körpernahen, medizinischen Berufes ergreife, habe ich dies zumeist mit dem Wunsch getan, um Frauen und Mädchen zu schützen, für deren reproduktive Rechte und deren Gesundheit einzustehen, so gut ich kann. Es ist nach dem ICN-Codex eine berufsethische Pflicht, nichts zu tun, was den mir anvertrauten Menschen schaden könnte. In diesem Sinne ist der Schritt zu einer Impfpflicht im Gesundheitswesen zwar kontrovers diskutiert, aber dem Dienst am Menschen geschuldet und Grundlage für das Vertrauen unserer Patient:innen.


Weitere Entwicklungen
Dieser Artikel gibt den juristischen Stand bis zum 18.1.2022 wieder. Über weitere Entwicklungen werden wir Sie in der DHZ informieren.

Rubrik: Recht | DHZ 02/2022

Literatur

Deutscher Bundestag: Drucksache 20/188. 20. Wahlperiode, 6.12.2021. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Bonn (letzter Zugriff: 20.12.2021)

Hünerfeld P: »Ungeimpfte auf der Corona-Intensivstation – Freiburger Pflegepersonal zwischen Frust, Betroffenheit und Wut«. SWR-aktuell. 7.11.2021, 15.53. www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/covid-patienten-auf-intensivstation-freiburg-100.html (letzter Zugriff: 19.12.2021)

JUDID-Redaktion: »EU-Beschluss: Impfzertifikat 9 Monate gültig«. JUDID 21.12.2021. https://www.judid.de/eu-beschluss-impfzertifikat-9-monate-gueltig/ (letzter Zugriff: 14.1.2021)
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