Geburt in Hypnose

Trauma vermeiden

Hypnose lässt sich unter der Geburt wirkungsvoll nutzen, damit Gebärende selbstbestimmt und ohne traumatische Erfahrungen ihr Kind zur Welt bringen können. Die Technik der »Friedlichen Geburt« hat in einer anonymisierten Erhebung unter Müttern gut abgeschnitten und bekam auch von begleitenden Hebammen positive Rückmeldungen. Kristin Graf

Ist Hypnose nicht das mit dem Pendel, was in Bühnenshows dazu führt, dass Menschen gegen ihren Willen Sachen tun, die sie nicht wollen? Die auf einem Bein hüpfen, sich lächerlich machen und ihren Namen vergessen? Hebammen ist die Hypnotherapie unter der Geburt nicht fremd. Sie wissen, dass es einen Unterschied zwischen Showhypnose und der evidenzbasierten klinischen Hypnose gibt. Vielleicht haben sie schon eine Geburt in Hypnose begleitet, Erfahrungen mit »Hypnobirthing« oder mit der Methode »Die Friedliche Geburt« gemacht. Und doch bleibt die Frage: Brauchen wir diese mentale Vorbereitung, diesen künstlich hergestellten geistigen Zustand der hypnotischen Trance für eine Geburt? Es ging doch all die Jahre auch ohne.

 

Wir brauchen diesen Zustand!

 

Ja, Frauen brauchen diesen Zustand, wenn sie eine positive und selbstbestimmte, eine kraftvolle Geburt erleben möchten, bei der sie von ihren Schmerzen nicht überwältigt werden, sondern gut mit ihren Körperempfindungen umgehen können. Wenn Hebammen sich Gebärende wünschen, die mit sich verbunden und im Einklang mit ihren Körpern Babys bekommen, die glücklich gebären und später gestärkt ins Wochenbett starten, dann brauchen sie diesen besonderen Zustand der Hypnose.

Denn er wird nicht künstlich geschaffen, sondern der weibliche Körper ist dafür programmiert: Alle Säugetiere rufen ihn natürlicherweise und von allein ab. Im Gegensatz zu anderen Säugetieren, haben wir Menschen dieses natürliche Verhalten allerdings verlernt und werden in diesem Vorgang eher irritiert und gestört – nicht zuletzt von unseren eigenen Gedanken.

 

Was ist Hypnose?

 

Doch was ist Hypnose nun eigentlich? Hypnose ist ein Zustand gerichteter Trance. Wie ein Scheinwerfer richten wir unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt und blenden alles andere um uns herum aus. Dieser Zustand entsteht beim Autofahren ebenso wie bei einem Marathonlauf oder im Kino, er ist uns allen bestens vertraut. Eine Art Superkonzentration im Gehirn führt dazu, dass Schmerzimpulse nicht mehr so gut weiterverarbeitet werden. Der Schmerz kommt zwar noch im Gehirn an, wird aber als irrelevant abgetan und teilweise oder auch ganz ausgeblendet. Dadurch werden die Empfindungen während der Geburt sehr viel angenehmer: Eher wie bei einer Bergbesteigung haben die Frauen dann in der Regel den Eindruck, dass sie sich zwar sehr anstrengen müssen, die Herausforderungen aber gut meistern können.

Die hypnotische Trance ist ein Zustand, der immer dann entsteht, wenn wir ihn brauchen, so zum Beispiel bei einer sportlichen Herausforderung oder überhaupt in Extremsituationen. Auch beim konzentrierten Begleiten einer Geburt entsteht häufig diese spezielle Konzentration: Die Beteiligten nehmen Zeit und Raum nicht mehr wirklich wahr, tauchen ganz ein in den Moment. Dies gehört natürlicherweise zu einer Geburt dazu. Wozu müssen wir uns dann überhaupt damit befassen? Vor einem Marathonlauf oder einem Kinobesuch stellen wir ja auch nicht bewusst unseren Geist auf diese Form der Konzentration ein. Es geschieht eben ganz von selbst.

Durch all die Dinge eines verkopften Alltags, an die Schwangere denken müssen, all die Gespräche, die sie auch während einer Geburt führen müssen, finden sie jedoch schwer hinein in diesen Zustand. Sie werden abgelenkt, ihre gesamte Großhirnrinde denkt und arbeitet und die Superkonzentration der Hypnose kann sich so viel schwieriger von selbst einstellen. Es ist vergleichbar mit einem Kinobesuch, bei dem die Zuschauer:innen plötzlich gefragt würden, ob sie nachher noch Essen gehen möchte – sie verlieren in diesem Augenblick den Fokus auf die Handlung des Filmes. Auch grelles Licht kann diesen Zustand erschweren, Fragen der Geburtsbegleiter:innen können ihn verhindern. Deswegen ist es wichtig, dass sich Schwangere mental vorbereiten und üben, sich selbst in Hypnose zu versetzen. Dass sie lernen, zurückzufinden in diesen Zustand, wenn sie einmal rausgekommen sind, und dass sie ihn so gut kennenlernen und beherrschen, dass sie ihn ganz leicht abrufen können.

Genau das vermittle ich in meinem Kurs »Die Friedliche Geburt«. Ich nehme Schwangere an die Hand und zeige ihnen Schritt für Schritt, wie sie sich bewusst in den schmerzlindernden Zustand hypnotischer Trance versetzen können. Sie üben intensiv für viele Herausforderungen, beispielsweise den Weg zum Geburtsort. Meine Arbeit unterscheidet sich maßgeblich von der Hebammentätigkeit, denn mit meiner Technik wird eine mentale Fähigkeit eingeübt.

 

Die »Friedliche Geburt«

 

  • Schwangeren wird eine Hypnosetechnik beigebracht, die sie zur Geburt abrufen können.
  • Die Gebärenden bleiben jederzeit ansprechbar.
  • Durch eine veränderte Hirnaktivität in Hypnose werden Schmerzimpulse anders verarbeitet und positiver erfahren.
  • Das Ziel der Methode ist eine möglichst positive Geburts­erfahrung ohne Trauma.
  • Das freundliche Miteinander mit Hebammen und Ärzt:innen ist für diese Arbeit essenziell.
  • Die Erleichterung durch Schmerzmedikamente ist gewünscht, wenn die Gebärende Unterstützung benötigt.
  • Es handelt sich um eine evidenzbasierte Technik der klinischen Hypnose.
  • Eine spezielle Atemtechnik unterstützt die Gebärenden zusätzlich.

 

 

Ein Geburtstrauma vermeiden

 

Nach zwei extrem schmerzhaften Geburten habe ich mein drittes Kind mit Hilfe hypnotischer Trance nahezu schmerzfrei auf die Welt gebracht. Das mag merkwürdig klingen, doch klinische Hypnose wird auch in verschiedenen Unikliniken angewendet. Hier wird zum Teil ohne Schmerzmedikation operiert und die Patient:innen empfinden im Zustand tiefer Hypnose keinen Schmerz. Gleichzeitig ist dies nicht das Ziel meiner Arbeit.

Hier soll keine Frau dazu ermutigt werden, ein beeindruckendes Phänomen unter Beweis zu stellen. Nein – vielmehr soll ihnen eine Technik an die Hand gegeben werden, die sie jederzeit unterstützt. Hierzu gehört auch eine Offenheit gegenüber Hilfe von außen: Die Kursteilnehmer:innen wissen, dass sie sich immer Unterstützung holen und Schmerzmittel in Anspruch nehmen dürfen. Dies gehört maßgeblich zu einer selbstbestimmten Geburt, denn so lassen sich mögliche Traumata in den meisten Fällen vermeiden. Die Vermeidung eines Geburtstraumas ist das Ziel meiner Arbeit.

Mittlerweile habe ich über 16.000 Frauen und Paare begleiten dürfen. Eine anonymisierte Erhebung unter 861 Teilnehmer:innen hat ergeben, dass nur 31 ihre Geburt als traumatisch bezeichnen würden, 95 als negativ, 158 als neutral, 334 als positiv und 243 als Traumgeburt. Täglich bekomme ich beeindruckende Geburtsberichte zugeschickt. Besonders freut mich das Feedback von Hebammen, die sehr berührt sind, wenn sie eine »Friedliche Geburt« begleitet haben. Denn ohne Hebammen kann Geburt nicht gelingen. Nicht in Hypnose, nicht selbstbestimmt, nicht glücklich und stärkend. Ein einziges Augenrollen, weil eine Frau mit Kopfhörern in den Kreißsaal kommt, kann dazu führen, dass sie aus der Trance fällt, sich unwohl und unsicher fühlt. Genauso geschieht das Gegenteil mit einem offenen Lächeln und liebevollen Worten beim Kontakt mit der Gebärenden.

 

Hypnotische Sprachmuster

 

Der amerikanische Psychiater Milton Erickson (1901–1980) gilt als Vater der modernen Hypnotherapie. Er hat seine Klient:innen kaum in klassischen Hypnosesitzungen behandelt, es geschah einfach im Gespräch. Seine Worte waren liebevoll und einladend. Die Menschen, die ihm begegneten, fühlten sich geborgen in seiner Gegenwart und wollten seinen Worten folgen, weil sie so angenehm waren. Diese »hypnotischen Sprachmuster« sind leicht zu erlernen. »Wenn du möchtest, kannst du nun …«, ist ein klassisches Beispiel. Auch ein liebevoller Gesichtsausdruck hat eine beruhigende Wirkung auf Gebärende und kann ihnen Angst nehmen.

Frauen, die sich mit Hypnose vorbereitet haben, brauchen meist nur sehr wenig Unterstützung. Wenn es laut und hektisch in der Klinik ist, können sie sich häufig über weite Strecken selbst gut regulieren. Natürlich sollte das gesellschaftliche Ziel eine Eins-zu-eins-Betreuung sein! Doch in Zeiten, in denen dies noch in weiter Ferne zu sein scheint, kann es auch für Hebammen eine Entlastung sein, wenn Frauen in der Eröffnungsperiode gut allein zurechtkommen.

Eine Frau in Hypnose ist – entgegen der Annahme – durchaus in der Lage, unter der Geburt zu kommunizieren. Sie hört, was man ihr sagt, und kann Informationen umsetzen. Ähnlich wie bei einem Marathonlauf auf den Trainer, kann sie bei der Geburt auf die Hebamme hören, ihre Stellung ändern, ein Bein aufstellen, sich umdrehen oder mitschieben, so wie die Hebamme es vielleicht anleitet. Zugleich ist sie bei einer zuvor liebevollen Begleitung offen für Vorschläge und kann auch in stressigen Situationen in der Regel bei sich bleiben, so dass es ihr gut geht.

Und auch die Hebamme wird merken, wie es ihr Kraft schenkt und Stress reduziert, eine solche Geburt zu begleiten. Oft schrieben Hebammen, dass sie noch nie so erfüllt und voller Kraft aus einer Schicht gegangen seien, wie wenn sie eine »Friedliche Geburt« begleitet hatten. Das ist kein Hexenwerk, sondern solche selbstbestimmten, kraftvollen und positiven Geburten können mehr und mehr zur Normalität werden, wenn wir gemeinsam den Frauen alles geben, was sie dafür brauchen.

Dazu gehört eine mentale Vorbereitung genauso wie ein hebammengeleiteter Geburtsvorbereitungskurs und natürlich die wertvolle Arbeit von Hebammen in den Kreißsälen, Geburtshäusern und Schlafzimmern dieser Welt!

Rubrik: , Geburt | DHZ 09/2022

Hinweis

6. DHZCongress online

Beim 6. DHZCongress, der am 9. und 10. November digital stattfindet, berichtet eine Mutter von ihren Erfahrungen mit dem Konzept: »Die Stimme der Frauen: Tiefenentspannt durch die Geburt«.

Information und Anmeldung unter > www.dhz- congress.de

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