Barbara Hepworth

Mutter und Kind

»Mother and Child« – so nannte Barbara Hepworth gleich mehrere Skulpturen. Das Motiv entsprang ihrer tiefen Liebe zu ihren vier Kindern. Ihre Drillinge musste sie kurze Zeit nach der Geburt vorübergehend in ein Heim geben. Denn ihre Ansprüche an die Kinder­versorgung, die sie zunächst allein bewerk­stelligen musste, und ihr gleichzeitiger künstlerischer Gestaltungswille überstiegen ihre Kräfte. Alles ergoss sich bei ihr in Formen, die der Natur entsprangen. Birgit Heimbach
  • Den Stein aus Cumberland-Alabaster für die elf Kilogramm schwere Arbeit »Mother and Child« von 1934 bekam Hepworth von Exmann John Skeaping. Das Besondere: Die kleine Kinderfigur liegt lose auf den Knien der Mutterfigur.

  • Familienglück: Barbara und Ben mit ihren gemeinsamen Drillingen in ihrem kleinen Garten. Auf dem Schoß von Hepworth sitzt Paul aus der Ehe mit John Skeaping.

  • Die 13 Zentimeter hohe Arbeit »Mother and Child« von 1934 aus Eisenerz ist völlig abstrakt, nur ansatzweise sind zwei Figuren zu erkennen.

  • In ihrem Garten am Trewyn Studio stellte Barbara Skulpturen auf, sie wollte mit ihnen leben und ihren unterschiedlichen Anblick zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten genießen.

  • In der Sammlung der Tate Galerie in St. Ives in Cornwall befindet sich die Arbeit »Oval Sculpture« (No. 2, Gips auf Holz, 293 x 400 x 255 mm, Holz 1943, Gips 1958).

  • Blick in einen der Räume vom Wellgarth Nursery Training College in London. Barbara Hepworth gab ihre Drillinge im Januar 1935 schweren Herzens für mehrere Monate dorthin.

Es war für Barbara Hepworth eine wundervolle Zeit: Sohn Paul war kurz zuvor im Hochsommer 1929 geboren. Während sie in ihrem Atelier in den Mall Studios in Hampstead, London, bildhauerte, lag er im Bettchen neben ihr oder auf einem Teppich zu ihren Füßen. Nebenan arbeitete ihr Mann, der sich als Bildhauer von Pferden einen Namen machte, John Skeaping (1901–1980).

 

 

Die polierte Holzskulptur »Infant« schuf Barbara Hepworth nach der Geburt ihres ersten Sohnes (438 x 273 x 254 mm, Tate-Museum St. Ives, Cornwall).

Foto: © Birgit Heimbach

Aus burmesischem Holz legte sie in stundenlanger Arbeit die Skulptur »Infant« frei, etwas über 40 Zentimeter hoch. Die weich modellierten Oberflächen schmirgelte und polierte Barbara Hepworth (1903–1975) so lange, bis sie ganz glatt und glänzend waren. Der leicht abstrahierte Säugling zeigt – aufrecht positioniert – eine Schlafsituation auf dem Rücken, mit den Ärmchen neben dem Kopf. Ihr Modell war Paul.

Das Glück zu dritt währte nicht lange. »Ziemlich plötzlich waren wir außerhalb des Orbits. Ich hatte eine Obsession für meine Arbeit und mein Kind und mein Haus. John wollte frei sein, und er kaufte ein Pferd, das durch mein Küchenfenster zu atmen pflegte. Da gab es kein böses Blut – wir fielen auseinander, und schließlich heiratete John erneut und bekam drei wunderbare Söhne.« (Hepworth 1970) Sie blieben in freundlichem Kontakt.

 

Biomorphe Figuren

 

1934 war sie wieder schwanger. Sie hatte erneut geheiratet, den Künstler Ben Nicholson (1894–1982). Obwohl es sich anfühlte, als ob in ihrem Bauch »extrem stark Tennis gespielt« würde, ging sie weiterhin in ihr Studio. Inspiriert davon, bald wieder Mutter zu werden, schuf sie während des Sommers mehrere wunderbare, sehr abstrahierte Arbeiten von Mutter und Kind, mit kleinen knollenartigen Köpfen. Die kleinen Arbeiten bedeuteten ihr auch später emotional und künstlerisch viel. Nicht alle sind erhalten.

Barbara Hepworth fand hier zu einem Thema, das sie zeitlebens immer wieder aufgreifen sollte. 1927 hatte sie schon einmal eine Mutter-Kind-Gruppe geschaffen, damals aber noch sehr realistisch. Nun war ihr formaler Ansatz: organisch und zugleich landschaftlich anmutend. Aus braungrauem Cumberland-Alabaster entstand »Mother and Child«. Die liegende, wie mehrere Hügel gestaltete Mutterfigur hat die Beine aufgestellt, darauf liegt – abnehmbar – ein kleiner biomorpher Körper. Auch später sollte sie immer wieder einzelne Skulpturen in Kontakt miteinander arrangieren.

Das Werk befindet sich normalerweise in der Tate Gallery in London, einem der weltweit größten Museen für moderne Kunst. Bis Mai 2023 ist es mit weiteren Werken von Hepworth in der Tate-Zweigstelle in St. Ives in Cornwall ausgestellt.

Aus weißem Alabaster entstand die ähnliche Arbeit »Large and small Form« (25 x 45 x 24 cm). Der Titel gibt schon einen Verweis auf Hepworths zukünftige Art, Skulptur formal zu denken. Sie befindet sich heute in »The pier Art centre Collection« in Schottland.

Bei einer 13 Zentimeter hohen Arbeit aus Eisenerz sind nur mehr ansatzweise Mutter und Kind zu erkennen. Sie sind zu einer einzigen Form verschmolzen. Hier setzte Hepworth ein Stilmittel ein, dass für sie immer wichtiger wurde: ein kreisrundes Loch. Entstanden ist es aus der Höhle zwischen dem angewinkelten Arm und dem Körper der Mutterfigur. Es gefiel ihr, eine Durchsicht zu ermöglichen, um mehr Spannung zu erzeugen.

Besonders bei den beiden liegenden Figuren zeigt sich der enge Austausch mit dem Künstler Henry Moore (1898–1986), der bereits seit

 

»Mother and Child« von 1934 aus rosa Kalkstein gehört zu den beliebtesten Ausstellungsstücken im Museum Wakefield, Yorkshire. Das Kind ist abnehmbar.

Foto:  Jerry Hardman-Jones/© Bowness, Hepworth Estate

1924 solche biomorphen Figuren gestaltet hatte, auch von Mutter und Kind. Beide bezogen sich stets auf Landschaften. Eine Brust oder ein Knie war quasi ein Hügel, eine Mulde ein Tal. Hepworth war geprägt von der hügeligen Landschaft von Yorkshire, wo sie aufgewachsen war und von der sie überzeugt war, dass diese verantwortlich war für die Würde und Freundlichkeit der Menschen dort. Dort, in West Yorkshire auf der Leeds School of Art, lernte sie Moore kennen. Später waren sie zusammen auf dem Royal College of Art in London und blieben lebenslang befreundet. Sie gelten als die Vorreiter der Moderne in England und schufen ganz kleine wie gigantisch große Werke. Sie inspirierten sich gegenseitig. Moore arbeitete sich zeitlebens bei den hügelartigen Liegenden und biomorphen Mutter-Kind-Gruppen ab und schuf davon ständig neue Varianten (siehe auch DHZ 1/2015).

Hepworth wurde viel abstrakter als er, fand zu einfachen geometrischen Grundformen. Ihre vielen Mutter-Kind-Gruppen und anderen menschlichen Figuren sollten bald eher wie Felsen oder Steine am Strand anmuten. Zu diesem Prinzip fand sie ebenfalls 1934 – direkt nach dieser zweiten Schwangerschaft. Zunächst ereignete sich aber eine turbulente Geburt.

 

Hausgeburt

 

Am 3. Oktober 1934 war Hepworth abends mit ihrem Mann und einer Freundin im Kino. Ben beschwerte sich ein wenig, dass sie sich etwas zurückgezogen hatte und so konzentriert auf die Schwangerschaft war. Später in der Nacht hatte sie zu Hause einen Blasensprung, die Wehen setzen ein. Barbara erinnerte sich später: »Plötzlich sagte ich ›oh Dear‹, und in Null-Komma-Nichts sah ich drei kleine Kinder am Fuß meines Bettes – ziemlich entschlossen und ziemlich kriegerisch. Das war ein Ereignis, das selbst mein Doktor nicht erwartet hatte.«

Nun klärte sich das vermeintliche »Tennismatch in ihrem Bauch« auf. Bei der Hausgeburt kamen auf die Welt: Simon und die besonders kleinen eineiigen Zwillinge Sarah und Rachel. Die Ankunft von drei Babys morgens um 6 Uhr bedeutete einige Improvisationen in den nächsten Tagen. Die Hebamme blieb nachts dort. Und Barbaras Schwester Elizabeth half am Tage.

Obwohl das Empfinden von Glück über diesen Kinderansturm groß war, war die Sorge für Barbara genauso groß: »Wir hatten nur eine kleine Wohnung, keine Möglichkeit zum Wäschetrocken im Garten, nur eine Waschmöglichkeit in der Küche, 20 englische Pfund auf der Bank und nur ein Kinderbett.« (Clyton 2021) Sie fühlte sich schwach, war tagelang am Weinen und fragte, wie sie mit dem Verkauf von Bens Reliefs die nun sechsköpfige Familie durchbringen sollten.

Ben, den sie als wunderbar empfand, hatte Vertrauen und war überzeugt, dass sie es mit ihrer beider Arbeit schaffen würden. Aber zunächst ging er zurück nach Paris, als die Kinder gut zwei Monate alt waren. Dort lebte auch noch seine Exfrau mit den drei gemeinsamen Kindern.

Hepworth schrieb ihm Briefe, voller Freude und Begeisterung über die Kinder, die eine solche Inspiration seien und so unterschiedlich vom ersten Moment an. Aber sie formulierte auch ihren dringenden Wunsch, wieder zu arbeiten, was unmöglich war. Erschöpfung zeigte sich: »Das, was ich nicht tun kann, ist mehr zu tun, als ich tu.« Weil die Kinder so klein waren, durften sie wegen der kalten Temperaturen draußen monatelang nicht aus der Wohnung. Diese war allerdings auch nicht so gut geeignet für die drei kleinen Säuglinge. Barbara beklagte die klappernden Fenster, den defekten Boiler, den Platzmangel (Maclean, 2020). Man könne noch nicht einmal eine Katze umherschwingen. Zudem war noch der fünfjährige Paul da.

 

Wellgarth Nursery Trainig College

 

Ihr Arzt schlug ihr die Unterbringung der Drillinge im nahen Wellgarth Nursery Training College vor. Dieses wurde 1911 vom Women‘s Industrial Council in einem eigens dafür errichteten Gebäude gegründet. Angehende Krankenschwestern, die mindestens 17 Jahre alt sein mussten, wurden dort ein Jahr lang in den Fächern Kinderwäsche, Kochen, Hauswirtschaft, Physiologie, Hygiene, Handarbeit und Kinderpsychologie unterrichtet. Die Zahl der Mitarbeiter:innen und Auszubildenden belief sich auf rund 30. Die rund 30 Säuglinge und Kleinkinder wurden in familienähnlichen Gruppen untergebracht (siehe Link).

Barbara erläuterte Ben in ihren Briefen, dass die Kosten halb so groß seien, als wenn sie die Kinder bei sich behalten würde. Sie könnten jederzeit zu Besuch dorthin gehen. Sie schaute sich die Einrichtung an und war begeistert. Es gebe dort viel Licht, schöne Balkone. Verzweifelt überlegte sie hin und her, musste allein die Entscheidung treffen, die ihr enorm schwerfiel. Sie wusste jedenfalls, dass sie krank würde, wenn die Bedingungen für sie so blieben. Ihr Freund, der Kunstautor Sir Herbert Read (1893–1968), ermunterte sie, diese »Russische Methode« zu wählen und die Kinder kollektiv großzuziehen, was in linken Kreisen damals gar nicht so unüblich war (Clayton 2021).

Vorerst war Rachel aber noch zu klein für einen Umzug, den sie laut einer der Nurses nicht überleben würde. Die Krankenschwestern übernahmen die Kinder dann zunächst Ende Dezember für ein paar Tage. So konnte Barbara kurz zu Ben nach Paris fahren.

Mitte Januar ging sie das erste Mal mit Rachel raus, Ende Januar kam Ben zurück aus Paris und sie gaben die Kinder bis zu deren ersten Lebensjahr in die Nursery. Hepworths beste Freundin Margaret Gardinger gab ihr die dafür nötigen 250 englischen Pfund. Barbara konnte sich nun erholen, Sport treiben, sich um den Garten kümmern, dann endlich wieder arbeiten. So oft wie möglich besuchte sie ihre Kinder. Als die Drillinge zu ihr zurückkehrten, schuf sie in ihrem Atelier ein Arrangement aus Musik und Poesie, das es ihr ermöglichte, ihre Arbeit nach Unterbrechungen durch ihre Kinder oder häusliche Pflichten problemlos fortzusetzen.

 

Abstraktion

 

 

 

Eine Arbeit aus weißem Marmor von 1972. Elementare Formen für eine elementare Erfahrung: »Child with Mother«.
Foto: © Hepworth Estate

Die völlig abstrakt verstandene, sehr elementar gedachte Skulptur »Three Forms« war eine der ersten Arbeiten, die Hepworth nach der Geburt ihrer Drillinge – immerhin schon im November 1934 – fertigstellte: drei kleine runde Alabasterformen, arrangiert mit einem kleinen Abstand zueinander. Sie wurden von Kunsthistorikern wiederholt als ihre Drillinge interpretiert, denn ihre Skulpturen basierten eindeutig weiterhin auf der menschlichen Figur. »Meine Arbeit schien eine andere Richtung einzuschlagen, obwohl die einzigen neuen Einflüsse die Ankunft der Kinder gewesen waren.« (Bowness, 2015) Alle Spuren des Naturalismus waren verschwunden.

Aus einem Torso wurde nun schlicht »Single Form«, wie sie später mal erläuterte, aus Mutter und Kind wurden »Two Forms« – und drei Torsi wurden dementsprechend »Three Forms«. Sie positionierte die drei Formen eng beieinander, zugehörig und in Beziehung, doch einzeln. Manche der runden Formen bekamen ein Loch, es konnte ein Auge, aber auch ein Mond oder einfach die Möglichkeit zur Durchsicht durch die Skulptur sein. Auch das Licht sollte hindurchfallen, was sie sehr bedeutsam empfand. Schließlich wurden das Außen und Innen einer Figur wichtig.

Sie hatte einen Hang zu runden Formen, die oft etwas in ihrem Inneren bargen.

»Es mag sein, dass das Gefühl, eine Frau zu sein, andere Schwerpunkte in der Kunst hervorbringt, weil es für sie eine große Spannweite von Wahrnehmungen gibt, die zur leiblichen Erfahrung gehört. So entspringen einige Ideen einer inneren Antwort auf Form. Eine Nuss in ihrer Hülle oder ein Kind in der Gebärmutter, oder die Strukturen des Wachstums in Muscheln und Kristallen, die versteckte Energie und Rhythmen von Holz und Stein, und die pure und freundliche Qualität von reflektiertem Licht auf der Oberfläche auf natürlichen Materialien, was Vitalität ausstrahlt.« (Bowness 2015)

Der Künstlerin gefiel die Geste des Umarmens lebender Dinge. Und sie wollte die elementaren Kräfte von Fruchtbarkeit und menschlicher Wärme widerspiegeln. Ihr dominantes Gefühl dabei war immer die Liebe zu Mensch und Natur, und die Liebe zur Skulptur an sich.

 

Sicher leben in Cornwall

 

Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, zog die Familie auf Rat eines Freundes nach Carbis Bay in Cornwall bei St. Ives. Dort konnten die Kinder sicherer leben. Es war eine schöne Zeit. Es wurde viel gelacht. Barbara konnte zunächst nur wenig zeichnen und bildhauern. Der Tag war ausgefüllt damit, Essen zu besorgen und die Kinder zu versorgen, nebenbei einen kleinen Kindergarten bei sich zu führen, um zusätzlich Geld zu verdienen. Sie pflückten Salat in den Hecken und sammelten Pilze in den Wäldern. Ihr Studio war im Gegensatz zu dem von Ben ein großes Durcheinander von Kindern, Steinen, Skulpturen, Baumstämmen, Blumen und Wäsche. »Wir lebten ein arbeitsames Leben und in dieser Atmosphäre wuchsen die Kinder auf, inmitten von Staub und Dreck und Farbe und allem möglichem. Sie waren Teil davon.« (Bowness 2015)

1943 zogen sie in ein etwas größeres Haus, in dem beide Platz für ihre künstlerische Arbeit hatten. Das Bildhauen diszipliniere sie, dafür sei sie dankbar. Es half ihr auch bei Sorgen, wenn die Kinder krank waren: »Alle meine Gedanken über Krankheiten, Ängste flossen da rein.« Sie könne Probleme nur verarbeiten, wenn sie in eine neue Form einer Skulptur fließen. »Unsere Bildhauerarbeit nahm zu und die Kinder wuchsen. Bald bemerkten wir, dass sie fast zehn Jahre alt waren und freier sein mussten. Man konnte ihnen nicht länger sagen, dass sie Gasmasken tragen mussten und nicht alles anfassen durften.«

Alles sollte sich dramatisch ändern: Es kam zu Problemen, 1950 zog sie allein – und für immer – in das Trewyn-Studio, das sie 1949 eigentlich zum Arbeiten in St Ives gekauft hatte. 1951 wurde die Ehe geschieden. »Nach 20 Jahren Familienleben, fiel alles auseinander. Was ich nicht wahrnahm damals, weil ich zu müde oder dumm war oder beides, es platzten Haus und Familie aus allen Nähten. Drei Kinder im selben Alter, die immer alles zur selben Zeit wollen, aber unterschiedliche Bedürfnisse haben. Das war ein Problem für sie, wie für Ben und mich. Es ist gut, dass man, vielleicht, nicht die Tragödie vorhersieht.« (Hepworth, 1970).

 

Wendepunkt

 

Im Rückblick schrieb Barbara Hepworth 1970: »Freunde sagten mir oft, dass es unmöglich ist, sich der Kunst zu widmen und gleichzeitig Heirat und Kinder zu genießen. Das ist nicht wahr. Ich hatte jahrzehntelang ein wundervolles Familienleben. Aber ich will gestehen, dass die Diktate der Arbeit so zwingend für eine Frau sind wie für einen Mann.« (Hepworth, 1970) 1953 noch ein Schicksalsschlag: Ihr Sohn Paul, inzwischen ein Kampfflieger, verunglückte bei einem Flugzeugabsturz. 1954 fertigte sie für ihn eine Madonna mit Kind für die Parish Church in St. Ives an – mit Kerzenhaltern davor, die wie Propeller gestaltet sind. Dort steht sie bis heute.

Es folgten arbeitsame Jahre in St. Ives. Sie fand Inspiration in der hügeligen Landschaft, in den Felsen, in der Natur und dem Meer. Die Arbeit, die Natur und die Gemeinschaft der kleinen Stadt gaben ihr Kraft, sie wurde enorm erfolgreich. 1965 wurde sie zur Dame Commander of the British Empire geadelt und schon zu Lebzeiten als eine der bedeutendsten Künstler:innen Englands geehrt. Zusammen mit Moore gilt sie als Vorreiterin der Moderne.

 

Neues Glück

 

Neues Glück kam durch die Enkelkinder. Sie liebte es, Großmutter zu sein, ohne die schlaflosen Nächte und Sorgen, was das Beste für die Kinder sei. »Ich denke, Enkel betrachten die Großeltern wie einen Stein am Strand oder einen geliebten Baum im Garten, wie einen kleinen Teil der Landschaft.« Formen, die ihr unterwegs begegneten, triggerten noch lange eigene Erfahrungen rund um das Muttersein. Noch um 1970 schrieb sie: »Wenn ich eine Frau, schwanger, die Straße entlang gehen sehe, fühle ich mich schwanger.«

Ein berührender Brief an Ben Nicholson von 1969 befindet sich in der Tate Gallery in London (s. Link): Als ihr Exmann Ben dort 1969 eine Einzel-Ausstellung hatte, gratulierte sie ihm, bedankte sich bei ihm für die Jahre mit ihm und versicherte ihm ihre fortwährende Liebe, die noch genauso groß sei wie damals, als sie die Drillinge bekamen. 1970 gestaltete sie die berühmte Gruppe von Figuren, Eltern mit ihren Kindern: »Family of Man«. Jeder Mensch solle sich mit den Skulpturen identifizieren können, wünschte sie sich.

 

Den Tastsinn einsetzen

 

1972, in ihrem Todesjahr, bildhauerte Barbara Hepworth mit ihren Assistenten – bereits an Krücken und krebskrank – noch einmal das Mutter-Kind-Thema: »Child with Mother« aus weißem Carrara-Marmor. Eine querovale Form mit einem großen Loch liegt vor einer aufrechten Figur mit einem ovalen Loch. Aus diesem Material entstand im selben Jahr auch »Two Forms«, dasselbe meinend: zwei weiße, leicht unregelmäßig geformte, sich oben verbreiternde Ovale aus weißem Marmor, nah beieinander, elegant und wunderschön.

Man möchte sie anfassen und das empfahl die Künstlerin auch: Um Skulpturen zu verstehen, müsse man den Tastsinn einsetzen, den ersten Sinn, mit dem man auf die Welt kommt. Die anderen damals von ihr bestellten Carrara-Steine liegen nach wie vor in ihrem Studio in St. Ives – unberührt von ihr – und daher auch unberührt von anderen Händen.

 

Ausstellung

 

Bis zum 1. Mai 2023 zeigt die Tate in St. Ives, Cornwall, die Ausstellung »Barbara Hepworth: Art and Life«. Dort befindet sich auch die liegende Figur aus braungrauem Cumberland-Alabaster »Mother and Child« (1934). Ein Besuch kann verknüpft werden mit einem Besuch im Barbara Hepworth Museum und im Skulpturengarten.

> www.tate.org.uk/whats-on/tate-st-ives/barbara-hepworth-art-and-life

 

Rubrik: Kultur | DHZ 01/2023

Literatur

Bowness, S. (2015). Barbara Hepworth, Writings and Conversations. London.

Clayton, E. (2021). Barbara Hepworth, Art & Life. Thames & Hudson, London.

Curtis, P. (1998). Barbara Hepwort – St. Ives Artists. Tate Gallery, London.
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