Abrechnungsbetrug

Kein Kavaliersdelikt

Einmal ist keinmal? Das gilt nicht für den Abrechnungsbetrug. Täuscht eine Hebamme die abrechnende Krankenkasse bewusst und rechnet mehr Leistungen ab, als sie tatsächlich durchgeführt hat, kann sie ihre Berufserlaubnis verlieren oder sogar eine Freiheitsstrafe verbüßen müssen. Eine genaue Abrechnung sollten Hebammen generell beherzigen. Matthias Diefenbacher
  • Rechnet eine Hebamme vorsätzlich und wiederholt falsch ab, kann dies schon bei niedriger Schadenssumme zum Entzug der Berufserlaubnis führen.

Die Krankenkassen erlauben sich in einigen Fällen, Hebammenrechnungen stichprobenartig zu prüfen. Dabei können – möglicherweise zunächst auch nur geringfügige – Unzulänglichkeiten erkannt werden. Nach einer internen Überprüfung wird der Gesamtvorgang dann unter Umständen an die örtliche Staatsanwaltschaft abgegeben, um eine mögliche Strafbarkeit wegen Abrechnungsbetrugs zu prüfen.

 

Schon der Versuch ist strafbar

 

Um solche Straftaten zu vermeiden, sollten Hebammen das juristische Problem des Abrechnungsbetrugs kennen. Nach § 263 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) macht sich strafbar, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er unter Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder aufrechterhält. Der Täter kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Auch bereits der Versuch ist strafbar (§ 263 Abs. 2 StGB).

Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer einen besonders schweren Fall des Betrugs begeht (§ 263 Abs. 3 StGB). Ein solcher liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt und sich aus wiederholtem Betrugsverhalten eine nicht nur vorübergehende und nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle verschaffen will. Des Weiteren liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn durch die Tat ein Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt wird. Die Rechtsprechung nimmt dies ab einer Schadenssumme in Höhe von 50.000 Euro an.

Das ist auch bei Hebammen nicht ausgeschlossen. So hat das Landgericht Heilbronn Anfang 2015 eine Hebamme zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt, nachdem sie über Jahre hinweg mehr als 100 Krankenkassen um mehr als 400.000 Euro betrogen hatte. Eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren kann von Gesetzes wegen nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden, das heißt hier muss die Strafe tatsächlich verbüßt werden. In diesem Fall lagen sowohl Gewerbsmäßigkeit, als auch ein Vermögensverlust großen Ausmaßes vor.

Ein Betrug liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn der Täter einen anderen täuscht, dieser sich deshalb irrt und daraufhin eine Vermögensverfügung trifft, die letztlich zu einem Vermögensschaden führen muss. Der Täter muss dabei vorsätzlich handeln. Einen fahrlässigen Betrug gibt es nicht. Eine falsche Abrechnung aus „Schussligkeit" wird nicht bestraft, da in diesen Fällen kein Betrugsvorsatz vorliegt. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass eine Abrechnung über nicht erbrachte Leistungen, deren Durchführung gegenüber der Krankenkasse fälschlicherweise jedoch behauptet wird, strafbar sein kann. Das ist der Fall, wenn die Hebamme vorsätzlich handelt, sich die Krankenkasse über die tatsächlich erbrachten Leistungen irrt und Gebühren auszahlt. Da die Gebühren für nicht erbrachte Leistungen gezahlt worden sind, tritt dadurch ein Vermögensschaden bei der Krankenkasse ein.

Dies kann unter anderem dadurch geschehen, dass die Hebamme der Krankenkasse oder der Klientin gegenüber Leistungen behauptet und abrechnet, die sie nicht erbracht hat. Zum Beispiel rechnet sie mehr telefonische Beratungen oder Wochenbettbesuche ab, als tatsächlich stattgefunden haben. Das könnte dadurch entstehen, dass sie sich von der Klientin im Voraus Blanko-Unterschriften auf den Quittierungsbögen geben lässt und diese im Nachhinein wahrheitswidrig ausfüllt, um die nicht erbrachten, aber abgerechneten Leistungen zu „belegen".

 

Die juristischen Folgen

 

Ein Abrechnungsbetrug einer Hebamme kann umfangreiche rechtliche Konsequenzen haben. Es kommen zunächst einmal strafrechtliche, aber auch berufsrechtliche, zivilrechtliche und arbeitsrechtliche Folgen in Betracht. Gelingt es der Strafjustiz, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 263 StGB gegenüber der Hebamme nachzuweisen, hat dies eine Geld- oder Freiheitsstrafe gegen sie zur Folge. In besonders schwerwiegenden Fällen kann auch durch das Strafgericht als „Maßregel der Besserung und Sicherung" ein Berufsverbot angeordnet werden (§§ 70ff. StGB). Dies geschieht unabhängig davon, ob die zuständige Behörde auch verwaltungsrechtlich den Widerruf der Berufserlaubnis nach dem Hebammengesetz (HebG) verfügt: Das Strafgericht erteilt ein zeitlich befristetes Berufsverbot, die Verwaltungsbehörde, meist das Regierungspräsidium, kann die Berufserlaubnis unbefristet widerrufen. Bereits während des Ermittlungsverfahrens kann ein sogenanntes „vorläufiges Berufsverbot" angeordnet werden. Das bedeutet, dass die Hebamme – trotz noch bestehender Unschuldsvermutung – bereits vor einem gerichtlichen Strafurteil ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfte.

Nach § 3 Abs. 2 HebG ist die Berufserlaubnis zu widerrufen, wenn sich die Hebamme eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Hebammenberufs ergibt (so auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 HebG). Handelt es sich um eine Hebammenschülerin oder -studentin, kann eine solche Unzuverlässigkeit die Kündigung des Ausbildungsverhältnisses zur Folge haben (§ 18 HebG).

Bei einem Abrechnungsbetrug handelt es sich grundsätzlich um ein solches Verhalten. So haben auch Verwaltungsgerichte entschieden, die über diese Frage unabhängig von den Strafgerichten zu entscheiden haben.

Hierbei können durchaus Unterschiede bestehen. Mit Urteil vom 25. Februar 2011 hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden, dass ein fortgesetzter Abrechnungsbetrug gegenüber den Krankenkassen über einen längeren Zeitraum die Prognose rechtfertige, die Hebamme biete zukünftig nicht mehr die Gewähr, ihren Beruf ordnungsgemäß auszuüben. Der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Hebamme" wurde als zulässig angesehen.

Geringere Anforderungen stellte das Verwaltungsgericht Oldenburg in einem Urteil vom 18. Juli 2007, als es urteilte, dass auch eine erstmalige Verurteilung wegen Gebührenbetrugs den Widerruf der Anerkennung als Hebamme rechtfertigen kann.

Das Verwaltungsgericht Hannover hat in seinem Urteil vom 24. November 2010 den Schwerpunkt etwas anders gesetzt. Es entschied, dass auch in den Fällen, in denen der nachweisliche Schaden durch vorsätzliche Falschabrechnung nicht besonders hoch ist, bei fortgesetzter vorsätzlicher Falschabrechnung die Anerkennung als Hebamme entzogen werden kann.

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg war im Urteil vom 2. September 2009 im Falle eines Arztes der Auffassung, dass bereits ein nachgewiesener Abrechnungsbetrug den Verlust der Approbation bedeuten kann. In einigen Fällen durfte die Behörde, die den Widerruf verfügt hatte, sogar den sogenannten Sofortvollzug anordnen. Dies bedeutete, dass die Hebamme (wie beim vorläufigen Berufsverbot) bereits während des laufenden Verwaltungs- beziehungsweise verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte.

Ein Abrechnungsbetrug hat in der Regel auch zivilrechtliche Folgen. Diese können in Rückzahlungsansprüchen, Schadensersatzansprüchen und außerordentlichen Kündigungen von Behandlungsverträgen bestehen.

Und auch arbeitsrechtlich kann ein Abrechnungsbetrug oder die Mitwirkung daran dazu führen, dass – nach Abmahnung – ordentlich gekündigt wird oder bei schwerwiegenden Verfehlungen auch außerordentliche Kündigungen ausgesprochen werden können. Denn schwere Straftaten stellen wichtige Gründe dar, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, am Arbeitsverhältnis weiter festzuhalten.

 

Genaue Abrechnung tut Not!

 

Aus all diesen Gründen ergibt sich, dass es sich beim Abrechnungsbetrug keinesfalls um ein Kavaliersdelikt handelt. Es ist eine Straftat, die für die Hebamme existenzbedrohend sein kann. Als Anwalt habe ich mehr als einmal Hebammen in Verfahren wegen des Vorwurfs eines Abrechnungsbetrugs verteidigt, die alleine dadurch zustande gekommen sind, dass Sachbearbeiter bei Krankenkassen die Abrechnung der Wegegelder anhand eines Routenplaners im Internet überprüft haben und zunächst zu geringfügigen Abweichungen gekommen sind. Diese Abweichungen haben aufgrund der Vielzahl der Abrechnungen in der Gesamtsumme dazu geführt, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Die harten Konsequenzen eines Abrechnungsbetrugs sollten daher zur Genauigkeit bei der Abrechnung ermahnen.

 

Betrug oder Täuschung durch die Klientin?

 

Auch die Klientin kann sich wegen Betrugs gegenüber der Hebamme strafbar machen. Wenn eine betreute Frau eine berechtigte Rechnung der Hebamme nicht bezahlt, macht sie sich nicht wegen Betrugs strafbar. Ein Betrug kann nur dann vorliegen, wenn die Klientin bereits bei Abschluss des Behandlungsvertrags wusste oder billigend in Kauf genommen hat, dass sie die Rechnung nicht werde bezahlen können und dadurch ihre Zahlungsfähigkeit und -willigkeit vorgetäuscht hat. Wenn die Hebamme ein Urteil gegen die Klientin erstritten hat und sich beispielsweise im Vollstreckungsverfahren gegen die Klientin herausstellen sollte, dass diese bereits durch eine unmittelbar vor der Beauftragung der Hebamme abgegebene eidesstattliche Versicherung zum Ausdruck gebracht hatte, über keinerlei pfändbare Habe und finanziellen Mittel zu verfügen, kann es sinnvoll sein, eine Strafanzeige gegen sie wegen Betrugs zu stellen. Zwar erhält die Hebamme durch die Strafjustiz ihre Rechnung nicht bezahlt. Gelegentlich führt jedoch die Ankündigung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Frau, das Strafverfahren einzustellen, wenn die Rechnung bezahlt wird, dazu, dass sich die Zahlungsbereitschaft der Klientin plötzlich rapide erhöht.

Rubrik: Recht | DHZ 10/2016

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