Gefährliche Grunderkrankungen

Hebammen und ärztliche GeburtshelferInnen betreuen immer häufiger multimorbide Schwangere. Denn viele lebensbedrohliche Grunderkrankungen sind heute so gut behandelbar, dass die betroffenen Frauen trotzdem schwanger werden können. Um die Risiken für diese werdenden Mütter zu mindern, sind individuelle Geburtspläne und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich. PD Dr. Frank Reister
  • »Kniende Mutter mit Kind« von Paula Modersohn-Becker (1876–1907). Eine Mutterschaft fordert alle Kräfte – mit einer Grunderkrankung kann sie zur Lebensgefahr werden. Die Künstlerin starb kurz nach der Geburt ihrer Tochter an einer Embolie (siehe Seite 17). Ob sie an einer Grunderkrankung litt, ist nicht überliefert.

In früheren Zeiten wurden Frauen mit lebensbedrohlichen Grunderkrankungen nicht schwanger, oder aber sie starben, bevor sie schwanger werden konnten. Ein Beispiel dafür ist der Diabetes mellitus: In der Vor-Insulin-Ära waren die betroffenen Frauen meist unfruchtbar. Außerdem führte diese Erkrankung in der Regel dazu, dass sie früh an den Krankheitsfolgen starben. Trat dennoch eine Schwangerschaft ein, kam es oft zu lebensbedrohlichen Komplikationen.

Mit dem modernen Lebensstil verbunden sind neue Risiken. So hat sich der Anteil von Menschen mit schwerer Adipositas (BMI > 40) in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt.

Die Fortschritte in der Medizin in den letzten 50 Jahre haben viele Erkrankungen behandelbar gemacht. Betroffene Frauen sind oft fruchtbar, oder sie werden durch die Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin schwanger. Begleiterkrankungen – sogenannte medical comorbidities – erhöhen dabei die maternale Mortalität um das Sechsfache.

Ein weiterer Risikofaktor für mütterliche Morbidität und Mortalität ist das immer weiter steigende Alter von Müttern. Ab 35 Jahren steigt die mütterliche Mortalität um mindestens 10 % pro weiterem Lebensjahr an.

In der Summe führt dies dazu, dass wir heute immer häufiger mit der Betreuung von kranken Schwangeren konfrontiert sind. Typische Situationen sind:

  • langjähriger, schlecht eingestellter Diabetes mellitus (oft Typ II), mit oder ohne metabolisches Syndrom
  • massives Übergewicht
  • relevante Herzerkrankungen
  • akute Leukämien in der Schwangerschaft
  • terminale Niereninsuffizienz
  • Leberzirrhose mit Leberversagen und Ösophagusvarizen.

In Deutschland weniger relevant, weltweit aber ein großes Problem sind zum Beispiel auch Malaria, Tuberkulose und HIV.

Die typischen, und eigentlich physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft – hier vor allem die Kreislaufadaptationen – können bei Schwangeren mit relevanten Grunderkrankungen zu einer Dekompensation der Erkrankung führen. Verstirbt eine Schwangere oder Wöchnerin an den Folgen einer solchen Erkrankung, sprechen wir von einem indirekten mütterlichen Sterbefall (siehe auch Seite 10).

Es ist schwer, genaue Angaben über die Häufigkeit von Todesfällen aufgrund von relevanten Grunderkrankungen zu machen. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass mindestens jeder zehnte mütterliche Todesfall mit einer Grunderkrankung im ursächlichen Zusammenhang steht. Dies bedeutet, dass bei einer Gesamtzahl von weltweit rund 300.000 mütterlichen Todesfällen pro Jahr 30.000 Frauen davon betroffen sind.

Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass der Anteil indirekter Sterbefälle an der Gesamtmortalität steigt. Die meisten mütterlichen Todesfälle ereignen sich in Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen. Für Deutschland stehen keine genauen Angaben zur Verfügung, weil verbindliche Register fehlen (siehe auch Seite 34 ff.). Es ist davon auszugehen, dass die Gesamtzahl von indirekten Müttersterbefällen im einstelligen Bereich pro Jahr liegt – mit einer vermutlich hohen Dunkelziffer (siehe Seite 8 ff.).

Im Folgenden werden einige klinische Situationen exemplarisch diskutiert und die wichtigsten Punkte für die Betreuung der Frauen dargestellt.

 

Diabetes mellitus und metabolisches Syndrom

 

In der Ära moderner antidiabetischer Therapie sind diabetische Folgeschäden bei jungen Frauen seltener geworden. Das steigende Alter werdender Mütter sowie eine nicht immer optimale Umsetzung ärztlicher Ratschläge und Therapien führen indessen dazu, dass einige Schwangere diabetische Folgeschäden entwickeln. Sie haben damit ein hohes Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen.

Im Vordergrund stehen vaskuläre Komplikationen wie diabetische Retinopathie und Myokardinfarkt sowie akute Stoffwechselentgleisungen (diabetisches Koma). Die damit einhergehende, ausgeprägte metabolische Azidose bedroht auch das Kind. Außerdem ist das Kind dadurch gefährdet, dass in diesen klinischen Umständen häufig eine diabetische Fetopathie mit all ihren Komplikationen auftritt.

Essenziell in der Betreuung von solchen diabetischen Schwangeren ist zum einen die sorgfältige Diagnose diabetischer Veränderungen. Dazu gehört etwa die augenärztliche Kontrolle mehrmals in der Schwangerschaft. Zum anderen ist eine sorgfältige Stoffwechselkontrolle wichtig. Eine hyperglykämische Entgleisung mit schwerer Ketoazidose kann sich klinisch sehr variabel äußern. Deshalb ist bei Störungen des Allgemeinbefindens großzügig eine entsprechende Diagnostik durchzuführen, unter anderem durch eine Blutgasanalyse.

Schwangere mit diabetischen Folgeschäden oder insuffizient eingestelltem Diabetes sollten interdisziplinär betreut werden. Eine zentrale Rolle spielen hier DiabetologInnen, die Erfahrung in der Betreuung von Schwangeren haben. Ihre Begleitung sollte von erfahrenen PerinatologInnen koordiniert werden. Die frühzeitig begleitende Schwangerenbetreuung durch Hebammen spielt hier ebenfalls eine wichtige Rolle (siehe DHZ 7/2018, Seite 10ff.)

Eine sorgfältige und individualisierte Planung ist wichtig, um eine für Mutter und Kind optimale Geburt zu erreichen. In Betracht gezogen werden müssen unter anderem das fetale Befinden und Schätzgewicht, die Parität und Co-Morbiditäten wie eine ausgeprägte Adipositas. Eine Sectio zu vermeiden, ist grundsätzlich anzustreben. Am ungünstigsten sind indessen Notsituationen wie eine akute fetale Dekompensation, ein Geburtsstillstand mit tief im Becken stehendem Kopf oder eine Schulterdystokie. Die dann notwendigen operativen Maßnahmen sind mit einem besonders hohen Risiko auch für die Mutter assoziiert. Dies muss in der Planung berücksichtigt werden.

Ein besonderes Risiko entsteht durch Glucocorticoide zur Lungenreifeinduktion. Schwangere mit schlecht eingestelltem Diabetes haben dadurch ein hohes Risiko für eine diabetische Stoffwechselentgleisung und bedürfen hier einer besonders intensiven Überwachung.

 

Massives Übergewicht

 

Schwangere mit einem Ausgangs-BMI über 40 und insbesondere über 50 sind einer Vielzahl von teils lebensbedrohlichen Risiken ausgesetzt (Stubert et al. 2018):

  • häufig bestehen Co-Morbiditäten wie einer schweren Hypertonie und/oder Diabetes mit Folgeschäden
  • ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen jeder Art
  • erhöhtes Thromboembolie-Risiko
  • geringere Wahrscheinlichkeit für eine komplikationsfreie oder -arme Geburt (bei einem BMI über 50 unter 50 %)
  • hohes operatives Sectiorisiko für die Mutter (insbesondere bei spät und unter suboptimalen Bedingungen durchgeführten sekundären Sectiones).

Es ist wichtig, Co-Morbiditäten während der Schwangerschaft zu erkennen und gut zu behandeln. Dies setzt ein sorgfältiges Assessment im Sinne von Diagnose, Bewertung und Beratung zu Beginn der Schwangerschaft voraus. Idealerweise erfolgt dies schon vor einer geplanten Schwangerschaft. Dann ist auch eine Gewichtsreduktion noch möglich. Hier – und im Verlauf der Schwangerschaft – ist die betreuende Hebamme besonders gefragt.

Während es früher das Ziel war, wegen des hohen Risikos für eine Wundheilungsstörung eine Sectio nach Möglichkeit zu vermeiden, setzt nun ein Umdenken ein: Eine Wundheilungsstörung ist in der Tat häufig, aber nur selten lebensbedrohlich. Das Risiko kann mit Vakuum-Wundverbänden reduziert werden.

Auf der anderen Seite ist die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche vaginale Geburt insbesondere bei Frauen mit einem BMI über 50 sehr gering. Gleichzeitig sind aber die potenziellen Risiken einer angestrebten vaginalen Geburt zum einen häufig, zum anderen auch schwerwiegend. Denn dabei kann eine technisch schwierige und damit gefährliche sekundäre Sectio nötig werden, es kann zu einer nicht zu bewältigenden Schulterdystokie und anderen Komplikationen kommen.

Eine sorgfältige Geburtsplanung im Vorfeld ist erforderlich. Und es kann weise sein, hier in Abwägung der individuellen Situation eine primär geplante Sectio zu empfehlen.

 

Lebensbedrohliche Herzerkrankungen

 

Bei Schwangeren sind vor allem angeborene Herzfehler, sogenannte Cardiomyopathien sowie das Marfan-Syndrom und andere sogenannte Kollagenopathien zu berücksichtigen. Schwangere, die »leichte« Herzfehler wie leichte Klappeninsuffizienzen haben oder bei denen ein Vorhof- oder Ventrikelseptumdefekt erfolgreich verschlossen wurde, sind im Normalfall nicht besonders gefährdet.

Aufgrund des physiologischen Abfalls des systemischen Widerstands mit konsekutivem Anstieg des intravasalen Volumens um bis zu 50 % führen andere Herzprobleme hingegen oft zu einer Dekompensation während der Schwangerschaft, unter der Geburt und vor allem im frühen Wochenbett (oft unmittelbar postpartal):

  • bei (insbesondere höhergradigen) Klappenstenosen
  • bei einer vorbestehenden relevanten Herzinsuffizienz
  • bei pulmonalem Bluthochdruck oder
  • bei sogenannten palliativ behandelten, komplexen Herzfehlern (dabei versorgt oft ein Ventrikel beide Kreisläufe).

Generell gilt: Wenn die Schwangeren schon bei leichter körperlicher Betätigung oder gar in Ruhe über kardiale Beschwerden wie Atemnot, Brustschmerzen oder Schwächegefühl klagen, ist von einem hohen Risiko für Komplikationen auszugehen.

Eine besondere Rolle spielen Bindegewebserkrankungen wie das Marfan-Syndrom. Dabei besteht ein individuell erhöhtes und teils sogar extrem hohes Risiko für eine Aortenruptur, meist mit fatalem Verlauf. Bei herzkranken Frauen ist eine sorgfältige individuelle Risiko-Evaluation und Beratung vor einer Schwangerschaft wichtig. Wenn sie ein extrem erhöhtes Risiko tragen, wie schweren pulmonalen Hochdruck oder eine ausgeprägte Aortendilatation beim Marfan-Syndrom, muss ihnen von einer Schwangerschaft abgeraten werden. Das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie Fehl- und Frühgeburt, intrauterine Wachstumsretardierung und teils auch Präeklampsie ist erhöht. Die Schwangerschaftsvorsorge muss sich daran ausrichten.

Die Schwangeren brauchen eine sorgfältige und engmaschige Überwachung durch erfahrene KardiologInnen. Auch hier sollte die Betreuung von erfahrenen PerinatologInnen koordiniert werden.

Unter der Geburt und unmittelbar danach kommt es regelhaft zu profunden Volumenverschiebungen:

  • Uteruskontraktionen führen zu einer Freisetzung von mehreren 100 ml Blut aus den Gefäßen des uterinen Gewebes.
  • Schon unter der Geburt, vor allem jedoch unmittelbar danach werden größere Mengen Blut aus dem »venösen Pooling« der Beine in den Kreislauf freigesetzt.
  • Unmittelbar nach der Geburt kann es zu Blutverlusten aus Geburtsverletzungen kommen, im Zusammenhang mit der Plazentalösung dann zu Verlusten aus der Plazentahaftstelle.

Im Normalfall balanciert sich das in etwa aus. Es kann jedoch auch zu »Netto-Verlusten« oder »Netto-Gewinnen« kommen. Dies wird von gesunden Frauen normalerweise gut toleriert. Bei relevant eingeschränkter kardialer Reserve kann es jedoch rasch zum Kollaps kommen, der unter Umständen fatal endet. Daraus erklärt sich, dass grundsätzlich eine normale Geburt unter Analgesie und Stressabschirmung mittels PDA angestrebt werden sollte. Dies ist zumeist der Geburtsweg mit der geringsten kardialen Belastung. Bei relevanter kardialer Belastung ist ein invasives Monitoring notwendig. Die Betreuung solch kritisch kranker Schwangerer muss in einem Zentrum mit ausreichender Expertise erfolgen.

 

Die Rolle der Hebamme

 

Neben dem wachen Auge bei der Vorsorge, sollten Hebammen zwei Aspekte besonders berücksichtigen: Diese Patientinnen sind oft auch psychisch ausgeprägt belastet und nicht zu Unrecht voller Angst. Die Hebamme hat in der Regel eine emotional wesentlich engere Beziehung zu ihr als FachärztInnen und kann deshalb moderierend wirken. Dies hat oft einen genauso großen oder sogar größeren Einfluss auf das Outcome als die medizinischen Therapien.

In der Nachsorge hat die Hebamme wesentlich mehr Einfluss auf die Patientin und kann ihr weitere ärztliche Maßnahmen vermitteln, die oft entscheidend sind.

 

Betreuungsgrundsätze und Hilfen

 

  1. Generell ist bei Schwangeren mit lebensbedrohlichen Grunderkrankungen ein individualisiertes und interdisziplinäres Management notwendig. SpezialistInnen für die Grunderkrankung wie auch PerinatologInnen müssen über Erfahrung in diesen kritischen Situationen verfügen.
  2. Die Betreuung und Überwachung muss entsprechend der Situation engmaschig sein.
  3. Immer wichtig – hier aber besonders – ist die Vermeidung sogenannter »Schnittstellenverluste«: Die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen muss gut organisiert sein, also zwischen PerinatologInnen als SpezialistInnen für die Grunderkrankung, Hebammen und anderen. Neben schriftlicher Kommunikation ist oft auch ein Telefonat sinnvoll. Eine interdisziplinäre Fallkonferenz kann helfen, einen klaren Betreuungs- und Geburtsplan zu erstellen.
  4. Oft bestehen Unklarheiten über zulässige Medikamente in der Schwangerschaft. Hier helfen die einschlägigen Beratungsstellen weiter (www.embryotox.de; www.reprotox.de). Diese bieten auch individualisierte Beratungen an.
  5. Die International Society of Obstetric Medicine (ISOM) bietet auf ihrer Website verschiedene Ressourcen zur Betreuung von Frauen mit relevanten Grunderkrankungen an (www.isomnet.org). Besonders hilfreich ist eine E-Mail-Diskussionsgruppe, in der erfahrene ExpertInnen befragt werden können.

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 08/2018

Literatur

Stubert J, Reister F, Hartmann S, Janni W: The Risks Associated With Obesity in Pregnancy. Dtsch Arztebl Int 2018. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0276. 115(16): 276–83

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