Übungen am Phantom

Tastbefunde leicht gemacht

Pathologische Einstellungs- und Haltungsanomalien treten bei Geburten selten auf. Deshalb fällt es lernenden Hebammen schwer, solche Befunde sicher zu erkennen. Übungen am Phantom haben sich als Einsteigersimulation für das Ertasten bewährt. Susanne Mack

Stellt sich der kindliche Kopf bei der Geburt nicht richtig im Becken ein, ist meist mit einem protrahierten Geburtsverlauf zu rechnen, in manchen Fällen auch mit einem Geburtsstillstand. Wenn die Hebamme abweichende Einstellungen des kindlichen Kopfes frühzeitig erkennt, kann sie die Geburt aber oftmals günstig beeinflussen, etwa indem sie die Frau zu entsprechenden Gebärhaltungen anleitet. Dadurch kann sie eine Sectio wegen Geburtsstillstands oder wegen geburtsunmöglicher Lage vielleicht vermeiden. Das frühzeitige Erkennen einer ungünstigen Einstellung des kindlichen Kopfes ist daher eine wichtige Fertigkeit der Hebamme.

Auf eine Einstellungsanomalie weisen oft schon äußere Kennzeichen hin, wie Kreuzschmerzen, früher Pressdrang, auffällige Bauchform, auffälliger Befund bei der Palpation des Bauches (Leopoldsche Handgriffe) oder dass sich die Herztöne am besten an einer eher untypischen Stelle ableiten lassen, zum Beispiel sehr weit seitlich oder in der Mitte des Bauches.

Die vaginale Untersuchung ist jedoch am wichtigsten, um eine pathologische Einstellung zu diagnostizieren. Mit einer genauen Vorstellung davon, wie das Kind liegt, sind passende hilfreiche Maßnahmen leichter zu finden.

 

Räumliches Denken schulen

 

Da pathologische Einstellungen eher selten sind, können Hebammen in der Praxis nicht gut üben, sie zu erkennen. Hier kann ein geburtshilfliches Phantom nützlich sein. Das Phantom enttäuscht allerdings, wenn man die Erwartung hat, dass es die taktilen Verhältnisse bei der vaginalen Untersuchung wiedergeben könnte. Das ist durch Phantome oder sonstigen Materialien, die im Skills-Training für vaginale Untersuchungen benutzt werden, nicht annähernd möglich. Die Stärke des Phantoms liegt darin, dass es hilft, das räumliche Denken zu schulen. Es kann Hebammen veranschaulichen, wie der Tastbefund von Schädelnähten und Fontanellen mit der Lage des Kindes zusammenpassen. Bevor man mit der Übung »Ich stelle dir was ein und du musst es ertasten« beginnt, sollte man sich mit dem Phantom vertraut machen, sich im wahrsten Sinne des Wortes an das Phantom herantasten. Es ist hilfreich, zuerst selbst das Kind am Phantom mehrfach einzustellen und den Vaginalbefund dazu anzusehen und zu ertasten.

 

Sich mit den Grundlagen vertraut machen

 

Die folgende Übung dauert etwa 45 Minuten und soll dieses Herantasten an das Phantom erleichtern (hier ein Phantom von Schultes-medacta). Sie wurde mehrfach an Hebammenschulen getestet und die Schülerinnen fanden sie sehr hilfreich. Neben dem geburtshilflichen Phantom, der Puppe und vielleicht etwas Talkum-Puder für ein besseres Rutschen, brauchen Sie dafür ein knöchernes Becken, etwas Klebeknete, einen Faden von etwa 12 cm Länge und ein dickes, großes Haushaltsgummi, das 35 cm umfassen kann.

Schlagen Sie die »Bauchdecke« zurück und schauen Sie von oben in das Becken. Wo ist das Promontorium? Wo ist die Symphyse? Wo ist der Beckeneingang? Tasten Sie vom Promontorium abwärts das Kreuzbein ab. Tasten Sie vorne hinter die Symphyse.

Schauen Sie das Phantom nun »von unten« an, öffnen Sie dazu zunächst den Reißverschluss (bitte sehr vorsichtig!) und entfernen Sie die Vulva.

Tasten Sie nun von unten das Kreuzbein ab.

Legen Sie das knöcherne Becken auf das Phantom und vergleichen Sie die knöchernen Strukturen, die Sie am Phantom tasten können, mit dem knöchernen Becken (siehe Abbildung 1). Tasten Sie von der Symphysenhinterfläche einen Schambeinast entlang nach unten, vergleichen Sie mit dem knöchernen Becken.

 

 

Abbildung 1: Vergleich knöchernes Becken und Phantom

Machen Sie die beiden Spinae ischiadicae ausfindig. Kleben Sie auf die Spinae ein wenig Patafix und verbinden Sie die beiden Spinae mit einem Faden. Dies ist die Interspinallinie.

Nehmen Sie die Puppe und spannen Sie um den Kopf das Gummi so fest, dass es dem Hutmaß (circumferentia fronto-occipitalis) entspricht. Dies ist der größte geburtshilflich wirksame Umfang, wenn der Kopf noch nicht gebeugt ist.

Führen Sie den Kopf des Kindes so in das Becken ein, dass das Hutmaß genau im Beckeneingang ist. Der Kopf schaut auf die rechte Seite der Mutter und ist weder gebeugt noch gestreckt (siehe Abbildung 2).

 

Abbildung 2: Höhenstand I ± 0 bzw. tief und fest im Beckeneingang

Schauen Sie von unten nach: Die Leitstelle des Kopfes müsste nun genau auf der Interspinallinie sein. So steht der Kopf, wenn er »tief und fest im Beckeneingang« steht (nach Pschyrembel) oder »I ± 0« (nach De Lee).

Mit den Leopoldschen Handgriffen würden Sie den Kopf bei diesem Höhenstand kaum mehr tasten können.

Bitte lassen Sie den kindlichen Kopf nun von einer Person festhalten und entfernen Sie dann von unten den Faden (»Interspinallinie«). Danach schließen Sie den Reißverschluss (Vulva) wieder.

Untersuchen Sie nun in aller Ruhe von unten und prägen Sie sich ein, wie sich dieser Befund anfühlt: Kopf tief und fest im Beckeneingang, Pfeilnaht quer. Vergleichen Sie die Leitstelle mit der Höhe der Spinae ischiadicae.

Bitte beachten Sie: Bei der Untersuchung einer Gebärenden würden Sie bei diesem Höhenstand die Hinterwand der Symphyse nicht mehr tasten können, beim Phantom können Sie das aber noch sehr gut tasten. Daher merken Sie sich: Um beim Phantom den Höhenstand einschätzen zu können, müssen Sie sich unbedingt an den Spinae ischiadicae orientieren!

Üben Sie sich darin, die Spinae ischiadicae auf beiden Seiten blind zu ertasten.

In der Realität sind die Spinae ischiadicae nicht so einfach zu tasten wie am Phantom, da sie unter einem Polster von Weichteilen liegen. Am Phantom können Sie üben, in welcher Richtung sie zu erwarten sind.

 

Haltungsanomalien im Beckeneingang

 

Die Haltungsanomalien, die nur im oder über dem Beckeneingang vorkommen, sind: hoher Geradstand, Scheitelbeineinstellung oder Roederer-Kopfhaltung. Hier steht der Kopf immer höher als »tief und fest im Beckeneingang« oder »I ± 0«!

 

Der hohe Geradstand

 

Stellen Sie den Kopf als hohen Geradstand ein: Die Pfeilnaht ist im geraden Durchmesser, dabei zeigt der Rücken entweder nach vorne (dorsoanteriorer hoher Geradstand, siehe Abbildung 3) oder nach hinten (dorsoposteriorer hoher Geradstand). Der Kopf passt mit seinem größten Umfang nicht in den Beckeneingang, da er noch nicht gebeugt ist (das Hutmaß), er ist dem Becken aufgesetzt. Am Phantom lässt sich der Kopf tiefer stellen als es in der Praxis tatsächlich möglich wäre.

 

Abbildung 3: Dorsoanteriorer hoher Geradstand

Tasten Sie nun den Befund von unten. Vergleichen Sie wieder den Höhenstand der Leitstelle mit dem Höhenstand der Spinae ischiadicae. Stellen Sie den Kopf abwechselnd dorsoanterior und dorsoposterior ein.

Schauen Sie wieder von oben auf die Situation: Bereits bei der Palpation des Bauches könnten Sie gegebenenfalls feststellen, dass der Kopf sich schmaler anfühlt, als wenn er quer eingestellt wäre. Beim Ableiten des CTG wären die Herztöne sehr gut in der Mitte oder ganz an der Seite am besten zu finden. Diese Einstellung des kindlichen Kopfes ist auch gut im Ultraschall zu erkennen.

 

Die hintere Scheitelbeineinstellung

 

Stellen Sie den kindlichen Kopf folgendermaßen ins Becken ein: Der Kopf schaut zur Seite, er ist weder gebeugt noch gestreckt. Das Scheitelbein, das nach vorne (symphysenwärts) zeigt, drückt gegen die Symphyse. Das hintere (dem Kreuzbein der Mutter zugewandte) Scheitelbein steht tiefer im Becken als das vordere Scheitelbein.

Schauen Sie sich den Befund zunächst von unten an, gegebenenfalls öffnen Sie wieder den Reißverschluss: Das hintere Scheitelbein führt, die Pfeilnaht ist nach vorne zur Symphyse abgewichen. Tasten Sie den zuvor gesehenen Befund nun von unten. Versuchen Sie, in Führungslinie zu untersuchen. Tasten Sie nach der Pfeilnaht, die unter der Symphyse zu spüren ist. Vergleichen Sie den Höhenstand der Leitstelle mit dem Höhenstand der Spinae ischiadicae.

Diese Einstellung wird auch als »Litzmannsche Obliquität« bezeichnet und macht die Geburt unmöglich, wenn sie sich nicht verändern lässt.

 

Abbildungen 4: Hintere Scheitelbeineinstellung

 

Abbildungen 5: Hintere Scheitelbeineinstellung

 

Die vordere Scheitelbein­einstellung

 

Stellen Sie den kindlichen Kopf so in das Becken ein, dass das vordere Scheitelbein in Führungslinie zu tasten ist. Die Pfeilnaht ist quer und der Kopf weder gebeugt noch gestreckt. Dazu müssen Sie das Kind relativ steil ins Becken einstellen, weil der Hals der Puppe seitlich nicht sehr beweglich ist.

 

Abbildung 6: Vordere Scheitelbeineinstellung

Tasten Sie den Befund von unten. Tasten Sie nach der Pfeilnaht, die nun in der Kreuzbeinhöhle zu fühlen ist. Vergleichen Sie den Höhenstand der Leitstelle mit dem Höhenstand der Spinae ischiadicae. Diese Einstellung wird auch als »Naegele-Obliquität« bezeichnet und ist geburtsmöglich. Eine leichte Abweichung der Pfeilnaht nach hinten oder vorne ist physiologisch. Erst, wenn die Pfeilnaht stark abgewichen ist, spricht man von einer vorderen oder hinteren Scheitelbeineinstellung (siehe Abbildung 7a–7c).

 

Abbildung 7a): Das mütterliche Becken; b): Vordere und hintere Scheitelbeineinstellung im Vergleich: Die Pfeilnaht ist nach hinten abgewichen (vordere Scheitelbeineinstellung); c): Die Pfeilnaht ist nach vorne abgewichen (hintere Scheitelbeineinstellung)

Diese Einstellung kommt durch eine ungleiche Neigung des kindlichen Kopfes zustande, weshalb sie auch vorderer oder hinterer »Asynklitismus« genannt wird.

 

Die Roederer-Kopfhaltung

 

Die Einstellung nach Roederer heißt, dass der Kopf im Beckeneingang bereits gebeugt ist. Stellen Sie dies im Phantom ein. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten.

 

Der tiefe Querstand

 

Stellen Sie den Kopf als tiefen Querstand ein. Das heißt, der Kopf steht auf dem Beckenboden/Leitstelle I + 4, so dass kaum mehr ein Finger zwischen den Beckenboden und den kindlichen Kopf passt. Die Pfeilnaht steht quer.

Die Herausforderung bei diesem Befund ist zu tasten, welche Fontanelle auf welcher Seite steht. Dazu müssen Sie die Fontanellen blind voneinander unterscheiden können. Üben Sie sich darin, indem Sie den Kopf von einer Kollegin abwechselnd in erster und zweiter Stellung im tiefen Querstand einstellen lassen. Die Unterscheidung der beiden Fontanellen wird Ihnen vor allem bei den Deflexionslagen von Nutzen sein.

Bei der Puppe fällt die große Fontanelle sehr groß aus. Beim Kind unter der Geburt ist die Fontanelle dagegen kaum mehr als große Lücke zu tasten – vor allem nach Blasensprung, wenn die Schädelknochen beginnen, sich übereinander zu schieben. Man erkennt die große Fontanelle daran, dass hier vier Nähte aufeinandertreffen, nämlich Pfeilnaht, beide Seiten der Kranznaht und Stirnnaht. Bei der kleinen Fontanelle treffen nur drei Nähte aufeinander, die Pfeilnaht und beide Teile der Lambdanaht (sutura lambdoidea).

 

Die hintere Hinterhauptslage

 

Stellen Sie den kindlichen Kopf zunächst physiologisch ein: tief und fest im Beckeneingang (I ± 0), Pfeilnaht quer, Rücken links, Kopf weder gebeugt noch gestreckt. Oft ist der Kopf bei diesem Höhenstand bereits etwas gebeugt und der Rücken liegt meist nicht mehr ganz auf der Seite, sondern zeigt schon etwas nach vorne.

Spielen Sie den physiologischen Geburtsverlauf bei der vorderen Hinterhauptslage durch. Tasten Sie dabei regelmäßig von unten den Höhenstand und vergleichen ihn immer mit dem Höhenstand der Spinae ischiadicae. Tasten Sie den Pfeilnahtverlauf sowie die kleine Fontanelle, die hier in Führungslinie kommt. Der Kopf beugt sich und das Hinterhaupt dreht sich nach vorne unter die Symphyse (normale vordere Hinterhauptslage).

Spielen Sie den Geburtsverlauf noch einmal durch, nun mit einer zweiten Stellung: Der Rücken liegt diesmal rechts. Beachten Sie auch hier den Verlauf der Pfeilnaht, sie verläuft über den schrägen Durchmesser in den geraden Durchmesser.

Stellen Sie nun den Kopf in Beckenmitte ein (Leitstelle I + 2), der Rücken ist links wie in der ersten Stellung. Einmal stellen Sie ein, wie der Kopf bei vorderer Hinterhauptslage, dann zum Vergleich, wie er bei hinterer Hinterhauptslage steht.

Wiederholen Sie das bei der zweiten Stellung mit dem Rücken nach rechts. Schauen Sie sich dabei immer wieder von oben an, wie das Kind liegt.

 

Vorderhaupt-, Stirn- und Gesichtslage

 

In Deflexionslagen drehen sich die Kinder fast immer mit dem Rücken nach hinten, wie in der hinteren Hinterhauptslage. Es gibt zwar Ausnahmen, diese sind jedoch extrem selten. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass sich der Rücken nach hinten dreht.

Beginnen Sie mit der Vorderhauptslage: Stellen Sie den Kopf in Beckenmitte zunächst so ein wie bei der ersten hinteren Hinterhauptslage (Rücken links, Rücken dreht sich nach hinten). Dann strecken (deflektieren) Sie den Kopf so weit, bis die große Fontanelle in Führung kommt. Tasten Sie von unten. Dies ist eine erste Vorderhauptslage.

Drehen Sie die Puppe um 90°, so dass es einer zweiten Vorderhauptshaltung entspricht – der Rücken befindet sich nun rechts hinten, die große Fontanelle in Führung – und tasten Sie von unten.

Strecken Sie den Kopf nun so weit, dass die Stirn in Führung kommt. Damit haben Sie die Stirnlage eingestellt. Kennzeichen der Stirnlage: Die Stirn ist in Führung, man tastet den Nasenrücken, aber man kommt nicht an das Kinn heran.

Probieren Sie, eine Gesichtslage einzustellen. Wie tief können Sie die Gesichtslage am Phantom einstellen?

Die Gesichtslage tastet sich in der Realität völlig anders als am Phantom, dessen Puppe hierfür viel zu hart ist. Sie sollten äußerst vorsichtig untersuchen, um Verletzungen des Kindes zu vermeiden.

 

Das räumliche Zusammenspiel begreifen

 

Das gezielte Üben am Phantom kann werdenden Hebammen dabei helfen, eine räumliche Vorstellung vom Zusammenspiel des kindlichen Kopfes und des mütterlichen Beckens zu bekommen. Die Übungen sollten Schritt für Schritt aufgebaut werden, damit sie sich zuerst mit einfachen Tastübungen sicher im Becken orientieren und danach etappenweise einzelne Anomalien ertasten können. So können die Schülerinnen ihr Wissen praxisnah ergänzen und vertiefen.

Zum Üben des Tastbefundes im Vierfüßlerstand kann das Phantom umgedreht und mit Klötzen gestützt werden (siehe Abbildung 8).

 

Abbildung 8: Umgedrehtes Phantom zum Üben der Befunderhebung im Vierfüßlerstand

Vergleichbare Geburtssimulatoren aus Silikon wirken oft lebensechter, man braucht jedoch Gleitmittel, um eine Puppe hindurch zu bewegen. Ein Phantom aus Leder ist im Alltag schneller einsatzbereit und muss anschließend nicht aufwendig gewaschen und getrocknet werden.

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 12/2018

Literatur

Stiefel A, Geist C, Harder U Hrsg. Hebammenkunde.
5. Auflage. Stuttgart. Hippokrates. 2013

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