Hebammenzentrale der Region Hannover

Selbstverwaltung leicht gemacht?

Wenn schon nur wenige Hebammen verfügbar sind, sollen diese möglichst sinnvoll auf schwangere Frauen verteilt werden. Und wenn es gar nicht reicht? Dann findet sich ein System, in dem sich Hebammen ihren Kapazitäten nach abwechseln und vertreten. Klingt nach viel Organisationsaufwand? Die Hebammenzentrale Hannover macht es möglich. Christina Aust
  • Das Team der Hebammenzentrale: Christina Aust, Christina Reinartz und Nina Obermeyer (v.l.n.r.)

  • Vielfältige Aufgaben greifen auf dem Weg zur Hebammenzentrale ineinander.

  • Frauen suchen Hebammen, aber auch die Zentrale sucht Hebammen, die ihre Arbeit über die Internetseite anbieten.

Einer Schätzung zufolge erhalten 30–35 % der schwangeren Frauen in der Region Hannover aufgrund des Hebammenmangels keine Hebammenbegleitung. Besonders ins Bewusstsein trat diese Mangelversorgung im Jahr 2017, als die lokale Presse über massive Schwierigkeiten bei der Schwangerenversorgung in Hannover berichtete.

Der Runde Tisch »Frauen und Mädchengesundheit« der Region Hannover beschloss daraufhin, gemeinsam mit dem Hebammenverband Niedersachsen e. V. an einer Lösung für dieses Problem zu arbeiten. Die Idee einer Hebammenzentrale für die Region Hannover wurde geboren. Hebammen des Berufsverbandes erarbeiteten ein Konzept und eine Arbeitsgemeinschaft wurde gegründet. Da die Schwierigkeiten in der Schwangerenversorgung stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt waren, bestand auch von Seiten der Politik großes Interesse an einer Verbesserung der Situation – und das parteiübergreifend. So konnte die Region Hannover für die Finanzierung des Projekts gewonnen werden. 360.000 Euro stellt sie für die ersten drei Jahre zum Aufbau und für die Arbeit der Hebammenzentrale zur Verfügung.

Da der Hebammenverband nicht über die Strukturen verfügt, entsprechendes Personal einzustellen und ein derartiges Projekt zu verwalten, wurde ein Kooperationspartner gesucht und im pro familia Landesverband Niederachsen e. V. auch gefunden. Zum April 2019 wurden drei Hebammen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden angestellt.

Zu Beginn hatte das Trio nur das Konzept für die Zentrale in der Hand – mehr nicht. Räume mussten eingerichtet und das theoretische Konzept mit praktischem Leben gefüllt werden. Ziele und Aufgaben wurden formuliert und Überlegungen angestellt, wie die Ideen am besten umgesetzt werden können. Hauptziel war und ist die Verbesserung der Hebammenversorgung in der Region Hannover. Aber die Hebammenzentrale soll nicht nur Frauen bei der Suche nach einer Hebamme unterstützen, sondern auch den freiberuflich tätigen Hebammen ihre Arbeit erleichtern.

 

Viereinhalb Monate Arbeit

 

Von Anfang an war klar, dass der Mittelpunkt des Angebots eine interaktive Internetseite sein sollte, auf der Frauen selbstständig nach verfügbaren Hebammen oder einem freien Kursplatz suchen können. Auch die Hebammen sollten auf dieser Seite in erster Linie autark vorgehen und ihre Angebote und freien Kapazitäten selbst verwalten können. Gleiches galt auch für die Angaben in ihrem öffentlichen Profil. Wichtig dabei war: Es werden ausschließlich originäre Hebammenleistungen veröffentlicht, also Leistungen, die über die Hebammen-Gebührenordnung abgerechnet werden können. Zusätzlich war ein redaktioneller Teil geplant, der die Schwangeren und ihre Familien mit allem Wissenswerten rund um die Hebammenleistungen informiert.

Die Internetseite sollte aber noch mehr ermöglichen: In einem internen Bereich musste für das Dreierteam der Hebammenzentrale eine spezielle Kalenderansicht erstellt werden. Über diese sollte es möglich werden, für Schwangere, die zunächst keine Hebamme finden, eine geteilte Betreuung zu organisieren. Die Idee: In Fällen, in denen die Versorgung nicht über eine einzelne Hebamme erfolgen kann, wird geprüft, ob die Betreuungszeit auf mehrere Hebammen verteilt werden kann, die sich phasenweise abwechseln. Auch mögliche Urlaubs- und Krankheitsvertretungen der Hebammen untereinander sollen über diesen Bereich der Webseite gesteuert werden. Gleiches gilt für Externats- und Praktikumsplätze, die für Berufseinsteigerinnen und -interessierte angeboten werden.

Fraglich war, wie viele Hebammen über die Seite überhaupt zu verwalten sein würden und wie hoch die Zahl der freiberuflich tätigen Kolleginnen in der Region Hannover ist. Hier begann Detektivarbeit. Zwar existierten Daten beim Gesundheitsamt, doch diese durften aufgrund der Datenschutzbestimmungen nicht ausgehändigt werden. Auch bestehende Internetportale verfügten über einen gewissen Bestand. Allerdings war fraglich, ob dieser vollständig war und selbst wenn das zuträfe, hätte er aus Gründen des Datenschutzes nicht ohne Weiteres einfach übernommen werden können. In Kleinstarbeit wurde daher das Internet durchsucht, alte Hebammenlisten wurden herausgekramt und jede Menge Kolleginnen befragt. Am Ende stand eine Liste mit etwas mehr als 300 Hebammen.

 

Technik als Herausforderung

 

Mit der Suche nach einem geeigneten Programm für die Internetseite begann die nächste Herausforderung: Zwar existierten bereits ein paar Hebammenzentralen, doch keine von ihnen hatte in dieser Form eine so hohe Zahl an Hebammen zu verwalten – eine Übernahme bestehender Programme war nicht möglich. Außerdem bestanden ja noch die erwähnten Extrawünsche.

Schließlich wurde eine Medienagentur beauftragt, die versprach, alle Bedarfe umsetzen zu können; parallel dazu wurde von einer anderen das Design erarbeitet. Die Seite wurde komplett nach den Wünschen der Hebammen gestaltet und programmiert. Das klingt erst einmal einfach, ist es aber nicht: Schließlich hatten die drei von der Zentrale zwar jede Menge Erfahrung als freiberufliche Hebammen, ein Konzept für eine Webseite hatte bislang allerdings noch keine von ihnen erstellt. Wie sollte was auf der Seite verknüpft sein, welche Funktionen sollten wo auftauchen und wie sollte das Ganze am Ende aussehen? Die Agenturen leisteten volle Unterstützung, die Hebammen konnten außerdem auf die Datenschutzbeauftragte des pro familia Landesverbandes zurückgreifen und am Ende bekamen sie das, was sie sich vorgestellt hatten.

Parallel zu der Arbeit an der Internetseite standen aber noch ganz andere Aufgaben an, die mit der eigentlichen Hebammenarbeit nur entfernt zu tun haben. Besuche bei größeren Hebammenpraxen, Hebammenverbänden und Qualitätszirkeln in der Region, um diese über die Arbeit der Zentrale zu informieren und Hebammen für die Unterstützung zu begeistern, waren eine große Aufgabe. Dabei fanden sich etliche Kolleginnen, die bereit waren, die neue Internetseite zu testen und zu bewerten, bevor sie endgültig online gehen konnte.

Auch zu anderen Berufsgruppen nahm das Team Kontakt auf. Die Netzwerkarbeit begann mit der Kontaktpflege mit VertreterInnen aus den unterschiedlichsten Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens. Parallel dazu wurden Informationsmaterialien, Medien zur Außendarstellung und Konzepte für spätere Informationsveranstaltungen erstellt. Auch daran waren die Hebammen inhaltlich und manchmal auch ausführend maßgeblich beteiligt.

 

Sich als Team finden

 

Ganz nebenbei lief die Teambildung. Die drei Kolleginnen hatten sich erst in der Hebammenzentrale kennengelernt und waren bislang daran gewöhnt, selbstständig zu arbeiten. Jetzt als Team zu funktionieren, war eine ganz andere Sache – die jedoch gut gelang. Nach ein paar Wochen war klar, wer welche Arbeit gut und effektiv erledigen konnte, alles Unklare wurde im Team geklärt und besprochen. Eine begleitende Supervision ist für die Zukunft geplant – und auch ein Teamcoaching, dafür war im Aufbruchstrubel einfach keine Zeit.

Die größte Umstellung von der Freiberuflichkeit auf das Angestelltenleben in der Zentrale ergab sich im Bereich der Verwaltung und Organisation. Urlaubsanträge, zusätzliche Verwaltungsaufgaben, keine Honorarabrechnungen mehr, sondern regelmäßige Gehaltszahlungen – alle Vor- und Nachteile der Festanstellung: Wer das zuvor noch nicht erlebt hatte, musste sich ganz schön umstellen.

 

Schneller als geplant

 

Laut Projektkonzept sollte die Zentrale nach etwa sechs Monaten mit der Hebammenvermittlung beginnen. Doch bereits nach viereinhalb Monaten war die Arbeit so weit vorangeschritten, dass die Zentrale eröffnet werden konnte. Am 19. August war es so weit: Alle ermittelten Kolleginnen der Region Hannover wurden zu einer Auftaktveranstaltung eingeladen. Dort wurden ihnen das Konzept und die neue Internetseite vorgestellt. Auch konnte hier die Frage geklärt werden, was das Team in den vergangenen Monaten gemacht hatte, denn viele Kolleginnen hatten erwartet, dass die Vermittlung gleich mit Aufnahme der Arbeit an dem Projekt beginnen konnte. Womit die seitdem vergangenen Monate verbracht wurden, zeigt die Grafik.

 

Daten selbst eingeben

 

Der pointierte Spruch der Postkarte, die der Außendarstellung der Hebammenzentrale dient, gibt das Problem gut wieder: Es wurden und werden Hebammen gesucht. Und das nicht nur von den Frauen, sondern auch von der Hebammenzentrale. Ohne Kolleginnen, die ihre Arbeit über die Zentrale anbieten, kann das Projekt nicht funktionieren. In den ersten vier Wochen registrierten sich etwa 70 Kolleginnen auf der Seite und konnten vermittelt werden. Täglich kommen neue Kolleginnen hinzu. Sie können ihre Daten auf der Internetseite eigenständig einpflegen und verwalten. Ihr Account wird allerdings erst dann freigeschaltet, wenn ihre Hebammenurkunde der Zentrale vorliegt.

An die Aktualisierung der Daten werden die Hebammen, die sich bei der Zentrale registriert haben, einmal im Monat per Mail erinnert. In dem Newsletter werden sie auch über die aktuelle Arbeit der Zentrale informiert. Bei Problemen mit dem Umgang mit der Internetseite unterstützen die Hebammen der Zentrale die Kolleginnen.

In ihrem Profil können die Hebammen ihren Arbeitsbereich auf den Stadt- oder Regionsteil genau angeben, ihre Sprechzeiten einfügen, es wird auf ihre eigene Homepage verlinkt, ihre Telefonnummer und auf Wunsch E-Mail-Adresse sowie freie Kapazitäten und originäre Hebammenleistungen sowie Fremdsprachen aufgenommen. Auch ob sie Externats- und Praktikumsplätze anbieten, wird abgefragt. Ebenso kann die Hebamme Rückbildungs- und Kursangebote einfügen, mit allen dazugehörigen Angaben. Das ist bei der Erstanmeldung ein ganz schönes Stück Arbeit. Wenn die Hauptdaten aber erst einmal eingegeben sind, können sie mit wenigen Klicks angepasst werden. Die kleinteilige Angabe der Verfügbarkeiten war aber ein Punkt, der den TesterInnen der Seite sehr wichtig war: Hebammen, die zwar keine Zeit für Wochenbettbesuche haben, können schließlich dennoch freie Kapazitäten bei der Stillberatung haben. Auf diese Rückmeldung hin wurde die Internetseite entsprechend angepasst – das soll im Laufe der Zeit auch immer wieder dann erfolgen, wenn Verbesserungsvorschläge kommen, die sinnvoll sind und sich umsetzen lassen.

Eine Sondereinstellung in jedem Hebammenprofil der Internetseite ist die Angabe »Zusätzlich freie Kapazitäten«. Diese können tageweise angeben werden und sind nur von den Mitarbeiterinnen der Zentrale einsehbar. Über diese Angaben sollen zum Beispiel bei Bedarf Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen vermittelt werden. Auch für Frauen, die aus Terminknappheit nicht durchgängig von einer Hebamme betreut werden können, soll mit diesen zusätzlichen Kapazitäten eine Betreuung vermittelt werden, die auf mehrere Hebammen aufgeteilt wird. Das wird von vielen Kolleginnen noch kritisch gesehen, scheint aber für die Versorgung von Frauen zukünftig notwendig zu sein, da einfach zu wenig Hebammen freiberuflich tätig sind. Wie genau die praktische Umsetzung dazu aussehen soll, wird derzeit in der Zentrale erarbeitet.

 

Telefonische und persönliche Beratung

 

Ein großer Teil der Arbeit der Hebammenzentrale läuft ganz von allein: Besucherinnen der Internetseite können auf der Seite selbstständig nach einer Hebamme suchen und direkt mit dieser in Kontakt treten oder sich für Rückbildungs- und Geburtsvorbereitungskurse anmelden. Wer auf der Website nicht fündig wird, kann während der telefonischen Sprechzeiten in der Zentrale anrufen. Täglich werden zwei telefonische Sprechzeiten von jeweils drei Stunden angeboten, zwei davon sogar am frühen Abend. Die Mitarbeiterinnen der Hebammenzentrale bieten allerdings keine fachliche Beratung an, sondern sind nur vermittelnd tätig und das ausschließlich telefonisch.

Frauen, die auch über die Zentrale keine Hebamme finden können, werden auf die Sprechstunden in der Region aufmerksam gemacht, die nichtaufsuchende Wochenbettbetreuung für Frauen ohne Hebamme anbieten. Ebenso werden die Frauen gebeten, sich auf der »Seite der Unterversorgung« einzutragen (siehe Link).

Vor-Ort-Termine gibt es bislang nur für Hebammen. Kolleginnen, die in die Freiberuflichkeit (wieder-)einsteigen wollen, können sich zum Beispiel kostenlos im Rahmen eines individuellen Gespräches beraten lassen. Dabei ist es egal, ob die Fragen Versicherungen für den Berufsalltag, Rentenversicherungspflicht oder die Organisation der Arbeitstage betreffen. Zudem gibt es für neue Kolleginnen in der Region Hannover ein Angebot zu einem ungezwungenen Austausch in der Hebammenzentrale.

Ab 2020 sollen auch regelmäßig Infoabende für Frauen und Paare in der Hebammenzentrale angeboten werden, die über den gesetzlichen Anspruch auf Hebammenhilfe und die praktische Umsetzung informieren.

 

Den Hebammenmangel erfassen

 

Ein wichtiger Punkt ist auch die Evaluation des Projektes, denn bislang existieren keine Daten zum Hebammenmangel in der Region Hannover. Jedes geführte Gespräch mit Frauen, Hebammen oder anderen Berufsgruppen wird daher in eine Statistik aufgenommen und ausgewertet. Nutzerinnen der Internetseite werden überdies gebeten, an einer Umfrage teilzunehmen, die Auskunft darüber geben soll, ob die Frauen eine Hebamme gefunden haben und wie sie an diese gelangt sind. Auch die teilnehmenden Hebammen werden regelmäßig befragt, wie viele Frauen sie über die Hebammenzentrale vermittelt bekommen haben.

In kurzer Zeit hat es eine Idee geschafft, praktisch umgesetzt zu werden, um in der Zukunft zu einem wirkungsvollen Instrument für die Versorgung schwangerer Frauen zu werden und freiberuflichen Hebammen zu helfen, ihre Arbeit einfacher zu strukturieren. Ein Modell, dass sich so auch in anderen Städten Deutschlands etablieren könnte.

 

Ziele der Hebammenzentrale

 

Für Schwangere und Mütter:

  • Vereinfachung und Unterstützung bei der Suche nach Hebammen und Kursangeboten
  • übersichtliches Angebot über freie Kapazitäten der Hebammen
  • weniger Frustration bei der Suche nach einer Hebamme
  • ausführlichere Beratung über Hebammenhilfe und den gesetzlichen Anspruch
  • Vernetzung von Frauen/Familien und Hebammen
  • bei Bedarf Vermittlung an andere Berufsgruppen wie KinderärztInnen, Physio- und ErgotherapeutInnen, Fachkräfte Frühe Hilfen und andere mit speziellen Kennnissen zu Schwangerschaft, Wochenbett, Geburt und Stillzeit

Für freiberufliche Hebammen:

  • gezieltere Vergabe freier Ressourcen
  • Hilfe bei der Suche nach Vertretung im Krankheitsfall/bei Bedarf nach einer Urlaubsvertretung
  • bessere Vernetzung der Hebammen unter­einander
  • Vernetzung und Austausch mit anderen Hebammenzentralen
  • Verbesserung der interprofessionellen Vernetzung
  • Beratung und Unterstützung beim (Wieder-)Einstieg von Hebammen in die Freiberuflichkeit/Vermittlung von Praktikumsplätzen
  • Unterstützung zu Fragen des Qualitätsmanagements

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 11/2019

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