Haben Sie (digitale) Lösungen, um Frauen und Familien auch unter Covid-19 bestmöglich erreichen zu können?

Die Corona-Krise stellt Hebammen vor die Herausforderung, Frauen und ihre Familien trotz Shutdown zu sehen, ihnen Rat und Hilfe anbieten zu können. Telefonieren geht immer, Kurse lassen sich auch per Videokonferenz durchführen. Doch was ist mit notwendigen Hausbesuchen? Elisabeth Niederstucke, Alessandra M. Scheede

Plötzlich kehrte absolute Stille ein …

 

Andrea Vierlinger, seit 30 Jahren Hebamme, hat 2007 »Die Hebammerei Wiesbaden« gegründet, in der sie mit einem rund 30-köpfigen, interdisziplinären Team Familien rund um Schwangerschaft und Familiengründung begleitet.

Zu Beginn der Corona-Welle stand die Schließung unserer Praxis am 10. März an, begleitet von Ratlosigkeit, wie es jetzt weitergehen soll, und Existenzangst. Wir haben an manchen Tagen zwischen 80 und 100 KursteilnehmerInnen in unseren Räumen und plötzlich kehrte absolute Stille ein. Nach anfänglicher Scheu vor der Technik und dem »kontaktlosen Kurs« sowie einer Mega-Stornowelle, die mich erstmal echt erdrückt hat, läuft es mittlerweile super! Wir haben innerhalb von drei Tagen nach Schließung einen Kameramann organisiert und angefangen, professionelle Videos zu drehen. Bei der gemeinsamen Arbeit haben wir viel Spaß gehabt! Die Rückmeldungen sind super und wir sind stolz auf die tollen Ergebnisse.

In den vergangenen Wochen haben wir Erfahrungen mit Online-Kursen im Bereich Geburtsvorbereitung, Yoga für Schwangere, Rückbildung, Erste-Hilfe-Kurse für Säuglinge, Musikkurse und begleitende Babykurse gesammelt.

Durch die Videos werden auch die zwölfstündigen Wochenendkurse sehr kurzweilig. Wir treffen uns via Zoom, besprechen alle Anliegen und geburtsvorbereitenden Themen live. Die TeilnehmerInnen können alle Fragen stellen – auch unter »vier Augen« via Chat oder E-Mail und bekommen zwischendurch Videos mit Übungen zur Körperarbeit gesendet, so beispielsweise Yoga für Schwangere, Beckenbodenwahrnehmung, Atemwahrnehmung, Partnermassagen … Das lockert das Ganze auf und zwischendurch bleibt auch noch die Gelegenheit unter den TeilnehmerInnen zur Kontaktaufnahme und zum Austausch. So erreichen wir auch Frauen, die eventuell wegen einer vorzeitigen Wehentätigkeit nicht in den Kurs hätten kommen können oder wegen der momentanen Betreuungssituation eines Geschwisterkindes keine Möglichkeit gehabt hätten. Ich denke, dass Corona uns noch eine Weile auf Distanz halten wird, aber wir sind trotzdem für unsere Frauen und Familien da und begleiten sie intensiv und professionell durch diese außergewöhnliche Zeit. Also, Kopf hoch und ran an die Arbeit!

 

Mit Augenmaß und Fingerspitzen­gefühl ausloten

 

Grit Kretschmar-Zimmer, freiberufliche Hebamme in Hoyerswerda, 2. Landes­vorsitzende in Sachsen, Bundesbeauftragte für die Berufsgenossenschaft

Ich bin dankbar über die derzeitige Möglichkeit, Frauen und Familien über WhatsApp zu erreichen. Diese Form der Videotelefonie ist zwar anstrengend für alle Beteiligten, bietet aber zumindest die Möglichkeit, sich beim Reden zu sehen. Das finde ich unglaublich wichtig! Zudem ist dieser Dienst günstig und weit verbreitet. Wenn man Kurse über Video machen möchte, kommt man momentan an Zoom nicht vorbei. Für die Rückbildung ist das gut nutzbar, für Geburtsvorbereitung kommt es für mich nicht in Frage. Hier nehme ich lieber die Abstandsregelungen und Hygienevorschriften in Kauf und kürze den Präsenzkurs soweit es geht. Ich glaube, man muss mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl ausloten, welche die jeweils passende Betreuungsform ist: Risikoabschätzung auf beiden Seiten und auch ein wenig Gelassenheit gehören dazu. Schön wäre es, wenn ein paar Regelungen diese ungewöhnliche Zeit überdauern. So kann ich mir gut vorstellen, die eine oder andere Breikostberatung per Video zu führen, vor allem wenn die Frau weit weg wohnt. Das könnte durchaus noch Versorgungslücken schließen, allerdings müssen dann die Kontingente um diese Videotelefonien erweitert werden und bräuchten eine zeitliche Staffelung — 29 Minuten für 7 Euro und 31 Minuten für knapp 32 Euro sind da kein Verhältnis. Auch muss dann der Datenschutz neu angeschaut werden. Ich habe mir ein Diensthandy ohne WhatsApp zugelegt und nutze derzeit mein Privates, eine nicht so glückliche Lösung. Es bleibt spannend! Bis dahin arbeiten wir wohl alle nahezu genauso viel — nur eben etwas anders.

 

»Wir rücken alle noch mehr zusammen …«

 

Katharina Trippen, Beleghebamme aus Hamburg, Partnerin der »Hebammenpraxis am Alsterlauf«

Das Corona-Virus hat ein Ausmaß angenommen, mit dem die meisten von uns im Februar wohl noch nicht gerechnet haben. Konkret hat das für uns als Praxis bedeutet, dass wir innerhalb von wenigen Tagen alle Kurse online zum Laufen bringen mussten und das tatsächlich dank großartiger Hilfe geschafft haben. Die meisten Frauen nehmen das deutlich gelassener als wir selbst: Vielen ist es sowieso schon vertraut, online zu arbeiten. Natürlich ist es für manche Frauen schwieriger, sich einen Rückzugsort zu schaffen, aber auch da gibt es Ideen und Kreativität. Die Frauen und Männer sind sehr dankbar, dass wir überhaupt eine Möglichkeit geschaffen haben für Kursangebote. Wir freuen uns sehr über so viel positives Feedback und sind selbst sehr stolz auf uns, dass wir –wahrlich keine »Digital Natives« – es doch so gut hinkriegen. Alle Kurse laufen über Zoom, Vorgespräche und Geburtsgespräche funktionieren auch online, damit wir den Kontakt zu PartnerInnen aufbauen können. Die Vorsorgen machen wir »normal« in der Praxis.

Eine sehr positive Erfahrung ist auch, dass die externen Kursgeberinnen sehr offen und neugierig mit der Situation umgegangen sind und für alles bereit waren. Wir rücken alle noch mehr zusammen, damit alle ihren Verdienst und ihre Zukunft absichern können.

 

Virtuelle Kreißsaalführung

 

Maren Gangnus, leitende Hebamme, Gehrden

Besondere digitale Lösungen haben wir nicht geschaffen. Aber unseren Info-Abend, haben wir online gestellt. Es gibt auch eine virtuelle Kreißsaalführung. Eine Kollegin aus unserem Team macht schon seit circa drei Wochen Rückbildungskurse online, die gut angenommen werden.

 

Wie auf einer Insel

 

Julia Steinmann, freiberufliche Hebamme MSc., Villingen-Schwenningen

In diesen speziellen Tagen haben wir unsere Praxistermine aufgestockt, um noch mehr Frauen Einzeltermine anbieten zu können. Es war für die Frauen wichtig, bei unseren Terminen ihre PartnerInnen mitbringen zu dürfen, da es für ihr Gefühl, die Schwangerschaft gemeinsam zu erleben, sehr wichtig ist, auch die Hebammentreffen zusammen wahrzunehmen. Dies war ihnen in den Praxen ihrer mitbetreuenden Fachärzte nicht möglich.

Viele Paare empfanden es in unserer Praxis »wie auf einer Insel«, auch wenn die gesteigerten Hygienemaßnahmen und der Geruch nach Desinfektionsmitteln eine große Rolle spielten und so manches Mal bei der Begrüßung das sonst übliche »Eröffnungsritual« fehlte. Wir Hebammen fühlten, wie während der Einzeltreffen mit den Frauen auch in uns selbst wieder Ruhe einkehren konnte, selbst wenn wir im Außen damit beschäftigt waren, für unser Unternehmen die richtige Vorsorge zu treffen, Kurse abzusagen, Kursalternativen zu prüfen oder Vorbereitung für den Falle einer möglichen Covid-19-positiven Geburtsbegleitung zu treffen. Bislang kam unsere speziell dafür vorbereitete Hausgeburtsausrüstung nicht zum Einsatz.

Obwohl wir es mehrfach prüften, haben wir uns gegen eine eigene Online-Kurslösung entschieden. Ein klein bisschen Erwartungshaltung konnten wir zwar von den Frauen spüren, aber unsere Hebammen haben sich auf die Einzelberatung inklusive Geburtsvorbereitungsinfos fokussiert. Wieder einmal konnten wir feststellen, dass NICHTS – wirklich gar nichts – den persönlichen Kontakt zu ersetzen vermag.

Rubrik: Beruf & Praxis, Covid-19 | DHZ 06/2020

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