Fallstudie aus Polen

Erfahrungen mit dem »Rusty Pipe Syndrom«

  • Die Grafiken zeigen die tatsächlichen Farbtöne der Kolostrumproben: a) Ausfluss am 1. Tag b) Kolostrum am 2. Tag c) Kolostrum am 3. Tag d) Kolostrum am 4. Tag

  • Das sogenannte »Rusty Pipe Syndrom« zählt zu den seltenen Krankheiten, die während des Stillens auftreten können: 0,1 % aller stillenden Frauen sind betroffen. Das Rusty Pipe Syndrom ist durch schmerzlosen und plötzlich auftretenden beidseitigen Ausfluss aus den Mamillen oder Verfärbung des Kolostrums gekennzeichnet, das ohne sichtbare mechanische Verletzungen der Brüste oder Brustwarzen auftritt. Der Grund liegt darin, dass kleine Blutbeimengungen in der Muttermilch dazu führen, dass sich diese rötlich-bräunlich verfärbt. Nach fünf bis sieben Tagen hört das Rusty Pipe Syndrom wieder von alleine auf. Kleinere Beimengungen von Blut in der mütterlichen Milch, die über einen kürzeren Zeitraum auftreten, sind häufiger, gehen oft mit wunden Brustwarzen einher und sind vom Rusty Pipe Syndrom abzugrenzen (Wszolek et al., 2021).

    Stillende Frauen kann das Auftreten des Rusty Pipe Syndroms stark verunsichern, weil das Kolostrum und die Übergangsmilch rostig rot und als Folge des Syndroms die Farbe des Erbrochenen eines Neugeborenen grünlich, bräunlich oder blutig sein kann: Dadurch kann die Angst der stillenden Mutter entstehen, das Neugeborene weiter anzulegen oder zu stillen. Es kann also ein Abstillgrund sein.

    Ist es nun bedenklich oder unbedenklich, ein Neugeborenes bei Auftreten des Rusty Pipe Syndrom weiter zu stillen? In Polen wurde hierzu eine Fallstudie publiziert und Empfehlungen abgeleitet (Katarzyna et al., 2022).

     

    Fallgeschichte

     

    Eine 29-jährige Erstgebärende mit diätetisch eingestelltem Gestationsdiabetes hatte eine Spontangeburt am Termin. Das Kind mit einem Geburtsgewicht von 3.180 g und einem Apgar Score von 8/10/10 wurde nach der Geburt auf die Neugeborenen-Intensivstation verlegt, da das Fruchtwasser zum Zeitpunkt der Geburt grün war, nachdem es eine Stunde vor der Geburt noch klar war. Auf der Neugeborenen-Intensivstation erhielt es als erste Mahlzeit Ersatznahrung bevor es zur Mutter in ein Rooming-in-Zimmer zurückverlegt wurde. Die Mutter beobachte bräunlichen Ausfluss und bräunlich-rötliches Kolostrum aus beiden Brüsten.

    Sie wurde in Bezug auf benigne Brusterkrankungen befragt und hatte einen positiven Befund. Da sie ein Fibroadenom in der linken Brust hatte, wurde das Kolostrum zytologisch untersucht. Die Untersuchung zeigte keine atypischen Zellveränderungen in den Kolostrumproben beider Brüste. Eine mikrobiologische Untersuchung der Milchproben wurde durchgeführt und zeigte Staphylococcus hominis und Streptococcus salivarius. Die Ergebnisse wurden daraufhin als unbedenklich eingestuft und die Frau stillte ihr Kind weiter. Zusätzlich wurden das Kolostrum, die Übergangsmilch und die Muttermilch in Bezug auf die enthaltenen Nährstoffe bis zum 10. Lebenstag untersucht. Es zeigten sich keine Auffälligkeiten. Fotografische Aufnahmen der Muttermilchfärbung wurden an verschiedenen Tagen gemacht, um den Verlauf zu dokumentieren.

    Der weitere Verlauf: Am zweiten Tag entwickelte sich die Milchbildung normal, jedoch war das Kolostrum immer noch dunkel gefärbt. Das Gewicht des Neugeborenen entwickelte sich normal, es betrug 170 ml weniger als das Geburtsgewicht und das Neugeborene setzte Urin und Stuhl ab. Am dritten Tag nahm das Neugeborene um 10 g zu und spuckte nicht mehr. Urin und Mekonium wurden abgesetzt und als unauffällig eingeschätzt. Das Kolostrum färbte sich rostrot. Das Neugeborene hatte normale Vitalzeichen, ein weiches Abdomen und zeigte eine leichte Gelbfärbung. Am vierten Tag nach der Geburt wurde es unauffällig entlassen. Die Mutter berichtete, dass ab dem fünften Tag die Färbung der Muttermilch normal war.

     

    Mögliche Ursachen

     

    Die Autor:innen diskutieren diesen Fall als Form des Rusty Pipe Syndroms. Es ist gekennzeichnet durch eine erhöhte Anzahl an Erythrozyten in Kolostrum- und Milchproben beider laktierenden Brüste sowie normaler mikrobiologischer und zytologischer Testergebnisse. Die Blutbeimengungen hören von allein nach fünf Tagen auf. Als Ursache werden Verletzungen dünner Blutgefäße im Brustgewebe angenommen, die von alleine wieder heilen. Die Verletzungen können durch die Aufnahme der Laktation begründet sein oder anlagebedingt bei manchen Frauen auftreten, wenn eine Prädisposition besteht, dass Kapillargefäße besonders durchlässig sind.

    Die Autor:innen geben zu bedenken, dass es sinnvoll ist, bei Verdacht auf ein Rusty Pipe Syndrom benigne Brusterkrankungen auszuschließen. Anamnestisch kann dabei hilfreich sein, dass bei benignen Brusterkrankungen häufig nur eine Brustseite betroffen ist, die Milch also farblich an beiden Brüsten unterschiedlich ist. Zudem hält die Verfärbung der Milch länger an als beim Rusty Pipe Syndrom.

    Die Autor:innen schlussfolgern, dass Mütter im Stillen bestärkt werden sollten wenn sie vom „Rusty-Pipe-Syndrome“ betroffen sind.

    Quelle: Katarzyna, W., Małgorzata, P., Agata, W. P., Wioletta, M., Jan, M., Katarzyna, R., & Maciej, W. (2022). Blood-Stained Colostrum: A Rare Phenomenon at an Early Lactation Stage. Children (Basel, Switzerland), 9(2), 213. https://doi.org/10.3390/children9020213 ∙ Wszolek, K. M., Nowek, A., Odor, A., Piet, M., & Wilczak, M. (2021). Rusty pipe syndrome. Safety of breastfeeding. Ginekologia polska, 92(12), 902–904. https://doi.org/10.5603/GP.a2021.0188 ∙ DHZ

    Rubrik: 1. Lebensjahr

    Erscheinungsdatum: 09.11.2022