Berliner Studie

X-Chromosom lässt weibliche Embryonen langsamer wachsen

  • Eine Forschung aus Berlin zeigt, dass der X-chromosomale Einfluss weibliche Embryonen langsamer wachsen lässt.

  • Ein Berliner Forschungsteam hat auf dem X-Chromosom Gene gefunden, die Unterschiede zwischen der männlichen und weiblichen Embryonalentwicklung erklären. Die Erkenntnisse sind möglicherweise relevant für eine geschlechtersensible Medizin und Stammzelltherapie.

    Anders als der männliche legt der weibliche Embryo bei Mäusen in der frühen Entwicklung eine Pause ein. »Warum sich weibliche Säugetiere etwas langsamer entwickeln, ist unklar und Gegenstand von Diskussionen und Vermutungen«, sagt Edda G. Schulz, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG) in Berlin. »Es liegt aber auf der Hand, dass Gene auf dem X-Chromosom und ihre Dosierung für die Entwicklungsverzögerung verantwortlich sind. Wir wollten herausfinden, um welche Gene es sich dabei genau handelt.«

    Dass die Gene für die beiden Proteine auf dem X-Chromosom liegen, macht sie besonders interessant. Die Zellen von männlichen Säugetieren besitzen in der Regel jeweils ein X- und ein Y-Chromosom, weibliche dagegen zwei X-Chromosomen – sie benötigen allerdings nur eines. Einige Zeit nach der Befruchtung schalten die Zellen eines weiblichen Embryos daher das überzählige X-Chromosom ab, erklärt Schulz: »Während der ersten Tage der Entwicklung bekommen weibliche Zellen von den X-chromosomalen Genen sozusagen die doppelte Dosis. Das macht dieses Stadium für die Erforschung von Gen-Dosis-Effekten so spannend.«

    Tatsächlich konnten die Forschenden die Entwicklungsverzögerung umgehen, indem sie die neu gefundenen Gene auf einem der beiden weiblichen X-Chromosomen deaktivierten. »Mit der einfachen Dosis der Proteine verhalten sich frühe embryonale Stammzellen von weiblichen Mäusen so wie männliche, also fast als wenn es gar kein zweites X-Chromosom gäbe«, sagt Schulz. Umgekehrt ließen sich männliche Zellen auch verweiblichen, wenn sie eine doppelte Portion der Proteine bekamen.

    Wie Schulz erklärt, lassen sich aus den Befunden an Mäusestammzellen auch Schlüsse für Krankheiten bei Menschen ziehen. »Männer und Frauen sind für bestimmte Krebsarten unterschiedlich anfällig und dies muss nicht immer am Einfluss der Hormone liegen«, sagt die Gruppenleiterin.  Auch für die Stammzelltherapie hätten die Ergebnisse Folgen, denn bei der Kultivierung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) von Menschen gehe die Inaktivierung des X-Chromosoms manchmal verloren, mit unklaren Konsequenzen. Schließlich befinden sich auf dem Chromosom ganze 5 % der bekannten menschlichen Gene, die für die Fortpflanzung, Entwicklung des Gehirns und kognitive Prozesse wie Wahrnehmung und Lernen verantwortlich sind – und diese müssen wohldosiert sein.

    Quelle: Genolet O et al.: Identification of X-chromosomal genes that drive sex differences in embryonic stem cells through a hierarchical CRISPR screening approach. Genome Biol. 2021 Apr 16;22(1):110. https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-021-02321-2 Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, 3.5.2021 Informationsdienst Wissenschaft e.V., 3.5.2021 DHZ

    Rubrik: Medizin & Wissenschaft

    Erscheinungsdatum: 05.05.2021