Geburt als neuropsychosoziales Erlebnis

Wie hängen Oxytocin, Eins-zu-eins-Betreuung und Geburtserleben zusammen?

  • Ein Verständnis der Wirkungen des Hormons Oxytocin kann helfen, den physiologischen Geburtsverlauf zu fördern.

  • Psychosoziale Aspekte der Geburt wurden in der klinischen Geburtshilfe lange ignoriert. Jedoch wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Publikationen veröffentlicht, in denen mütterliche Oxytocinspiegel während der Geburt, die positiven Auswirkungen einer Eins-zu-eins Betreuung auf den Geburtsverlauf sowie der Wert einer positiven Geburtserfahrung aufgezeigt wurden. Die zentralen Aspekte dieser Publikationen wurden in Form einer Übersichtsarbeit zusammengeführt und daraus ein neues Geburtsmodell abgeleitet.

    Das Modell umfasst, dass Geburt erstmalig als neuropsychosoziales Erlebnis beschrieben wird. Hierbei wird besonders die Rolle des Gebärhormons Oxytocin aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. So zeigen die AutorInnen beispielsweise auf, dass der neurobiologische Prozess der Geburt positiv durch die Ausschüttung von körpereigenem Oxytocin während der Geburt beeinflusst wird, weil Oxytocin Auswirkungen auf das mütterliche Verhalten und die Entwicklung einer Vielzahl mütterlicher Gefühle hat. Der Prozess der Geburt und das Gebären werden durch die Ausschüttung von körpereigenem mütterlichem Oxytocin erleichtert. Die damit einhergehenden psychologischen Erfahrungen während einer Geburt können einen optimalen Übergang zur Mutterschaft fördern, weil das Hormon Oxytocin als Bindungshormon zwischen der Mutter und ihrem Kind wirkt. Ein von manchen Frauen spontan veränderter Bewusstseinszustand, der ebenfalls hormonell verursacht wird, kann Kennzeichen einer physiologischen Geburt sein. Frauen können aktiver ihr Kind in der Geburtsphase zur Welt bringen. Mütterliche Gefühle der Freude und des Stolzes können der Geburt ihres Kindes folgen.

    Die AutorInnen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass Zuhören und Beobachten der Gebärenden Faktoren sind, die eine wichtige Rolle während der Geburt spielen, weil diese sich positiv auf das Wohlbefinden der Mutter auswirken können, indem sie beispielsweise Sicherheit vermitteln. Dies steht in Zusammenhang zur endogenen Wirkung des Hormons Oxytocins, weil dieses dadurch stärker vom mütterlichen Körper ausgeschüttet wird. Dies wiederum trägt dazu bei, dass Schmerzen, Ängste und Stress abnehmen. Auswirkungen auf psychologische und physiologische Aspekte stehen somit in Zusammenhang zur Ausschüttung von körpereigenem mütterlichem Oxytocin. Durch eine Eins-zu-eins-Betreuung können diese Prozesse am besten bei physiologischen Geburtsverläufen gefördert werden, bei denen geburtshilfliche Interventionen durchgeführt werden, weil die Betreuung mit ganzer Aufmerksamkeit möglich ist. Ein Verständnis der vielfältigen Wirkungen des Hormons Oxytocin kann Frauen und deren PartnerInnen helfen, den physiologischen Geburtsverlauf zu verstehen und diesen zu fördern. Die AutorInnen empfehlen, weitere Forschung unter Berücksichtigung verschiedener kultureller und sozialer Hintergründe durchzuführen.

    Quelle: Olza I, Uvnas-Moberg K, Ekstrom-Bergstrom A et al.: Birth as a neuro-psycho-social event: An integrative model of maternal experiences and their relation to neurohormonal events during childbirth. PLoS One 2020. 15(7): e0230992. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0230992 ∙ DHZ

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 01.09.2020