Deutschland und Schweden

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf die Fertilitätsraten?

  • Welche Kontextfaktoren können das Absinken der Gesamtfertilitätsrate nach der Pandemie in Deutschland für das Jahr 2022 erklären? Auch die zunächst zögerliche Empfehlung zur Impfung in der Schwangerschaft könnte eine Rolle dabei spielen.

  • Die Gesamtfertilitätsrate beschreibt, wie viele Kinder eine Frau durchschnittlich im Laufe ihres Lebens bekommt, und ermöglicht einen Vergleich der demografischen Entwicklung innerhalb eines Landes sowie verschiedener Länder miteinander. Nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie zeigte sich in den Jahren 2020 und 2021 in verschiedenen Ländern ein Rückgang der Gesamtfertilitätsrate: Dies war jedoch in deutschsprachigen Ländern und Schweden nicht der Fall.

    Die aktuelle Evaluation statistischer Daten zeigte jedoch einen steilen Abfall der Gesamtfertilitätsrate in Deutschland und Schweden im Jahr 2022. So betrug die Gesamtfertilitätsrate in Deutschland im Jahr 2021 1,5 bis 1,6 Kinder pro Frau und sank im Jahr 2022 auf 1,3 bis 1,4: Dies entspricht einer um 14 % gesunkenen Gesamtfertilitätsrate. In Schweden betrug diese im Jahr 2021 1,7 Kinder pro Frau und sank im Jahr 2022 auf 1,5 bis 1,6, was einem Absinken um 10 % entspricht.

     

    Kontextfaktoren

     

    Diese Entwicklung wurde im Rahmen einer Studie zu pandemiebedingten Kontextfaktoren untersucht (Bujard et al. 2022): Welche Kontextfaktoren können das Absinken der Gesamtfertilitätsrate nach der Pandemie in Deutschland für das Jahr 2022 erklären? Das Autor:innenteam diskutierte hierzu vier relevante Einflüsse auf das Gebärverhalten in Zusammenhang zur Covid-19 Pandemie:

    1. Krise des Gesundheitswesens
    2. Ökonomische Krise
    3. Cocooning-Effekt
    4. Impfprogramme.

     

    Krise des Gesundheitswesens

     

    Die Krise des Gesundheitswesens umfasste laut Bujard und Autor:innenteam eine generelle Überlastung des Gesundheitssystems zur Zeit der Pandemie. Davon betroffen waren auch Angebote im Bereich der reproduktiven Medizin: Weniger Kinderwunschbehandlungen wurden durchgeführt. Sie weisen darauf hin, dass ein Rückgang der Gesamtfertilitätsrate auch nach früheren Pandemien, beispielsweise der Spanischen Grippe, in verschiedenen Ländern beobachtet wurde. Somit könnte die Überlastung des Gesundheitssystems eine Ursache für ein Absinken der Gesamtfertilitätsrate sein.

     

    Ökonomische Krise

     

    Die Ökonomische Krise wurde aus Sicht von Bujard und Team durch die Pandemie getriggert: Es handelte sich um eine Entwicklung, durch die sich Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung manifestierten. In diesem Zusammenhang weisen die Autor:innen darauf hin, dass auch nach der Rezession in Europa zwischen 2007 und 2008 anschließend geringere Gesamtfertilitätsraten beobachtet wurden. Dies war zur damaligen Zeit besonders auffällig in Regionen mit hohen Arbeitslosenquoten. Somit könnte die ökonomische Krise und zusammenhängende Unsicherheiten eine weitere Ursache für die geringere Gesamtfertilitätsrate darstellen.

     

    Cocooning-Effekt

     

    Der Cocooning-Effekt wird von Bujard und Team als Gegenbewegung zur Krise des Gesundheitswesens und der ökonomischen Krise benannt: So entwickelte sich zur Zeit der Pandemie häufig auch ein besonders starker Zusammenhalt in der eigenen Familie. Es kam zu umfassenden Begegnungen der einzelnen Familienmitglieder miteinander, da andere Kontakte aufgrund verschiedener Beschränkungen nicht möglich waren. Obwohl gerade die Zeiten des Home-Schooling häufig als belastend erlebt wurden, boten sich darüber doch Möglichkeiten für den Aufbau vertiefter und werteorientierter Beziehungen innerhalb der Familie. Dies könnte erklären, dass während der Pandemie selbst kein Rückgang der Gesamtfertilitätsrate auftrat.

     

    Impfprogramme

     

    Die ersten Impfprogramme waren Ende 2020 verfügbar und wurden zunächst vorrangig Beschäftigten des Gesundheitswesens sowie älteren Personen zur Verfügung gestellt. Sie wirkten dem Cocooning-Effekt entgegen, da über die Impfungen die Kontaktaufnahme zu anderen Personen als der Kernfamilie möglich wurden. Die Impfprogramme wurden nach anfänglichen Priorisierungen auf die gesamte Bevölkerung ausgeweitet und erreichten ihren Höhepunkt im Frühling/Sommer 2021. Bujard und Team schlussfolgerten, dass die Auswirkungen der Interventionen der Impfprogramme im Verlauf des Jahres 2021 sowie 2022 beobachtet werden konnten.

    Die anfänglichen Empfehlungen hinsichtlich einer Impfung für schwangere Frauen waren zurückhaltend, was sich im Laufe der Zeit geändert hat. Jedoch war die Impfbereitschaft seit Beginn der Impfprogramme unter schwangeren Frauen geringer als unter nicht schwangeren Frauen. Laut Bujard und Team könnte auch dies eine Erklärung für den Rückgang der Gesamtfertilitätsrate sein: Ungeimpfte Frauen, die keine Impfung während der Schwangerschaft wünschten, warteten die notwendigen Impfungen zunächst ab und verschoben ihre Kinderwunschpläne für den Zeitraum nach dem Erreichen eines vollständigen Impfschutzes.

    Die Autor:innen empfehlen, die Entwicklung der Gesamtfertilitätsrate in Deutschland weiter aufmerksam zu beobachten und zu diskutieren.

    Mehr zum Thema unter: > www.bib.bund.de/Publikation/2022/pdf/Fertility-declines-near-the-end-of-the-COVID-19-pandemic-Evidence-of-the-2022-birth-declines-in-Germany-and-Sweden.pdf?__blob=publicationFile&v=9

    Quelle: Bujard, M. A., G. (2022). Fertility declines near the end of the COVID-19 pandemic: Evidence of the 2022 birth declines in Germany and Sweden. BIB Working Paper 6/2022. ∙ Beate Ramsayer/DHZ

    Rubrik: Politik & Gesellschaft

    Erscheinungsdatum: 09.01.2023