Corona und Geburtenrate

Babyboom in der Pandemie?

  • Der Babyboom in ärmeren Regionen der Welt hängt auch mit einer Zunahme von ungewollten Schwangerschaften, insbesondere Teenager-Schwangerschaften, zusammen.

  • Noch ist es zu früh, um die Babys, die während der Corona-Pandemie gezeugt wurden, zu zählen. In Industrieländern wird heftig diskutiert, ob die Pandemie zu einem Anstieg oder Rückgang an Geburten führen wird. Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung glaubt, in Deutschland sei beides möglich. »Es gibt mehrere Faktoren, wie sich die Pandemie auf die Geburtenrate auswirken könnte.« Gesundheitliche Sorgen und ökonomische Ängste könnten demnach dazu führen, dass ein Kinderwunsch verschoben wird. Es sei aber auch denkbar, dass für viele in der Corona-Zeit der Wert der Familie steigt. »Ich halte es derzeit noch für offen, welcher dieser Mechanismen eine größere Auswirkung haben wird.«

    Über einen möglichen Babyboom will die UN-Kinderhilfsorganisation Unicef in New York nicht spekulieren, hat aber schonmal eine Gesamtprognose erstellt. 140 Millionen Babys würden 2020 wohl insgesamt geboren werden, teilte Unicef mit, 113 Millionen davon nach der offiziellen Erklärung des Corona-Ausbruchs zur Pandemie im März.

    In Entwicklungsländern sind sich viele Experten einig: Dort wird es einen Anstieg von Geburten geben. Denn die Corona-Lockdowns haben die Möglichkeiten von Frauen und Mädchen, sich gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden, massiv beeinträchtigt.

    Zum einem ist es viel schwieriger geworden, an Verhütungsmittel zu kommen:  Es werde erwartet, dass es Anfang nächsten Jahres zwischen 375.000 und 500.000 mehr ungewollte Schwangerschaften geben werde als vor Corona.

    Viele Menschen in Entwicklungsländern spüren die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie mehr als die Pandemie selbst, etliche haben ihre Jobs verloren oder deutlich weniger Einkommen. »Sie können nicht zahlen«, und würden daher nicht kommen, sagt Sophie Hodder, die Leiterin von Marie Stopes in Kenia. Die Organisation bietet Familienplanungsberatung, Gesundheitsversorgung nach Abtreibungen und Schwangerschaftsbetreuung an. In deren kostenpflichtigen Kliniken sei die Zahl der Kundinnen während der Corona-Pandemie um 30 % gesunken. »Uns macht es große Sorgen, dass die Frauen nicht kommen.«

    Hinter dem Babyboom steckt eine noch größere, düstere Entwicklung: Während der Corona-Krise ist sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Mädchen und Frauen weltweit gestiegen. In Kenia würden auch in normalen Zeiten Frauen mit Männern schlafen, um an etwas Geld etwa für Binden zu kommen, sagt Nancy Okoth von der NGO Plan International.

    »Wir wissen, dass die Hälfte aller Schwangerschaften ungewollt ist«, so Hodder. »Unsere Prognose ist, dass diese zunehmen.« Doch eine noch größere Sorge ist, was das für die Frauen bedeutet. »In sechs bis zwölf Monaten werden wir sehen, wie viele Mädchen und Frauen durch unsichere Abtreibungen ums Leben kamen, weil sie keinen Zugang zu Familienplanungs-Diensten hatten.«

    Quelle: dpa, 20.11.2020 DHZ

    Rubrik: Politik & Gesellschaft

    Erscheinungsdatum: 30.11.2020