Rückenschmerzen bei Geburtshelfer:innen

Die Haltung macht’s

Für Mutter und Kind konnte das Risiko der Geburt durch die Weiterentwicklung der Medizin drastisch reduziert werden. Doch wie ist es um das Wohl derer bestellt, die die Gebärende unterstützen? Eine Studie der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg hat sich mit den muskuloskelettalen Beschwerden von Geburtshelfer:innen auseinandergesetzt Prof. Dr.-Ing. Sebastian Dendorfer | Maximilian Melzner
  • Mithilfe künstlicher Intelligenz könnte ein neu entwickeltes Feedback-System bei der praktischen Ausbildung und Weiterbildung von Geburtshelfer:innen zum Einsatz kommen, so dass sie möglichst schon am Anfang ihrer Karriere eine rückenschonende Haltung erlernen.

  • Die Unterstützung des Geburtsprozesses kann sich nachteilig auf die Gesundheit der Geburtshelfer:innen auswirken. Überlastung und Schmerzen im unteren Rücken sind die häufigsten Symptome (71 %) im Zusammenhang mit der Arbeit von Geburtshelfer:innen (Okuyucu et al., 2019). Etwa jede dritte Hebamme wurde bereits mindestens einmal in ihrem Berufsleben wegen Erkrankungen des Bewegungsapparates krankgeschrieben. Dies ist häufig auf eine falsche oder ungünstige Körperhaltung zurückzuführen. Aus diesem Grund ist die korrekte Ausführung der Geburtshilfe nicht nur für Mutter und Kind, sondern auch für das medizinische Fachpersonal von Bedeutung. Abhängig von der jeweiligen Körperhaltung während der Unterstützung der Geburt können die Belastungen des Bewegungsapparats, insbesondere die kritischen Belastungsspitzen, zu langfristigen Folgen für die Geburtshelfer:innen führen.

     

    Virtuelle Mensch-Computer-Simulation

     

    Aus diesem Anlass hat das Labor für Biomechanik der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Sebastian Dendorfer eine Studie durchgeführt. Das Projekt in Zusammenarbeit mit der Westböhmischen Universität in Pilsen wurde von der EU gefördert (EUREGIO EGRENSIS Arbeitsgemeinschaft Bayern.e.V., o.D.).

    Die Belastungen der Geburtshelfer:innen während des Geburtsprozesses wurden mit modernster Technik und mithilfe von virtuellen Mensch-Computer-Simulationen analysiert. Analog zu Crashtests im Automobilbereich, die mittlerweile meist nicht mehr im Labor, sondern mit modernen Computer-Simulationsprogrammen durchgeführt werden, gibt es auch in der Medizin Software-Programme, die im Körper wirkende Kräfte berechnen. So können zum Beispiel von Muskeln aufgebrachte und in Gelenken wirkende Kräfte allein auf der Basis der von der jeweiligen Person ausgeführten Bewegung bestimmt werden. Diese Kräfte können dann wiederum als Grundlage für eine biomechanische Bewertung der ausgeführten Bewegung dienen.

     

     

    Abbildung 1: (a) Ein mit Bewegungssensoren ausgestatteter Geburtshelfer (b) Durchführung einer Geburt am Geburts­simulator.

    Foto: © Labor für Biomechanik der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg

    Für die Studie wurden zwei Gynäkologen mit einem Messsystem ausgestattet, wie es auch in der modernen Computerspiel-Industrie verwendet wird, um deren Bewegungen aufzunehmen und später für die Modelle verwenden zu können (siehe Abbildung 1).

    Im Anschluss führten beide Gynäkologen die Unterstützung des Geburtsprozesses mithilfe der manuellen perinealen Protektion in der von ihnen präferierten Körperhaltung durch.

    Dabei wählte einer der beiden Gynäkologen eine aufrechte, leicht nach vorne gebeugte Position, bei der er die Ellenbogen auf der Hüfte ablegte (siehe Abbildung 2a). Der andere Arzt kniete sich dagegen vor die werdende Mutter (siehe Abbildung 2b). Diese Aufnahmen wurden jeweils an einem Geburtshilfesimulator und während eines realen Geburtsvorgangs aufgenommen und analysiert. Mit der erfassten Bewegung als Ausgangsparameter konnten die Simulationsmodelle gefüttert und die dabei wirkenden Belastungen bestimmt werden.

    Die Ergebnisse aus den Computersimulationen zeigten, dass die Belastungen im Bereich des unteren Rückens in der

     

    Abbildung 2: Computersimulation der auf den Geburtshelfer wirkenden Kräfte in (a) stehender, (b) kniender Position. Die blauen Linien an den Füßen zeigen die Bodenreaktionskraft. Die verschiedenen Rottöne zeigen die Muskelaktivitäten an – je röter, desto aktiver der Muskel.

    stehenden, leicht nach vorne gebeugter Position deutlich höher waren. Sie entsprachen in etwa der wirkenden Kraft, wenn man 20 kg anhebt. In der knienden Position konnten die im Rücken wirkenden Kräfte deutlich vermindert werden. Zwar können die wirkenden Kräfte durch das Ablegen des Ellenbogens auf die Hüfte in der stehenden Position ebenfalls reduziert werden, dies geschieht aber dann zu Lasten des Schultergelenks.

    Somit deuten die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass eine zu starke Torsion des Oberkörpers während der Unterstützung des Geburtsprozesses auf Dauer zu körperlichen Beschwerden bei den Geburtshelfer:innen führen kann. Durch die relativ stabile Position im Knien kann diese Belastung deutlich reduziert werden und birgt weniger Risiko für spätere Probleme des Bewegungsapparates.

    Die Optimierung der Körperhaltung während des Geburtsvorgangs kann erheblich zur Verbesserung der Lebensqualität von Geburtshelfer:innen beitragen und auch die Kostenbelastung durch krankheitsbedingte Fehlzeiten des Personals aufgrund von körperlichen Beschwerden reduzieren.

     

    Feedback durch künstliche Intelligenz

     

    Aufbauend auf dieser Studie arbeiten das Labor für Biomechanik in Regensburg und die Westböhmische Universität in Pilsen in einem neuen Forschungsprojekt (EFRE, Ziel ETZ BY-CZ 2014–2022 (Interreg V) – Pr. 337). Ein Feedback-System soll in Zukunft bei der Ausbildung von Geburtshelfer:innen Verwendung finden (siehe Abbildung 3).

     

    Abbildung 3: Prototyp des Feedback-Systems für die zukünftige Ausbildung von Geburtshelfer:innen. Die korrekte Haltung bei der Unterstützung des Geburtsprozesses (weiß hinterlegtes Mannequin) wird der jeweiligen Person optisch auf einem Bildschirm über die Farbe des Hintergrundes vermittelt. Je näher man sich an der ergonomisch optimalen Position befindet, desto grüner wird der Hintergrund.

     

    Hierfür werden zahlreiche Bewegungsdaten bei der Unterstützung des Geburtsprozesses erhoben und die daraus resultierenden Belastungen des menschlichen Körpers bestimmt. So soll es in Zukunft möglich sein, die Bewegung von auszubildenden Geburtshelfer:innen mit Kameras zu erfassen und durch Algorithmen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, die daraus hervorgehende Belastung in Echtzeit zu ermitteln. Über ein optisches Feedback-System wird die ausführende Person dann über mögliche Belastungsspitzen informiert. Dieses Tool kann somit in Zukunft dazu dienen, auszubildende Geburtshelfer:innen für ihre Haltung und mögliche Belastungen ihres Körper zu sensibilisieren. Das entwickelte Feedback-System soll so bei der praktischen Ausbildung und Weiterbildung von Geburtshelfer:innen zum Einsatz kommen, so dass sie möglichst schon am Anfang ihrer Karriere eine rückenschonende Haltung erlernen. Hoffentlich ist so in naher Zukunft der Geburtsprozess nicht nur für Mutter und Kind, sondern auch für die Hebammen und Ärzt:innen mit einem deutlich gesenkten Risiko verbunden.

    Rubrik: Ausgabe 11/2022

    Erscheinungsdatum: 27.10.2022

    Literatur

    EUREGIO EGRENSIS Arbeitsgemeinschaft Bayern.e.V. (o.D.). https://www.euregio-egrensis.de/Ziel-ETZ-/-INTERREG-V.htm

    Okuyucu, K., Gyi, D., Hignett, S., & Doshani, A. (2019). Midwives are getting hurt: UK survey of the prevalence and risk factors for developing musculoskeletal symptoms. Midwifery, 79, 102546.

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