Qualitative Studie aus Schweden

Für und Wider der Amniotomie

  • Zum Wohle von Mutter und Kind sollten Hebammen ihre Erfahrungen mit der Amniotomie diskutieren.

  • Die Amniotomie zählt weltweit zu den häufig durchgeführten geburtshilflichen Interventionen. Diese Intervention wird kontrovers diskutiert, weil dadurch einerseits ein schnellerer Geburtsfortschritt erreicht und eine interne Cardiotokografie durchgeführt werden kann, andererseits jedoch das Infektionsrisiko für Mutter und Kind und das Risiko schwerer geburtshilflicher Komplikationen steigt. Dies kann bei Vorliegen plazentarer Anomalien die Verletzung zentraler Gefäße der kindlichen Blutversorgung umfassen und ein inneres Verbluten des Kindes bewirken. Die Evidenzlage ist komplex, so dass verschiedene Empfehlungen für verschiedene klinische Situationen verfügbar sind.

    In Schweden umfasst eine Empfehlung zur Geburtseinleitung mit Oxytocin bei geburtsbereiter Zervix, dass zusätzlich eine Amniotomie durchgeführt wird. Ebenso wird die Durchführung einer Amniotomie bei protrahierten Geburtsverläufen vor der intravenösen Gabe von Oxytocin empfohlen. Somit werden schwedische Hebammen häufig mit der geburtshilflichen Intervention einer Amniotomie konfrontiert, da deren Durchführung im Kompetenzbereich der Hebammen liegt.

    Das Ziel einer qualitativen Studie bestand darin, die Erfahrungen und Einstellungen schwedischer Hebammen zur geburtshilflichen Intervention der Amniotomie zu evaluieren. Eingeschlossen wurden 16 Hebammen aus drei schwedischen Krankenhäusern in Südschweden, deren Berufserfahrung mindestens fünf Jahre betrug. Die Erfahrungen der Hebammen wurden im Rahmen semi-strukturierter Interviews erfragt und anschließend anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.

    Als zentrales Thema zeigten die Daten auf, dass die Entscheidung für oder gegen die Durchführung einer Amniotomie mit Konsequenzen im weiteren Geburtsverlauf einhergeht. Dies wird mit drei Kategorien begründet: »fördern, schützen und unterstützen des physiologischen Verlaufs einer Geburt«, »die Entscheidung treffen, durchführen oder verzichten« sowie »unvorhersehbarer weiterer Verlauf«.

    Zur Kategorie, den Verlauf einer physiologischen Geburt zu fördern, zu schützen und zu unterstützen umfassen die Erfahrungen der befragten Hebammen, dass eine Amniotomie situationsabhängig bewertet werden sollte, da sie zur Physiologie, jedoch auch zur Pathologie beitragen kann. Die zugrundeliegende Philosophie der Hebammen umfasst jedoch meist ein zunächst abwartendes Vorgehen: »Eine erfahrene Hebamme sagte mir, dass man bei einem normalen Geburtsfortschritt nicht in einen physiologischen Prozess eingreifen sollte und ich stimme mit ihr überein«. Gleichzeitig zeigte eine Hebamme auf, dass die Durchführung einer Amniotomie einer medikamentösen Geburtsbegleitung vorzuziehen sei: »Ich denke, dass es sich um eine gute Intervention handelt, weil sie leicht durchzuführen ist und der Gebärenden keine Schmerzen bereitet«.

    Zur Kategorie der Entscheidungsfindung teilten die befragten Hebammen übereinstimmend die Überzeugung, dass eine Amniotomie nicht routinemäßig durchgeführt werden, sondern eine Indikation vorliegen sollte: »Liegt ein protrahierter Geburtsverlauf vor, können wir eine Amniotomie in Übereinstimmung mit den vorliegenden Leitlinien vertreten«. Gleichzeitig wird die Entscheidungsfindung auch kritisch diskutiert, weil damit schwerwiegende Komplikationen im weiteren Geburtsverlauf bewirkt werden können: »Führe ich eine Amniotomie durch, kann die Gebärende in der aktiven Geburtsphase unterstützt werden. Was jedoch, wenn das nicht passiert? Dann bedeutet es für sie eine lange Zeit der eröffneten Fruchtblase mit dem erhöhten Risiko einer protrahierten Geburt und einem höheren Infektionsrisiko. Dann habe ich wirklich falsch gehandelt - die Entscheidung ist schwierig.«

    Ebenfalls übereinstimmend zeigten die befragten Hebammen auf, dass eine Amniotomie unvorhersehbare positive und negative geburtshilfliche Komplikationen bewirken kann. Eine Hebamme beschreibt: »Ich habe die Amniotomie durchgeführt und sie hatte nach 50 Minuten eine fantastische Wassergeburt …« Eine andere Hebamme reflektiert kritisch: »Wir hatten eine gute Beziehung zueinander und die Gebärende bat mich, eine Amniotomie durchzuführen. Also führte ich eine Amniotomie durch und dieser folgte eine kindliche Bradykardie. Ich dachte - was hab ich denn da gedacht und gemacht? Ich Idiot … Ich verspürte große Angst und Scham- und mir wurde bewusst, dass ich selbst dieses Problem bewirkt hatte. Ich hätte es nicht tun dürfen.«

    Die AutorInnen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass die Entscheidung für oder gegen eine Amniotomie zum Tätigkeitsbereich einer Hebamme gehört und kontrovers diskutiert wird. Daher sollte eine Möglichkeit zur Reflexion der Vor- und Nachteile den Arbeitsalltag prägen. Diskussionen zum Erfahrungsaustausch unter Hebammen sind wichtig, um die beste Entscheidung bei einer Geburt zum Wohl von Mutter und Kind treffen zu können.

    Quelle: Inagvarsson S et al.: Swedish midwives experiences and views of amniotomy: An interview study. Midwifery 2020. 91, 102840. https://doi.org/10.1016/j.midw.2020.102840 DHZ

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 14.12.2020