Validierungsstudie

Gewalt in der Geburtshilfe

Die Hebammenwissenschaftlerin und freiberufliche Hebamme Claudia Limmer führte eine nicht-repräsentative Umfrage unter 2.045 Frauen durch, die sich vor allem an Betroffene von Gewalt unter der Geburt gerichtet hat. Die Ergebnisse wurden auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) in Berlin vorgestellt. Ziel der Befragung war es, eine Fragebogenvalidierung für zukünftige Studien durchzuführen. Dafür hatte sie unter anderem den Mothers in Respect Index (MOR) und die Mother’s Autonomy in Decision Making Skala (MADM) angepasst und ins Deutsche übersetzt.

42,8 % der befragten Frauen berichteten, dass Interventionen ohne ihre Einwilligung vorgenommen worden waren. Dazu zählten etwa Dammschnitt, Kaiserschnitt, vaginale Untersuchungen, das Anlegen eines Wehentropfs, Fruchtblaseneröffnungen, die Injektion eines Medikaments und ein venöser Zugang. 33,6 % hatten physische Gewalt erfahren (zum Beispiel: vaginale Untersuchung, nicht ausreichende Betäubung beim Nähen eines Dammschnitts und aggressiver Körperkontakt), 32,7 % sahen ihre Privatsphäre verletzt. Darüber hinaus gaben etwa 30 % Vernachlässigung und 18,9 bis 29,9 % verbale Gewalt an. 4,6 % berichteten über Verletzungen des Datenschutzes.

Limmer konnte zudem beobachten, dass in ihrer Teilnehmerinnengruppe Erstgebärende, Frauen mit Migrationshintergrund und jene mit niedrigem sozioökonomischen Status besonders betroffen waren. Jedoch waren die beiden Letzteren in der Studie deutlich unterrepräsentiert.

Die Validierungsstudie will Limmer demnächst publizieren. Die Resonanz aus dem Publikum der DGPM-Tagung im Anschluss an die Präsentation zeigte Unstimmigkeiten zwischen ÄrztInnen und Hebammen zum Thema. Eine Ärztin forderte, dass das „Problem der Gewalt nicht hochgekocht werden sollte“, bevor die subjektiv berichteten Empfindungen der Teilnehmerinnen nicht objektivierbar seien. Matthias David von der Klinik für Gynäkologie an der Charité, Campus Virchow, lobte den Fragebogen und betonte: „Die Zahlen sind nicht belastbar und nicht repräsentativ für Deutschland.“ Erst die Zahlen, die jetzt mithilfe des validierten Fragebogens erhoben würden, könnten das Problem beziffern. Dem stimmte Limmer zu: „Wir brauchen eine Studie, die nicht direkt nach Gewalt fragt, sondern nach Geburtserfahrungen.“

Der Deutsche Hebammenverband (DHV) sieht die Hauptursache für Gewalt in der Geburtshilfe in den Klinikstrukturen. Die Lösung für das Problem ist für Andrea Ramsell, Beirätin für den Angestelltenbereich im DHV, klar: „Die Eins-zu-eins-Betreuung ist der Schlüssel, um strukturbedingte Gewalt in der Geburtshilfe zu verhindern. Unter anderem benötigen wir hierfür die Auflösung der starren hierarchischen Strukturen in den Kliniken.“

Quelle: aerzteblatt.de, 29.11.2019DHZ

Rubrik: Geburt

Erscheinungsdatum: 03.12.2019