Bifidobakterien und Laktobazillen

Erste Siedler aus der Muttermilch

Mit der ersten Milch nimmt das Neugeborene Bifidobakterien und Laktobazillen auf, die über den Magen in den Darm wandern. Dort bilden sie die Anfangsflora und produzieren wertvolle Milchsäure. Im Englischen spricht man bildhaft vom »Gut Garden« – das deutet bereits auf die große Artenvielfalt der Darmmikrobiota hin. Ein Blick auf frühe Weichenstellungen. Birgit Heimbach
  • »Flora« ist in der römischen Mythologie die Göttin der Blüte, in der Biologie die Pflanzenwelt. Vor über 100 Jahren entstand der Begriff der Darmflora, nachdem im Stuhl gestillter Neugeborener Y-förmige Bakterien gefunden wurde: Bifidobakterien. Zusammen mit Laktobazillen befinden sie sich von Anfang an in der Muttermilch und sind frühe Siedler im Darm des Säuglings. Besonders Frauen der Y-Generation, die jetzt im reproduktionsfähigen Alter sind, sollten durch gesunde Ernährung für eine gute Darmmikrobiota sorgen.

  • Der französische Kinderarzt Prof. Dr. med. Henri Tissier entdeckte im Jahr 1899 milchsäurebildende Bakterien im Stuhl von Neugeborenen. Weil sie y-förmig waren, gab er ihnen den Namen Bifidus (fidi bedeutet auf Lateinisch »Spalten«, bifidus: »zweigespalten«). Am Pasteur-Institut in Paris erforschte er die »Darmflora« (Flore intestinal) und deren Veränderung durch die Ernährung. Die erste Flora eines Menschen nannte er Geburtsflora oder Anfangsflora (Flore bleue).

    Unabhängig davon isolierte Professor Dr. Ernst Moro 1901 in Wien dieselben Bakterien im Stuhl gestillter Säuglinge. 1906 publizierte Tissier, dass er nun darmerkrankten Säuglingen oral Bifidobakterien (B) gebe und damit Heilerfolge erziele. Erst rund 90 Jahre später lieferte eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie den ersten wissenschaftlichen Beweis dafür, dass dies tatsächlich wirkt (Saavedra 1994).

    Inzwischen hat man ein umfassendes Bild von den Bifidobakterien, die Zahl der Studien und Publikationen lässt sich kaum überblicken.

     

    Bifidobakterien im Darm

     

    Streptokokken, Staphylokokken und Enterokokken besiedeln den Darm des Kindes nach der Passage durch den Geburtsweg als erste, begünstigt durch einen hohen Level an Sauerstoff im Darm. Den verbrauchen die Pioniersiedler sehr schnell. Dadurch wird das Milieu passender für Anaerobier wie Bifidobakterien, die auch aus dem Geburtskanal mit aufgenommen wurden, aber nun zahlreich aus der Muttermilch hinzukommen. Ursprünglich stammen sie alle aus dem Darm der Mutter, sie sind in die Vagina und über das Blut in die Milchdrüsen gewandert. Sie passieren fast unbehelligt den Magen des Neugeborenen, der noch wenig Magensäure produziert, um sich dann – wie das Gros der Mikroorganismen – vor allem im Dickdarm anzusiedeln und rasch zu vermehren.

    Die sich entwickelnde »Flora« ist sehr individuell, abhängig von der Region auf der Erde und den Lebensumständen – unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Ab dem siebten bis zehnten Lebenstag dominieren die Bifidobakterien mit rund 90 oder sogar 99 % die Keimzahl und bleiben bis zum Alter von drei Monaten vorherrschend. Allerdings stellen sie im Stuhl von Kindern, die mit Formula auf Kuhmilchbasis ernährt werden, nur etwa 65 % der Keime. Typisch für Säuglinge sind die Species B. breve, B. infantis, auch B. longum, B. bifidum B. parvulorum (Reuter 2001). In der frühen Kindheit bleiben nur B. bifidum und B. longum, dazu kommt die Species B. adolescentis (Reuter 2001). Mit etwa drei Jahren hat sich die typische Bifidobakterienbesiedlung des Erwachsenen herausausgebildet.

    Prof. Dr. med. Julia-Stefanie Frick, kommissarische ärztliche Direktorin an der Uniklinik Tübingen, die dort die Arbeitsgruppe »Mukosale Immunität und Mikrobiom« leitet, meint: »Zeitlebens gehören Bifidobakterien zur gesunden Darmflora, aber bis zum hohen Alter gehen sie bis auf 25 bis 12  % zurück. Vermutlich, weil sie an älteren und dann mitunter auch erkrankten Darmschleimhautzellen schlechter festhalten können.« Erwachsene hätten eine mittlere Keimzahl, gemessen in Kolonien von Mikroorganismen (Colony-forming Unit/CFU), in Höhe von 2,42×108 CFU/g−1 , Säuglinge eine von 1,07×1010 CFU/g−1. Frick erläutert die verschiedenen Arten: »B. infantis beispielsweise gedeiht besonders gut im Dickdarm von Säuglingen. Es produziert Vitamine des B-Komplexes, darunter Folsäure, Thiamin (Vitamin B1), Pyridoxin (Vitamin B6), Biotin (Vitamin B7) und Niacin. B. bifidum regt die Aktivität von Fresszellen (B-Lymphozyten und Phagozyten) an.« Die Anzahl der Bifidobakterien könne auch später gezielt erhöht werden, wenn reichlich unverdauliche Kohlenhydrate gegessen werden, denn sie seien auf den Stoffwechsel von Oligosacchariden und Polysacchariden spezialisiert.

     

    Milchsäure: links- oder rechtsdrehend?

     

    Das Besondere und Gesundheitsfördernde der Bifidobakterien: Beim Energiestoffwechsel vergären sie die Glucose des zuvor im Körper gespaltenen Milchzuckers (Lactose) und der unverdaulichen Kohlenhydrate (Humane Milcholigosaccharide/HMO) aus Muttermilch und Formula. Die meisten Bakterien können die HMO nicht spalten. Bei der Fermentation wird Glucose im Verhältnis 3 zu 2 zu Essigsäure und aromatische L(+)-Milchsäure umgewandelt. Dies senkt den pH-Wert von Speisebrei (Chymus) und Stuhl auf saure Bereiche (pH 5–6). Der niedrige pH-Wert und die Bildung von Hemmstoffen (etwa des Toxins Bifidin) und kurzkettigen Fettsäuren (SCFAs) supprimiert und selektioniert die Begleitflora, beispielsweise Enterobakterien, Staphylokokken und Clostridien. So wird eine Phase der relativen Immunschwäche junger Säuglinge überbrückt.

    Milchsäure wurde erstmals 1780 vom schwedischen Chemiker Carl Wilhelm Scheele in saurer Milch entdeckt. Zwei Arten lassen sich unterscheiden, bestrahlt man sie in wässriger Lösung mit polarisiertem Licht: Rechtsdrehende Milchsäure (L-plus-Laktat, L(+)-Milchsäure) dreht die Lichtwelle im Uhrzeigersinn. Linksdrehende Milchsäure (D-minus-Laktat, D(-)-Milchsäure) dreht sie entgegen dem Uhrzeiger. Streptococcus- und Bifidobakterienarten bilden fast nur rechtsdrehende, Lactobacillus bulgaricus fast nur linksdrehende Milchsäure und Lactobacillus acidophilus etwa je zur Hälfte beide Formen.

     

    Definition: Sekretor-Status

     

    Der Sekretor-Status ist eine Untergruppierung der Blutgruppen. Er beeinflusst die Zusammensetzung der Humanen Milch Oligosaccharide (HMO/siehe Muttermilchserie, DHZ 8/2020, Seite 66ff.).

    Die linksdrehende Milchsäure baut der Organismus schlechter ab, ein Übermaß kann das Blut übersäuern. Säuglinge sollten diese aufgrund des unreifen Stoffwechsels nicht aufnehmen. Die rechtsdrehende Form ist auch ein natürliches Zwischenprodukt des menschlichen Stoffwechsels und wird mit einem spezifischen Enzym abgebaut.

     

    Bifidobakterien von Sekretorinnen

     

    2015 wurde in der UC Davis Foods For Health Institute Lactation Study herausgefunden, dass sich Bifidobakterien schneller im Darm von Säuglingen etablieren, deren Mütter Sekretorinnen sind (Nelson 2014/siehe Kasten). Deren Milch enthält Fucosyloligosaccharide, welche die Bifidobakterien sehr gern konsumieren (Center of Health for Advancing Microbiome and Mucosal Protection 2015). Nicht-Sekretorinnen können diese Art der HMO nicht bilden. »Muttermilch von ihnen ist aber nicht weniger gesund », sagt David Mills, der leitende Studienautor. Die Arbeit zeige jedoch, dass der Genotyp der Mutter die Muttermilch und darüber die Orchestrierung der Mikroben beeinflusst.

     

    Laktobazillen: vor allem im Dünndarm

     

    In der Muttermilch befinden sich auch die meist stäbchenförmigen Laktobazillen (Lactobacillus), die ebenfalls darmnützlich die Laktose durch Gärung zu Milchsäure (Laktat) umwandeln und dadurch zu den sogenannten Milchsäurebakterien (Lactobacillaceae) gehören. Lactis bedeutet im Lateinischen »Milch« und bacillus »kleiner Stab«. Es gibt aber auch gekrümmte oder schraubenförmige Milchsäurebakterien, die nicht typisch für die Muttermilch sind.

    Laktobazillen, die sich in der Regel nicht aktiv bewegen können, befinden sich zu bestimmten Anteilen in der Muttermilch und in anderen Milchen – der Häufigkeit nach: L. salivarius, L. fermentum, L. gasseri, L. reuteri, L. plantarum, L. rhamnosus , L. casei (Cabrera-Rubio et al. 2016; Jost et al. 2015).

    Für Lactobacillus reuteri ist nachgewiesen: Es verstärkt über immunendokrine Gehirnsignalnetzwerke das Hormon Oxytocin und die systemischen Immunantworten (Erdmann 2016).

    Es gibt viele Arten und Unterarten der Laktobazillen. Eine fand der Nobelpreisträger Elias Metchnikoff (1845–1916) bereits zwischen 1895 und 1897 in bulgarischer Sauermilch und brachte eine hohe Zahl dieser Laktobazillen in der Darmflora in Zusammenhang mit dem langen Leben einiger Bulgar:innen (Sherman 2015). Er vermutete, dass Milchsäurebakterien unerwünschte Fäulnisvorgänge im Darm unterdrücken, und riet zum Trinken von Kefir, Sauermilch und Joghurt. 1907 publizierte Metchnikoff, der wie Tissier am Pasteur-Institut forschte, dass Laktobazillen gesund seien. Angeregt von ihm, erforschte Dr. Minoru Shirota (1899–1982) an der Universität Kyoto in Japan die Wirkung der Darmbakterien auf die Gesundheit und fand den nach ihm benannten Lactobacillus casei Shirota, mit dem man auch Durchfall bei Babys behandelte.

    Den Laktobazillen ordnete man damals auch die Bifidobakterien zu und nannte sie eine Zeit lang Lactobacillus bifidus. Frick: »Ende der 1960er Jahre grenzte man sie voneinander ab. Zwar bilden beide – Laktobazillen und Bifidobakterien – Milchsäure, doch über unterschiedliche Stoffwechselwege (Vries 1967). Bifidobakterien bilden gleichzeitig Essigsäure und es entsteht 25 % mehr des Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP) als bei der Milchsäuregärung von Laktobazillen. Letztere besitzen eine homofermentative Milchsäuregärung, bei der fast nur Milchsäure produziert wird, oder eine heterofermentative, bei der außerdem entweder Kohlendioxid oder Essigsäure produziert wird. Bifidobakterien können sich aufgrund ihres anaeroben Stoffwechsels vor allem im Dickdarm durchsetzen, während Laktobazillen – vor allem L. gasseri und L. reuteri – den Dünndarm dominieren.« Zu den nützlichen Laktobazillen gehören die Döderlein-Bakterien (Döderleinsche Stäbchen), die auch in die Vagina wandern und vor krankheitserregenden Bakterien schützen. Laktobazillen im Rektum und der Vagina stimmen zu 80 % überein.

    Wie Bifidobakterien und andere Milchsäurebakterien gehören Laktobazillen zu den kommensalen Bakterien. Das heißt, sie ernähren sich von Nahrungsrückständen, ohne Schaden zu verursachen, und fermentieren sie nutzbringend für den Menschen.

     

    Lebenslange Einflüsse

     

    Frick: »Die frühe Entwicklung der Darmmikrobiota kann die Gesundheit lebenslang beeinflussen. Dazu gehört auch das Immunsystem: Kommensale Bakterien regen die Bildung von Antikörpern sowie die Aktivität von Makrophagen an und aktivieren die Bildung schützender Enzyme. Der Stoffwechsel der Darmwand wird durch Substanzen, welche von den Bakterien gebildet werden (zum Beispiel kurzkettige Fettsäuren), angeregt, was unter anderem die Darmmotilität steigert.« Sie spielen auch eine Rolle dabei, die Darmbarriere zu verbessern.

    Die heutige Ernährung ist zwar vielfältig, aber konserviert und raffiniert, dadurch stellt sie nicht genügend gute und verschiedene Bakterien zur Verfügung. Hinzu kommen Genussgifte wie Zucker, Alkohol, Koffein und Nikotin, mangelnde Bewegung und häufiger Medikamentenkonsum, beispielsweise Antibiotika. Alter, Nahrungsaufnahme, BMI und Rauchen beeinflussen das Niveau der Anzahl der Bifidobakterien. Die Zahl von Lactobacilli- oder Bifidobakterien-positiven Proben war in einer Studie signifikant niedriger bei Frauen, die während der Schwangerschaft oder Stillzeit eine Antibiotikatherapie erhalten hatten (Soto 2014).

    Sie ist auch niedriger bei übergewichtigen Menschen – jedoch reversibel bei einer Gewichtsreduktion (Khonsari 2016). In der Studie wurde anhand einer Untersuchung an Mäusen gezeigt, dass eine fettreiche Ernährung die Population von Bifidobakterien um das 100-Fache verringerte (Khonsari 2016). Ein niedrigeres Niveau an Bifidobakterien lag bei veganer oder vegetarischer Ernährung vor, es stieg bei größerem Konsum von Reis. Zu selten werden über die Nahrung genügend neue Milchsäurebakterien aufgenommen, etwa durch Milch, Joghurt, Kefir oder Sauerkraut. Und viele Menschen kommen nicht auf die nötigen 30 g Ballaststoffe pro Tag. Kommensale Darmbakterien finden dann weniger geeignete Lebensbedingungen und werden von schädlichen Darmbakterien verdrängt.

    In dieser gestörten Darmflora werden schädliche Enzyme, die Zellkernveränderungen hervorrufen können, zu wenig gehemmt, und zu wenig Immunzellen werden aktiviert, um entartete Zellen im Darm zu finden und zu zerstören. Eine Studie von 2018 ergab, dass Darmkrebs in den zurückliegenden 25 Jahren bei jüngeren Menschen zwischen 20 und 59 Jahren in Europa zugenommen hat (Vuik et al. 2018).

     

    Das Erbe der Generation Y

     

    Diese Überlegungen betreffen vor allem die Generation Y: Menschen, die in den frühen 1980er Jahren bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurden, heute zwischen 20 und 40 Jahren alt sind – und damit im gebärfähigen Alter. Sie bekamen den Buchstaben Y verliehen, weil er auf Englisch »why« wie »warum« ausgesprochen wird, was auf die Neigung dieser Generation zum Hinterfragen verweisen soll.

    Angeblich soll ein Drittel dieser Generation etwa in Australien bis 2023 aufgrund ungesunder Ernährung und Bewegungsmangel einen Diabetes erwerben und müsste daher im Grunde den Namen Generation D erhalten (Fröhlich 2007). Zu den eigenen Krankheitsrisiken kommt im Falle einer Sectio der beeinträchtigte Mutter-zu-Kind-Mikrobiotatransfer (Shao et al. 2019). Säuglinge, die vaginal geboren wurden, haben größere Populationen von Bifidobakterien und Lactobacilli als Kaiserschnittkinder, bei denen meist auch erst später ausreichend Muttermilch zur Verfügung steht. Besonders gestört wird dabei die Population der Bifidobakterien (Chen 2007). Sie erreicht erst nach einem Monat das Niveau der vaginal geborenen Babys (Khonsari 2016). Es kann dann offenbar bis zum siebten Lebensjahr dauern, bis der Darm ausgewogen besiedelt ist (Yapet 2014).

    Dr. Martin Claßen, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Bremen, Vorsitzender der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung: »Die langfristig negativen Auswirkungen einer Sectio für den Darm und das Immunsystem der Kinder wird immer noch zu wenig beachtet, insbesondere bei Schwangeren, die sich ohne medizinische Indikation eine Sectio wünschen.« Studien haben gezeigt, dass die falsche Darmbesiedelung auch ein Risiko für chronische Immunerkrankungen birgt (Sevelsted et al. 2015). Dazu zählen Allergien, Autoimmunerkrankungen oder Stoffwechselstörungen. Auch negative Auswirkungen auf die Psyche über die Darm-Gehirn-Achse (Gut-­Brain-Axis) werden beschrieben. Deshalb applizierte man in einer Studie nach einer Sectio Darmmikrobiota der Mutter über die Nahrung den Neugeborenen (Korpela 2020). Claßen: »Eine Empfehlung für dieses Seeding kann allerdings noch nicht gegeben werden.«

    Das Beste fürs Kind jedenfalls ist die Milch einer Mutter mit einer vielfältigen Mikrobiota und HMO.

     

    Zeitalter der Probiotika?

     

    Immer öfter werden lebende Bakterien (vor allem Laktobazillen und Bifidobakterien) zur Beeinflussung der Darmmikrobiota für Säuglinge und Erwachsene eingesetzt – Probiotika genannt. Der Begriff wurde 1965 von den Wissenschaftler:innen Daniel M. Lilly und Rosalie H. Stillwell eingeführt. 1995 kam der Begriff Präbiotika hinzu: Nährstoffe für die kommensalen Bakterien. 2002 wurden die Probiotika offiziell von der WHO als lebende Mikroorganismen anerkannt, die die menschliche Gesundheit verbessern können.

    Für Durchfallerkrankungen wurde die Wirksamkeit von Probiotika in der Prävention oder Therapie bereits im Jahr 2000 nachgewiesen (Saavedra 2000). Sie werden vielfach eingesetzt, auch zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen, etwa einer Mastitis oder Parodontitis, oder als regelmäßige Prophylaxe gegen Darmkrebs (Menche 2020).

    Bei Menschen mit einer sogenannten Laktose-Unverträglichkeit, bei der Milchzucker nicht gespalten werden kann, weil ein Enzym fehlt, sollen Probiotika den Zucker abbauen und Beschwerden verringern. Therapeutisch eingesetzt wird etwa der stäbchenförmige Lactobacillus reuteri, erstmals 1962 isoliert und nach seinem Entdecker Gerhard Reuter benannt. Am besten bildet er bei 37 bis 42 °C antibiotisch wirkende Substanzen. Er wird als Mittel zur Zahngesundheit, gegen Durchfall oder Darmkoliken bei Kleinkindern sowie zur Bekämpfung von Helicobacter pylori eingesetzt und ist über die Milch übertragbar. Behandelt werden damit auch Frühgeborene, um eine nekrotisierende Enterocolitis (NEC) abzuwehren.

     

    Milchsäurebildende Probiotika

     

    Laktobazillenarten: L. acidophilus, L. delbrueckii subspecies bulgaricus, L. plantarum, L. fermentum, L. reuteri L. casei subspecies rhamnosus, L. helveticus, L. brevis, L. johnsonii

    Bifidobakterien: B. bifidum, B. breve, B. longum, B. adolescentis, B. infantis

    Weitere Milchsäurebakterien: Streptococcus salivarius subspecies thermophilus, Lactococcus lactis subspecies lactis, Lactococcus lactis subspecies cremoris, Enterococcus faecium, Leuconostoc mesenteroides subspecies dextranium, Propionibacterium freudenreii, Pediococcus acidilactici, Saccharomyces boulardi

     

    Mit dem Lactobacillus GG behandelt man Rotavirus-Infektionen. Claßen: »Es gibt viele Studien mit Probiotika mit einer Vielzahl unterschiedlicher Bakterienstämme. In der Kinderheilkunde ist die Anwendung bei sehr kleinen Frühgeborenen, bei Säuglingskoliken, zur Verkürzung viraler Gastroenteritiden und beim Reizdarmsyndrom weitgehend konsentiert. Bei anderen Indikationen wie Allergien oder Autismus fehlen noch gute Beweise – die Forschung geht weiter.«

    Inzwischen wird auch auf den Sekretor-Status der Mutter geschaut, um dem Frühgeborenen die Probiotika des anderen Status als Schutz gegen NEC zusätzlich zuzuführen. Probiotika siedeln sich im Darm nur vorübergehend an, das heißt sie sind trans­itorisch (Bourlioux 2002). Für eine Langzeitwirkung müssen sie immer appliziert werden. Eine dauerhafte Änderung der Ernährung kann umgekehrt langfristig positive Auswirkungen auf das Darmmikrobiom haben und ist deswegen nachhaltiger.

     

    Vorsichtige Anwendung

     

    Trotz ihrer positiven Eigenschaften sind Probiotika zurückhaltend als Nahrungsergänzungsmittel zu verordnen. Prof. Dr. Nicole Arweiler von der Abteilung für Parodontologie und periimplantäre Erkrankungen an der Philipps Universität Marburg verweist auf mögliche Gefahren: »Probiotika können im Darm auch zu einer Übersäuerung (Laktatazidose) führen.« Das Überangebot der linksdrehenden D-Milchsäure könnte gar zu neurologischen Störungen, Orientierungslosigkeit und schlimmstenfalls zum Tod führen. Generell sollte die Darmwand weitgehend intakt sein, damit diese Bakterien sie nicht durchdringen und schaden könnten.

    Am 26. Mai endete die Medical Device Regulation (MDR) – die europäische Medizinprodukte-Verordnung: Probiotika dürfen nun nicht mehr als Medizinprodukt verkauft werden, sondern nur noch als Medikament mit strengeren Zulassungsbestimmungen.

    Rubrik: Ausgabe 07/2021

    Erscheinungsdatum: 05.10.2021

    Literatur

    Bourlioux P, Koletzko B, Guarner F et al.: The Intestine and its Microflora are Partners for the Protection of the Host: Report on the Danone Symposium »The intelligent Intestine«. Paris, 14. Juni 2002. Am J Clin Nutr 2003. 78:675–83

    Center of Health for Advancing Microbiome and Mucosal Protection: chammp.ucdavis.edu/news/mothers-genes-can-influences-bacteria-her-babys-gut. 2015

    Chen J, Cai W, Feng Y: Development of intestinal bifidobacteria and lactobacilli in breast-fed neonates. Clin Nutr 2007. 26: 559–566

    Enders G: Darm mit Charme. Ullstein. Berlin 2014

    Erdmann SE: Microbes and Oxytocin: Benefits for Host Physiology and Behavior. International Review of Neurobiology 2016. DOI:10.1016/bs.irn.2016.07.004

    Fröhlich E.: Generation Chips. Hubert Krenn Verlag.Wien 2007

    Khonsari S et al.: A comparative Study of Bifidobacteria in human Babies and Adults. Biosci Microbiota Food Health 2016. 35(2): 97–103. doi: 10.12938/ bmfh.2015–006

    Korpela K et al.:...

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