Plötzlicher Kindstod

Evidenzbasierte Empfehlungen

Die American Academy of Pediatrics ist über die Grenzen der USA hinaus bekannt für hochwertigen Empfehlungen zur Kinderheilkunde. Ihre neuen Empfehlungen zum Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) haben eine starke praktische Relevanz für junge Eltern, um die Schlafumgebung des Kindes sicher zu gestalten. Doch einige Studien bleiben darin unkommentiert und weitere Forschung ist nötig. Dr. phil. Beate Ramsayer

Der plötzliche Kindstod zählt zu den schrecklichsten Ereignissen nach der Geburt eines Kindes: ein wichtiger Grund, sich intensiv mit der Studienlage zu SIDS (Sudden infant death syndrome) auseinanderzusetzen, um Evidenzen so in die Praxis zu übertragen, dass er vermieden werden kann. Die amerikanische Fachzeitschrift Pediatrics hat kürzlich ein Positionspapier der American Academy of Pediatrics (AAP) publiziert, in dem umfassende Empfehlungen zur optimalen Schlafumgebung für ein Neugeborenes ausgesprochen werden (Moon et al., 2022b). Im Zusammenhang dazu erschien auch die Publikation »Evidence Base for 2022: Updated recommendations for a safe infant sleeping environment to reduce the risk of sleep-related infant deaths« (Moon et al., 2022a).

 

Definition: SUDS oder SIDS

 

Sudden unexpected infant death syndrome (SUDS) beschreibt jeden erklärbar oder unerklärbar auftretenden kindlichen Todesfall. SUDS wird als bevorzugter Begriff der National Association of Medical Examiners – der Fachgesellschaft der US-amerikanischen Patholog:innen – verwendet.

Sudden infant death syndrome (SIDS) ist eine Unterkategorie des SUDS, die für Todesfälle während des ersten Lebensjahres verwendet wird, bei denen nach einer sorgfältigen Untersuchung und Autopsie keine Erklärung für die Ursache gefunden werden konnte. Jährlich versterben in den Vereinigten Staaten etwa 3.500 Säuglinge an SIDS. Es wurde festgestellt, dass nach einem erheblichen Rückgang der Fälle in den 1990er Jahren die Sterblichkeitsrate durch SIDS seit dem Jahr 2000 stagniert. SIDS liegt eine komplexe und multifaktorielle Pathophysiologie zugrunde. Ein Dreifach-Risikomodell beschreibt die häufigsten Risikofaktoren: eine intrinsische Anfälligkeit des Säuglings, eine beeinträchtigte kardiorespiratorische Reaktion während einer kritischen Entwicklungsphase sowie exogene Trigger, wie eine unsichere Schlafumgebung.

 

 

 

Cholinerge Nervenzellen speichern den Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) in membranumhüllten Bläschen (Vesikeln). Bei einem elektrischen Signal gelangt ACh in den synaptischen Spalt, bindet an Acetylcholinrezeptoren der nächsten Nervenzelle, öffnet die Ionenkanäle in den Rezeptoren für durchströmende Ionen, die die nachfolgende (postsynaptische) Nervenzelle aktivieren oder hemmen. So werden im Gehirn beispielsweise Herzschlag und Atmung gesteuert.

Illustrationen: © Birgit Heimbach

Die AAP empfiehlt eine sichere Schlafposition und -umgebung, um das Risiko für ein Kind zu verringern, an SIDS zu versterben. Dazu sollte es auf dem Rücken liegen, nicht zu weich gebettet und vor Überhitzung geschützt werden. Ergänzend wird empfohlen, das Neugeborene mit Muttermilch zu ernähren, es nach empfohlenen Schemata zu impfen sowie einen Schnuller beim Einschlafen zu verwenden. Die Eltern sollten Nikotin, Alkohol und Opioide meiden.

 

 

Butyrylcholinesterase (BChE), das aus Gliazellen stammt, beendet die Wirkung von ACh und wandelt es in Cholin um. Das Enzym verhindert damit die dauerhafte Wirkung von Acetylcholin. Cholin wird in das präsynaptische cholinerge Neuron zurücktransportiert, wo es erneut zu ACh synthetisiert wird.

Die Empfehlungen der AAP umfassen darüber hinaus eine feste und gerade Liegefläche, möglicherweise einen Pappkarton als Schlafplatz, Room-Sharing ohne Bed-Sharing, den Verzicht auf Monitore in der häuslichen Umgebung sowie eine spezielle »Bauchzeit« für Kinder während der Wachphase.

 

 

Ein Mangel an BChE kann bei Säuglingen wie beim cholinergen Syndrom offenbar für eine autonome Dysfunktion verantwortlich sein. Ein BChE-Mangel gilt als Stoffwechsel-Defekt und kann bei Anwendung einiger Lokalanästhetika oder anderen Medikamente zur Muskelrelaxion bei der Anästhesie zu verlängerten Apnoen führen.

 

 

Sicherer Babyschlaf in Rückenlage

 

Als einzige sichere Schlafposition während des ersten Lebensjahres wird die Rückenlage empfohlen. Die anatomische Lage der Trachea beugt einer Aspiration vor, weil sie in Rückenlage oberhalb der Speiseröhre liegt. Der Würgereflex kann in Rückenlage sicher das Eindringen von Fremdkörpern in die kindlichen Atemwege verhindern. Zum besseren Verständnis für den Sinn der Rückenlage zur Vermeidung von SIDS werden in dem Positionspapier eine Grafik und ein Video vorgestellt.

Das Kind sollte auf dem Rücken auf einer flachen und nicht geneigten Oberfläche liegen. Explizit wird dies auch für Kinder mit gastro-intestinalem Reflux empfohlen: Eine Positionstherapie mit erhöhtem Kopf oder Oberkörper sowie seitliche Lagerung sollte vermieden werden. Die Seitenlage wird explizit als unsicher beschrieben und nicht empfohlen.

Es wird darauf hingewiesen, dass keine Evidenzen vorliegen, ob Neugeborene in Seitenlage möglicherweise geschlucktes Fruchtwasser während der ersten Lebensstunden besser ausspucken können. Auch Frühgeborene sollten auf dem Rücken liegen, sobald sie klinisch stabil sind, spätestens jedoch nach der 32. Schwangerschaftswoche. Dies soll sie auf die Rückenlage als Schlafposition nach der Entlassung vorbereiten.

Das Pucken in Rückenlage ist möglich, geht jedoch nicht mit einer Verringerung des SIDS-Risikos einher. Es sollte so durchgeführt werden, dass das Kind sich nicht in Bauchlage drehen kann. Auf schwere und warme Puck-Decken sollte verzichtet werden. Pucken sollte maximal während der ersten drei bis vier Lebensmonate, angewendet werden, bis sich das Kind eigenständig drehen kann.

 

Tipp für die Praxis: Aufklärung zum lagebedingten Reflux

 

Eine erklärende Grafik sowie ein Kurzvideo fassen die Vorteile der Rückenlage im Vergleich zur Bauchlage zusammen und können für Fortbildungs- und Schulungszwecke sowie für die Kommunikation mit Eltern genutzt werden. Link zum Erklärvideo: > https://www.youtube.com/ watch?v=zm0YQbAsDnk

 

 

 

 

Empfehlungen für die Praxis

Sobald sich ein Neugeborenes selbstständig vom Rücken auf den Bauch drehen kann, darf es in der Position schlafen, die es selbst wählt, wobei die Eltern im ersten Lebensjahr die Rückenlage bevorzugt anbieten sollten.

Empfohlen wird die Bauchlage bei Neugeborenen während der Wachzeit. Sie sollten täglich zwischen 15 und 30 Minuten auf dem Bauch liegen, um das Risiko einer Plagiocephalie zu verringern.

 

Details zur Bettausstattung

Die Matratze sollte flach und fest sein. Ein Spannbettlaken kann verwendet werden, jedoch sollten keine weichen Gegenstände wie Kissen, Kuscheltiere oder Bettwäsche im Kinderbett liegen. Die Matratze sollte lückenlos ins Kinderbett passen, damit sich das Kind nicht einklemmt. Auch Kissen oder andere weiche Gegenstände können zu einem Einklemmen des Kindes führen. Matratzen aus Memory-Schaum, die sich aufgrund eines thermoelastischen Prinzips an den Körper anpassen, werden als gefährlich beschrieben, da sie eine Einbuchtung bilden können, in der die Kinder auf den Bauch rollen. Kindersitze für Autos sollten nicht als routinemäßige Schlafumgebung für Babys unter vier Monaten gewählt werden. Es liegen keine Evidenzen für spezielle Matratzen vor. Von der Anwendung häuslicher Monitore wird abgeraten, da diese nicht mit einer SIDS-Reduktion in Zusammenhang gebracht werden konnten.

Achtung: Das Risiko für ein Kind, an SIDS zu versterben, erhöht sich zwischen 22– und 67-fach, wenn es auf der Couch oder einem Sessel zum Schlafen gelegt wird. Diese Orte sollten nie für den Schlaf des Kindes gewählt werden. Auch sollten Erwachsene vermeiden, gemeinsam mit dem Kind an diesen Orten einzuschlafen.

Notlösungen

In manchen Situationen kann dem Kind kein eigenes Bett zur Verfügung gestellt werden. Trotzdem sollten alle Empfehlungen für eine sichere Schlafumgebung berücksichtigt werden. Alternativ sollten ein Pappkarton, ein Korb oder eine Kommodenschublade verwendet werden.

Hitzestau vermeiden

Während des Schlafes sollte ein kindlicher Hitzestau vermieden werden, jedoch schwanken die Angaben zur Raumtemperatur in verschiedenen Studien. Daher wird keine Umgebungstemperatur empfohlen. Als Faustregel gilt, dass ein Kind mit maximal einer Schicht mehr angekleidet werden sollte, als ein Erwachsener dies im selben Raum tun würde, um sich wohl zu fühlen. Neugeborene sollten ohne Mützchen schlafen.

Stillen und Schnuller

Die Ernährung eines Neugeborenen mit Muttermilch wird empfohlen. Die beste Reduktion des SIDS-Risikos wird erreicht, wenn die Mutter ihr Neugeborenes ausschließlich stillt. Obwohl der Effekt unklar bleibt, zeigen verschiedene Studien ein reduziertes SIDS-Risiko auf, wenn das Neugeborene einen Schnuller bekommt. Dieser sollte verwendet werden, sobald das Stillen sich eingespielt hat, wobei der Zeitpunkt individuell verschieden sein kann. Nachdem das Kind den Schnuller nach dem Einschlafen losgelassen hat, sollte er nicht wieder in den Mund gesteckt werden.

Room-Sharing

Die aktuellen AAP-Empfehlungen nehmen Bezug auf das Bedürfnis, dass Eltern oftmals ein Bed-Sharing gegenüber dem Room-Sharing bevorzugen, beispielsweise aufgrund eines leichteren Stillens. Jedoch sprechen sich die Empfehlungen der AAP explizit dagegen aus: »On the basis of evidence the AAP is unable to recommend bed-sharing unter any circumstances. (S. 11)« – Auf Grundlage der Evidenz kann die AAP das Bed-Sharing unter keinen Umständen empfehlen.

Die aktuellen Recommendations empfehlen somit das Room-Sharing, aber nicht das Bed-sharing. Zugrunde gelegt werden Evidenzen, die eine Reduktion des SIDS-Risikos um 50 % aufzeigen, wenn Neugeborene im selben Raum, jedoch nicht im Elternbett schlafen. Das Risiko des Erstickens, Überrollens und einer Strangulation wird dadurch reduziert. Zudem wird auf eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2012 eingegangen, nach der Bed-Sharing im Vergleich zu Room-Sharing mit einem dreifach erhöhten SIDS-Risiko einhergeht (Vennemann et al., 2012). In dieser Studie wird darauf hingewiesen, dass das Risiko für Kinder rauchender Mütter und Kinder unter zwölf Lebenswochen am höchsten war. Besonders hohe Risiken haben dabei Neugeborene, wenn der Mitschläfer im Bett raucht, während der Schwangerschaft geraucht hat oder Drogen konsumiert. Dabei gilt der Babyschlaf im gleichen Raum der Eltern sicherer als der Schlaf in einem anderen Raum: Das Risiko, an SIDS zu versterben ist 2,75– bis 11,5-fach bei denjenigen Neugeborenen erhöht, die in ihrem eigenen Bett im eigenen Zimmer im Vergleich zum eigenen Bett im Zimmer der Eltern schlafen. Somit gilt der Schlaf im eigenen Bett im Zimmer der Eltern sicherer als der Schlaf im eigenen Bett im Kinderzimmer.

Auch Mehrlinge sollten nicht gemeinsam in einem Bett schlafen. Jedes Kind sollte seine eigene Schlafoberfläche haben.

Room-Sharing wird für mindestens sechs Monate empfohlen und wirkt protektiv gegen SIDS während des gesamten ersten Lebensjahres. Nach einer nächtlichen Mahlzeit, nach der die Eltern selbst wieder schlafen möchten, sollte das Neugeborene zurück in das eigene Bett gelegt werden.

 

Fazit und Ausblick

 

Die aktuellen AAP-Empfehlungen enthalten eine Vielzahl verschiedener Aspekte zum kindlichen Schlaf im ersten Lebensjahr. Die Literaturrecherche zeigt viele Evidenzen auf, jedoch fehlen einige wichtige Aussagen zu elterlichen Fragen in der Praxis. Beispielsweise fehlen Angaben zur Raumtemperatur und die Empfehlung zur ergänzenden Kleidungsschicht für das Neugeborene bleibt recht vage. Dazu wäre ein klares Statement aufgrund der Relevanz für die Praxis wünschenswert gewesen.

Zudem fehlt der Bezug zu aktuellen Erkenntnissen der SIDS-Forschung, beispielsweise zu Biomarkern, welche kürzlich in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde (siehe auch DHZ: Plötzlicher Kindstod und das Enzym Butyrylcholinesterase: Eine mögliche Ursache für SIDS identifiziert? > www.dhz-online.de/news/detail/artikel/moegliche-ursache- fuer-sids-identifiziert/). In der genannten Studie zeigen die Biochemikerin Dr. Carmel Therese Harrington und ihr Team, dass eine autonome Dysfunktion aufgrund eines Mangels am Enzym Butyrylcholinesterase als Botenstoff im kindlichen Gehirn mit SIDS in Zusammenhang zu stehen scheint (Harrington et al., 2022). Sie schlussfolgern, dass bei auffallend vielen Kindern, die später an SIDS verstarben, bereits zum Zeitpunkt der Geburt messbare und spezifische Auffälligkeiten vorhanden waren: Butyrylcholinesterase war bei Säuglingen, die später am Plötzlichen Kindstod verstarben, deutlich niederer als bei anderen Säuglingen. Daher empfehlen Harrington und Kolleg:innen, den Biomarker Butyrylcholinesterase zeitnah weiter zu erforschen und die Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis zu evaluieren, um SIDS vorausschauend vermeiden zu können.

Es bleibt unverständlich, warum diese hochrangig publizierte Studie in den aktuellen AAP-Empfehlungen unberücksichtigt und unkommentiert bleibt. Könnte die Bestimmung dieses Biomarkers zum Zeitpunkt der Geburt vielleicht eine zusätzliche Komponente auf dem Weg darstellen, SIDS zu verringern?

In Deutschland liegt zur Prävention des Plötzlichen Kindstods eine S1-Leitlinie der AWMF aus dem Jahr 2018 vor (Poets, 2018). Sie brachte bereits damals ähnliche Empfehlungen wie die aktuelle AAP-Recommendations zum Ausdruck. Auch hier werden Rückenlage, rauchfreie Umgebung, Vermeidung von Überwärmung, Stillen im ersten Lebensjahr und Verwendung eines Schnullers zum Einschlafen sowie ein eigenes Kinderbett im Elternschlafzimmer empfohlen. Die gesündeste Raumtemperatur wird mit 18 °C angegeben. Leider handelt es sich bei dieser AWMF-Leitlinie um die entwicklungsmethodisch schwächste mögliche Form S1. Aufgrund der Relevanz von SIDS wäre es bei einer Überarbeitung wünschenswert, sie auf einem höheres entwicklungsmethodischen Niveau zu revidieren.

SIDS ist und bleibt ein herausforderndes Thema: Die Autor:innen der AAP empfehlen, die Maßnahmen zur Vermeidung des Plötzlichen Kindstods so früh wie möglich mit den Eltern zu besprechen, am besten bereits während der Schwangerschaft. Zudem sollte weitere Forschung zum Thema SIDS durchgeführt werden. Sie empfehlen die Umsetzung aller AAP-Empfehlungen, um das Risiko des Plötzlichen Kindstodes zu verringern.

Rubrik: Ausgabe 10/2022

Erscheinungsdatum: 27.09.2022

Literatur

Harrington, C. T., Hafid, N. A. & Waters, K. A. (2022). Butyrylcholinesterase is a potential biomarker for Sudden Infant Death Syndrome. EBioMedicine, 80, 104041.

Moon, R. Y., Carlin, R. F., Hand, I., Task Force on Sudden Infant Death Syndrome; AAP Committee on Fetus and Newborn. (2022a). Evidence Base for 2022 Updated Recommendations for a Safe Infant Sleeping Environment to Reduce the Risk of Sleep-Related Infant Deaths. Pediatrics, 150.

Moon, R. Y., Carlin, R. F., Hand, I., Task Force on Sudden Infant Death Syndrome; AAP Committee on Fetus and Newborn. (2022b). Sleep-Related Infant Deaths: Updated 2022 Recommendations for Reducing Infant Deaths in the Sleep Environment. Pediatrics, 150.

Poets, C. K., Kramer, A. (2018). AWMF. Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften. Prävention des plötzlichen Säuglingstods. AWMF, 063–002.

Vennemann, M. M., Hense, H. W., Bajanowski, T., Blair, P. S., Complojer, C., Moon, R. Y. &...

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