Sekundärdatenanalyse aus Westafrika

Fragliche Praktiken in der Neugeborenenversorgung

  • Viele Neugeborene bekommen laut einer in Lancet veröffentlichen Studie nicht die optimale Pflege in den ersten beiden Stunden nach der Geburt. Hier könnten mit einfachen Regeln und Mitteln deutliche Verbesserungen erzielt werden.

  • Die Verbesserung der Versorgungsqualität von Frauen und Neugeborenen steht im Zentrum vieler Publikationen und wird in vielen Ländern als gesundheitspolitisches Ziel benannt. Obwohl in diesem Zusammenhang das Interesse an Erfahrungen aus dem Pflegebereich wächst und zunehmend auch respektvolle Pflegepraktiken diskutiert werden, fehlt bislang Forschung zu misshandelnden Praktiken besonders vulnerabler Gruppen, beispielsweise von Neugeborenen. Das Ziel der vorliegenden Studie bestand darin die Versorgung zu beschreiben, die Neugeborene in den ersten beiden Lebensstunden in Westafrika erhalten.

    Die Daten stammen aus einer Studie der WHO zur Frage der Betreuungsqualität von Frauen. Dabei handelt es sich um eine Sekundärdatenanalyse, da ausschließlich Daten zur Versorgung des Neugeborenen berücksichtigt wurden. Evaluiert wurden Daten aus neun geburtshilflichen Stationen der drei westafrikanischen Länder Ghana, Guinea und Nigeria, die zwischen 2016 und 2017 erhoben wurden. Diese umfassen 15 Pflegepraktiken während der ersten zwei Stunden nach der Geburt unter 1.627 Neugeborenen, die lebendig am Termin vaginal geboren wurden.

    Die meisten Neugeborenen wurden spät (> 60 Sekunden) abgenabelt (91,8%). Sofortiger Haut-zu-Haut Kontakt zwischen der Mutter und ihrem Neugeborenen direkt nach der Geburt des Kindes fand in 64,4% statt. Innerhalb eines Zeitraums von 30 Minuten nach der Geburt erfolgte bei knapp einem Viertel der Neugeborenen der Stillbeginn (23,9%). Nach Bedarf wurden 31,6 % gestillt, wobei Mütter mit geringer Bildung und der Geburt eines Kindes mit geringem Geburtsgewicht unter 2,5 kg sich seltener für das Stillen entschieden.

    Eine Vielzahl fraglicher Pflegepraktiken wurde beobachtet: So erfolgte ein routinemäßiges Absaugen bei 67,7% der Neugeborenen. Über die Hälfte aller Neugeborenen wurde in den ersten beiden Lebensstunden von ihrer Mutter getrennt (51,9 %), wobei dies bei Single-Müttern häufiger als bei verheirateten Müttern der Fall war. Zudem wurden 1,3 % aller Kinder direkt nach der Geburt mit Alkohol abgewaschen. Bei 4,1% der Neugeborenen erfolgte ein Versuch, an der kindlichen Brust Milch auszudrücken, und einen Klaps auf den Po erhielten 4,3 %. Mit dem Gesicht nach unten wurden 7,1 % gelagert oder an den Beiden kopfüber gehalten (8,1%). Unbeaufsichtigt blieben 0,9 % der Neugeborenen und eine Verweigerung durch das Personal  überhaupt eine Pflege während der ersten beiden Stunden zu leisten  erfolgte in 0,6 %, wobei der Grund darin lag, dass keine Bezahlung der Leistungen durch die Frau erfolgte.

    Die AutorInnen interpretieren Ihre Ergebnisse als Zeichen dafür, dass ein Großteil der Neugeborenen nicht im Rahmen gültiger Empfehlungen betreut wurde und werten einige der beobachteten Versorgungspraktiken als misshandelnde Pflegepraxis. Sie empfehlen die Umsetzung gültiger Empfehlungen, um die Versorgungspraxis nachhaltig zu verbessern. Dies umfasst die Umsetzung einfacher und effektiver Pflegemaßnahmen wie Haut-zu-Haut Kontakt zwischen der Mutter und ihrem Neugeborenen und das frühzeitige Anlegen eines Neugeborenen, besonders bei Kindern mit geringem Geburtsgewicht und frühgeborenen Kindern. Sie empfehlen weitere Forschung um die Versorgungsqualität und eine respektvollen Pflege Neugeborener in westafrikanischen Ländern zu verbessern.

    Sacks E et al.: The first 2 h after birth: prevalence and factors associated with neonatal care practices from a multicountry, facility-based, observational study. The Lancet Global Health 2021. 9, e72-e80. https://www.thelancet.com/pdfs/journals/langlo/PIIS2214-109X(20)30422-8.pdf DHZ

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 14.01.2021