Forschung am menschlichen Genom

Beeinflussen Gene von Mutter und Kind die Schwangerschaftsdauer?

  • Sowohl das Erbgut der Mutter als auch des Kindes sind für die Dauer der Schwangerschaft verantwortlich – teils mit unterschiedlichen Zielrichtungen.

  • Die Dauer der Schwangerschaft ist ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen des Fetus nach einer ungestörten Entwicklung in einer geschützten Umgebung und den anatomischen Voraussetzungen für die Geburt durch den Geburtsweg der Mutter. Dies zeigte sich auch in einer Untersuchung in Nature Genetics die die genetischen Einflüsse bei Mutter und Kind auf die Schwangerschaftsdauer untersucht hat.

    Der aufrechte Gang des Menschen hat das knöcherne Becken vergrößert und die Geburt zu einer heiklen Angelegenheit für Mutter und Kind gemacht. Der Kopfumfang des Fetus ist größer als der Geburtsweg und der Fetus kann ihn nur passieren, weil sich seine Schädelknochen gegeneinander verschieben und die Bänder des weiblichen Beckens nachgeben. Bei der Schimpansin ist die Öffnung im knöchernen Becken noch doppelt so groß wie der Kopfumfang des Feten.

    Damit die Geburt gelingt, muss das Timing stimmen. Noch immer ist unklar, wer den Zeitpunkt der Geburt festlegt. Ist es das Kind, dessen Wachstum im Uterus an seine Grenzen stößt? Oder löst die zunehmende Dehnung des Uterus ab einem Punkt die unwillkürlichen Kontraktionen der Wehen aus, die zur Geburt des Feten führen?

    Das »Early Growth Genetics Consortium«, zu dem sich ein internationales Team aus 90 Forscher:innen zusammengeschlossen hat, versucht die Frage durch genom-weite Assoziationsstudien (GWAS) zu klären. Dabei werden Abweichungen im Erbgut mit der Dauer der Schwangerschaft in Beziehung gesetzt

    Die Erfolgschancen einer GWAS steigen mit der Zahl der untersuchten Personen. Die Forscher:innen konnten 195.555 Genome von Schwangeren mit Einzelschwangerschaften analysieren, deren Dauer bekannt war. In 183.833 Fällen standen auch die genetischen Daten des Kindes oder auch des Vaters zur Verfügung.

    Das Team um Bo Jacobsson von der Universität Göteborg fand 24 Varianten, die die Dauer der Schwangerschaften beeinflussten: 15 fanden sich im Erbgut der Mutter, 7 bei Mutter und Kind und 2 nur beim Kind.

    Ein Ziel der Studie war, einen genetischen Score zu erstellen, mit dem sich eine Frühgeburt anhand eines Gentests vorhersagen ließe. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Der genetische Score erklärte nur 2,2 % der Unterschiede in der Schwangerschaftsdauer. Für die Diagnose einer Frühgeburt ist er deshalb nicht geeignet.

    Interessant war, dass einige der gemeinsamen Genvarianten bei Mutter und Kind entgegengesetzte Auswirkungen hatten. Bei der Mutter begünstigten sie einen früheren Beginn der Wehen, bei dem Kind dagegen ein schnelleres Wachstum. Umgekehrt scheinen Gene, die die Dauer der Schwangerschaft bei der Mutter verlängern, das Wachstum des Feten zu vermindern.

    Die Forscher:innen sprechen von einer antagonistischen Pleiotropie, die sich als Kompromiss in einem Interessenkonflikt von Mutter und Kind deuten lasse. Dabei ist die Mutter daran interessiert, die Schwangerschaft zu beenden, so lange dies noch ohne Gefahr für Leib und Gesundheit möglich ist. Die Interessen des Feten bestehen darin, so lange wie möglich von der geschützten Umgebung im Uterus zu profitieren, bevor sie ein eigenes Leben beginnen.

    Quelle: Solé-Navais, P., Flatley, C., Steinthorsdottir, V., Vaudel, M., Juodakis, J., Chen, J., Laisk, T., LaBella, A. L., Westergaard, D., Bacelis, J., Brumpton, B., Skotte, L., Borges, M. C., Helgeland, Ø., Mahajan, A., Wielscher, M., Lin, F., Briggs, C., Wang, C. A., Moen, G. H., … Jacobsson, B. (2023). Genetic effects on the timing of parturition and links to fetal birth weight. Nature genetics, 55(4), 559–567. https://doi.org/10.1038/s41588-023-01343-9 ∙ aerzteblatt.de, 14.4.2023 ∙ DHZ

    Rubrik: Schwangerschaft

    Erscheinungsdatum: 19.04.2023