Genetische Signale über die Muttermilch?
Dass der Medizinnobelpreis für die Erstbeschreibung der microRNA (miRNA) vergeben wurde, beeinflusst auch Forschungen zur Bedeutung der Muttermilch. Humane Muttermilch enthält rund 1.400 verschiedene miRNA, also kurze RNA-Sequenzen, und zählt damit zu den Körperflüssigkeiten und Sekreten, die ganz besonders reich an diesen Molekülen sind.
Um wirksam zu werden, muss es den miRNA aus der Muttermilch zunächst gelingen, den Magen-Darm-Trakt des Neugeborenen unverändert zu passieren, was die damit befassten Forscherteams schon früh beschäftigt hat. Dazu zählt eine Arbeitsgruppe um Jan Postberg, Leiter des Forschungslabors für Klinische Molekulargenetik und Epigenetik und Vorstand des Zentrums für Forschung in der Klinischen Medizin (ZFKM) am Helios Universitätsklinikum Wuppertal und der Universität Witten/Herdecke. Dort konnte man den Weg der miRNA nach der oralen Aufnahme verfolgen und zeigen, dass diese die Magen-Darm-Passage beim Menschen, aber auch bei Ferkeln unbeschadet überstehen und zumindest dort auch in Darmepithelzellen gelangen. Bei den frühgeborenen Ferkeln zeigte sich sogar, dass die miRNA in den Darmepithelzellen an spezielle Proteinkomplexe gebunden vorliegen, die sogenannte Argonauten-Proteine enthalten.
Diese Argonauten-Proteinkomplexe sind wichtig für die eigentliche Funktion der miRNA: die Regulation der Genexpression durch die Bindung und Hemmung von messenger RNAs (mRNA). Es wurde außerdem beobachtet, dass oral aufgenommene miRNA auch ins Blut gelangen können.
Im Grunde gehe es darum, herauszufinden, ob der mengenmäßig nicht unerhebliche miRNA-Anteil in der Muttermilch rein der Ernährung des Säuglings diene oder weitere, epigenetische Steuerungsaufgaben übernehme. »Vermutlich läuft es auf beides hinaus. Daher konzentrieren wir uns darauf herauszufinden, auf welche der zahlreichen mRNA es bestimmte miRNA abgesehen haben könnten«, so Postberg. »Es ist vorstellbar, dass sich ein Set von miRNAs identifizieren lässt, das etwa so wie der Surfactant-Faktor bei der Lungenreifung die optimale Darmreifung unterstützen hilft – etwa bei Frühgeborenen oder immunologisch beeinträchtigten Babys.« Dieser Mammutaufgabe widmeten sich derzeit international viele Arbeitsgruppen.
Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass miRNA in der Muttermilch bei zahlreichen immunvermittelten Erkrankungen eine Rolle spielen könnten. Hier werden chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, die nekrotisierende Enterocolitis oder der Typ-1-Diabetes genannt.
Quelle: Weil, P. P., Reincke, S., Hirsch, C. A., Giachero, F., Aydin, M., Scholz, J., Jönsson, F., Hagedorn, C., Nguyen, D. N., Thymann, T., Pembaur, A., Orth, V., Wünsche, V., Jiang, P. P., Wirth, S., Jenke, A. C. W., Sangild, P. T., Kreppel, F., & Postberg, J. (2023). Uncovering the gastrointestinal passage, intestinal epithelial cellular uptake, and AGO2 loading of milk miRNAs in neonates using xenomiRs as tracers. The American journal of clinical nutrition, 117(6), 1195–1210. https://doi.org/10.1016/j.ajcnut.2023.03.016 · aerzteblatt.de, 14.10.2024/DHZ