Mehr Hebammen – mehr Physiologie in der Geburtshilfe
Hebammenarbeit spielt in den USA im Vergleich zu anderen Ländern mit durchschnittlich hohem Einkommen eine eher untergeordnete Rolle: So kommen auf 1.000 Lebendgeburten 4 Hebammen, in den meisten anderen Ländern mit hohem durchschnittlichem Einkommen kommen auf 1.000 Lebendgeburten zwischen 30 und 70 Hebammen.
Im American Journal of Obstetrics and Gynecology wurde diese Situation nun durch die Professorin Joan Combellick und ihr Team aufgegriffen, indem in Form eines Expert:innen-Reviews die Betreuung durch Hebammen während der Geburt sowie assoziierte zugrundeliegende Strukturen genauer analysiert wurden (Combellick et al., 2023).
Zertifizierung als Hebamme
Hebammen können in den USA nach erfolgreicher Zertifizierung arbeiten. Diese erfolgt über verschiedene Wege, beispielsweise über das American College of Nurse Midwives: Im Jahr 2022 waren darüber 13.762 CNMs (Certified Nurse-Midwives) und 126 CMs (Certified Midwives) für 50 Staaten der USA sowie Columbia und Territorien zertifiziert.
Die North America Registry of Midwives ermöglicht eine Zertifizierung als Hebamme nach erfolgreicher Ausbildung zur Hebamme. Im Jahr 2016 waren darüber 2.069 Zertifikate aktiv. 94,1 % aller CNM-begleiteten Geburten finden im klinischen Setting statt.
Somit kann davon ausgegangen werden, dass in den gesamten USA circa 16.000 Hebammen registriert sind, die zumeist klinisch arbeiten und über unterschiedliche berufliche Kompetenzen verfügen: Hebammen in den USA haben entweder einen akademischen oder ausbildungsbasierten Hintergrund, der meistens einen Zusammenhang zum pflegerischen Kontext aufweist. Ein Konsensus-Dokument wurde hierzu im Jahr 2018 von sieben Hebammenorganisationen der USA erstellt, um die existierenden Ungleichheiten zu adressieren (Kennedy et al., 2018).
Reflexion der Hebammendichte im Vergleich
Die Autor:innen des Expert:innen-Review reflektieren kritisch, dass in Ländern mit größerer Hebammendichte als den USA bessere geburtshilfliche Outcome-Parameter existieren: Geringere mütterliche Sterblichkeit, geringere neonatale Mortalität, geringere Kosten im Gesundheitswesen. Zudem werden weniger überflüssige geburtshilfliche Interventionen durchgeführt, die Sectiorate sowie die Rate an Geburtseinleitungen ist geringer und weniger Kinder werden zu früh geboren. Es finden mehr vaginale Geburten nach einem vorausgegangenen Kaiserschnitt statt.
Hebammenarbeit geht mit einer respektvollen Betreuung und einer hohen Zufriedenheit der betreuten Frauen einher.
Die Autor:innen diskutieren Daten der WHO (2023), die eine mütterliche Sterblichkeit in anderen Ländern mit hohem durchschnittlichem Einkommen aufzeigen, welche bei 10 mütterlichen Sterbefällen pro 100.000 Lebendgeburten oder darunter liegt. Diese beträgt hingegen in den USA 17/100.000 Lebendgeburten. Die neonatale Mortalität war unter allen Ländern mit hohem durchschnittlichem Einkommen in den USA am höchsten und betrug 3,5 pro 100.000 Lebendgeburten.
»Ungestörte Geburt« und »Risk-Continuum«
Combellick und Kolleg:innen (2023) verwenden den Begriff der »ungestörten Geburt«, um Gebären als physiologischen Prozess zu beschreiben, der während der Geburt und der frühen Postpartalphase lediglich ein Minimum an Interventionen oder medizinisch indizierter Interventionen umfasst. Sie definieren Hebammen als Expert:innen für die Begleitung physiologischer Verläufe von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Gleichzeitig verwenden sie den Begriff »Risk-Continuum«, einem etwas unverständlich anmutenden Begriff für die Beschreibung des physiologischen Betreuungsbogens rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.
Diskutiert werden Komplikationen im Bereich der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, eine fehlende Autonomie für die Tätigkeit einer Hebamme sowie Hebammenarbeit im internationalen Kontext. Verschiedene landeseigene Herausforderungen existieren in den USA, beispielsweise ein Fachkräftemangel.
Überflüssige Interventionen
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf einer kritischen Betrachtung überflüssig durchgeführter geburtshilflicher Interventionen. Bezug wird beispielsweise auf die Lancet Series Midwifery und den Quality Maternal and Newborn Care Framework (Renfrew et al., 2014) genommen. Die Diskussion wird mit einem Verweis auf den Blueprint for adressing the Maternal Health Crisis abgerundet, der durch das Weiße Haus (2022) veröffentlich wurde. Darin enthalten ist ein für die USA adaptierter Quality Maternal and Newborn Care Framework.
Resümee
Die Autor:innen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass durch mehr Hebammenarbeit bessere geburtshilfliche Outcome-Parameter für Gebärende und ihre Neugeborenen in den USA möglich wären.
Quelle: Combellick, J. L., Telfer, M. L., Ibrahim, B. B., Novick, G., Morelli, E. M., James-Conterelli, S. & Kennedy, H. P. (2023). Midwifery care during labor and birth in the United States. American Journal of Obstetrics and Gynecology. www.x-mol.net/paper/article/1639090822392983552 ∙ Kennedy, H. P., Myers-Ciecko, J. A., Carr, K. C., Breedlove, G., Bailey, T., Farrell, M. V., Lawlor, M., & Darragh, I. (2018). United States Model Midwifery Legislation and Regulation: Development of a Consensus Document. Journal of midwifery & women's health, 63(6), 652–659. https://doi.org/10.1111/jmwh.12727 ∙ Renfrew, M. J., McFadden, A., Bastos, M. H., Campbell, J., Channon, A. A., Cheung, N. F., Silva, D. R., Downe, S., Kennedy, H. P., Malata, A., McCormick, F., Wick, L., & Declercq, E. (2014). Midwifery and quality care: findings from a new evidence-informed framework for maternal and newborn care. Lancet (London, England), 384(9948), 1129–1145. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(14)60789-3 ∙ WHO (2022). The White House Washington. Maternal-Health-Blueprint ∙ WHO, UNFPA 2023. Trends in maternal mortality. ∙ Beate Ramsayer/DHZ