Aplasia cutis congenita (ACC)

Offene Wunde am Scheitel

Die Aplasia cutis congenita kommt zwar nur selten vor, kann junge Eltern aber sehr verunsichern. Hebammen sollten diese offenen Wunden am Kopf eines Neugeborenen richtig deuten und kompetent behandeln können. Eine Übersicht zum Krankheitsbild und zu Wie HebammenTherapien. Dr. med. Miriam Fattouh | PD Dr. med. Ingo Königs
  • Abbildung 1: Klassisches Bild einer Aplasia cutis congenita vertex beim Neugeborenen mit partiell sichtbarem Sinus sagittalis superior und einzelnen dermalen Inseln innerhalb des Defektes

  • Abbildung 2: Aplasia cutis congenita mit sogenanntem hair collar sign

  • Bei der Aplasia cutis congenita (ACC) handelt es sich um einen Hautdefekt, der meist am Kopf im Bereich des Scheitels auftritt (Frieden, 1986). Daher wird sie auch als Aplasia cutis verticis congenita (ACCV) bezeichnet. Der Defekt ist bereits bei Geburt ersichtlich, kann unterschiedlich groß sein und alle Hautschichten betreffen. Die runden oder ovalen Hautdefekte sind meist gut abgegrenzt und können einzeln oder multipel auftreten, beispielsweise am Scheitel. Die Aplasia cutis congenita kann sich im Bereich des Kopfes auch als durchgehender Defekt von Kopfhaut, Schädelknochen und Dura manifestieren.

    Die Aplasia cutis tritt bei 1 pro 10.000 Neugeborenen auf, egal welchen Geschlechts (Browning, 2013). Die Pathogenese ist unklar. Als Auslöser für die Entstehung werden Infektionen, Durchblutungsstörungen der Haut, Amniondefekte, teratogene und genetische Ursachen diskutiert. Vaskuläre Faktoren betreffen einen Diabetes oder eine arterielle Hypertonie der Kindsmutter. Dadurch kann es zu einer Beeinträchtigung der Blutzirkulation in den Kapillaren der Kopfhaut kommen, welche die feinsten des Körpers sind.

    Ein wiederholtes Auftreten der ACC innerhalb einer Familie ist sehr selten und kann sowohl mit autosomal-dominanter als auch mit autosomal-rezessiver Vererbung einhergehen (Evers et al., 1995).

    In der Mehrzahl der Fälle tritt die Aplasia cutis als isolierter Defekt auf. Sie kann aber auch mit anderen Anomalien der Haut der Augen, des Hals-Nasen-Ohren-Bereiches und der Gliedmaßen einhergehen. Es können ebenso begleitend Fehlbildungen des kardiovaskulären, urogenitalen sowie gastrointestinalen Systems auftreten. Zudem kann die Aplasia cutis auch Bestandteil verschiedener Syndrome sein.

    Die Aplasia cutis congenita wird nach der US-amerikanischen Dermatologin Ilona J. Frieden in neun Unterformen unterteilt (Frieden, 1986). Sie lassen sich abhängig von der Lokalisation der betroffenen Areale abgrenzen.

     

    Das klinische Bild

     

    Eine Aplasia cutis congenita ist bei Säuglingen bereits bei der Geburt ersichtlich. Teilweise fehlt die Haut komplett, in anderen Fällen liegen nur dünne Membranen vor. Bei einer Aplasia cutis congenita im Bereich des Scheitels zeigt sich oft ein Haarkranz um das Areal. Klinisch imponieren lokal sehr begrenzte oder auch verteilte Hautdefekte, hervorgerufen durch eine Aplasie einzelner oder aller Hautschichten. Die Befundausprägung ist sehr variabel und kann sowohl oberflächlich als auch sehr tief sein (Aboutara et al., 2020).

    Im Bereich des Kopfes kann es bei betroffenen Neugeborenen zum Beispiel auch zu einem vollständigen Defekt inklusive Beeinträchtigung der Kalotte und der Hirnhäute kommen.

     

    Assoziierte Syndrome

     

    Die Aplasia cutis congenita kann isoliert auftreten, aber auch in Zusammenhang mit begleitenden Fehlbildungen sowie als Bestandteil verschiedener Syndrome. Dazu zählen beispielsweise das Adams-Oliver-Syndrom, Chromosomenanomalien, insbesondere Trisomie 13, oder aber auch das Johanson-Blizzard-Syndrom und das EEC-Syndrom (Ektrodaktylie, ektodermale Dysplasie und Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte) (Yap et al., 1985).

    Beim Adams-Oliver-Syndrom handelt es sich um eine seltene Erkrankung mit einer charakteristischen Kombination von Extremitätenfehlbildungen, angeborenen Defekten der Kopfhaut sowie häufig auch Ossifikationsstörungen des Schädeldaches (Lehman, 2016). Neben der Aplasia cutis congenita treten transversale Gliedmaßendefekte und Cutis marmorata teleangiectatica auf. Die Betroffenen haben charakteristische Fehlbildungen der Hände, Arme, Füße und/oder Beine, die von hypoplastischen Fingern und Zehen bis zu fehlenden Händen und/oder fehlenden Unterschenkeln reichen.

    Das Johanson-Blizzard-Syndrom (JBS) ist eine multiple kongenitale Anomalie, die durch exokrine Pankreasinsuffizienz, Hypoplasie/Aplasie der Nasenflügel, Hypodontie, Schallempfindungsschwerhörigkeit, Wachstumsverzögerung, anale und urogenitale Fehlbildungen und variable Intelligenzminderung gekennzeichnet ist (Rudnik-Schöneborn et al., 1991).

    Zudem kann die Aplasia cutis auch in Zusammenhang mit einer Epidermolysis bullosa auftreten. Wenn zudem auch noch eine Pylorusatresie vorliegt, spricht man auch vom Carmi-Syndrom (Trah et al., 2018).

     

    Diagnostik

     

    Die Aplasia cutis congenita wird mit einer Blickdiagnose festgestellt. Das typische klinische Bild zeigt solitäre Hautdefekte unterschiedlicher Größe, die zu 86 % im Bereich der Kopfhaut zu finden sind, selten im Gesicht, am Stamm oder an den Extremitäten.

    Bei begleitenden Fehlbildungen, zum Beispiel an den Extremitäten, oder auch einem Befund im Bereich der Mittellinie des Kopfes sollten weiterführend auch Sonografien des Abdomens oder ein MRT des Kopfes durchgeführt werden.

     

    Mögliche Therapien

     

    Die Therapie einer Aplasia cutis congenita ist heterogen und hängt von der Größe des Defektes ab, sowie von potenziellen Begleiterscheinungen wie beispielsweise einer Encephalozele. Prinzipiell sollte stets zunächst eine konservative Behandlung angestrebt werden. Bei ausgeprägten Knochendefekten oder Befall des Sinus sagittalis kann die chirurgische Versorgung indiziert sein (Santos et al., 2006).

     

    Abbildung 3 a–c: Gleicher Patient wie in Abbildung 1 unter konservativem Wund­management

     

    Komplikationen wie eine Sinusvenenthrombose oder eine Leptomeningitis unter konservativem Management sind extrem selten, wurden aber berichtet (Tröbs et al., 2010).

    Eine weitere Komplikation kann das Auftreten einer Encephalocele im Rahmen eines Adams-Oliver-Syndroms sein, welches mit einer Inzidenz von 1,3 % beschrieben worden ist (Hassed et al., 2017).

    Oberflächliche Läsionen heilen mit lokaler Wundpflege und gegebenenfalls antibiotischer Behandlung gut ab. Bei Patient:innen mit großen Haut- und Knochendefekten besteht jedoch ein hohes Infektions- und Blutungsrisiko. In den meisten Fällen kann die chirurgische Sanierung der Aplasia sekundär, also im Verlauf angegangen werden. Beispielsweise kann die fehlende Haarbildung als Folge der Aplasia cutis im Kopfbereich je nach Größe des Befundes entweder im Verlauf exzidiert und primär verschlossen werden oder aber bei größeren Defekten eine Exzision und ein Defektverschluss mittels lokaler Lappenplastik durchgeführt werden. Bei sehr großen Defekten ist gegebenenfalls ein aufwendigeres Verfahren nötig, zum Beispiel mittels Expander. Bei größeren Defekten kann auch mit Dermisersatzmaterial und konsekutiver Spalthauttransplantation gearbeitet werden.

    Die meisten Areale lassen sich aber zunächst postpartal mit einem guten Wundmanagement und der Verhinderung von potenziellen Infektionen managen.

     

    Abbildung 4 a–b: Gleiche Patientin wie in Abbildung 2 bei der Geburt sowie nach drei Monaten unter konservativem Management

     

    Rubrik: Ausgabe 11/2022

    Erscheinungsdatum: 27.10.2022

    Nachgefragt

    Peggy Seehafer: Müssen Mütter mit ihren Kindern mit ACC nach der Geburt länger in der Klinik bleiben oder können solche Wunden auch zu Hause versorgt werden? Würde das eine geschulte Kinderkrankenschwester übernehmen oder lernen die Eltern das in der Klinik?

    Miriam Fattouh: Wenn die Eltern im Wundmanagement angeleitet sind, bedarf es nicht zwingend einer weiteren stationären Versorgung, sondern es reichen durchaus ambulante ärztliche Vorstellungen.

    Peggy Seehafer: Werden auch größere Wunden offen gepflegt oder verbunden? Können diese Kinder eine Mütze aufsetzen und auch rausgehen?

    Miriam Fattouh: Das hängt von der Wundbeschaffenheit ab: Anfangs bietet es sich an, die Wunden mit speziellen Wundauflagen zu schützen und zu behandeln, beispielsweise mit silberhaltigen Wundauflagen, um einer Infektion vorzubeugen. Wenn das Areal aber schon trocken und gegebenenfalls krustig belegt ist, bedarf es keiner speziellen Wundauflage mehr und es kann mit einer Mütze vor Kälte geschützt werden.

    Peggy Seehafer: Wie schmerzgeplagt sind diese Kinder? Ist jedes Hinlegen oder Berühren ein Drama?

    Miriam Fattouh: Wenn das Areal trocken und reizlos ist, haben die Kinder in der Regel keine Schmerzen. Lediglich bei noch offenen Arealen oder Infektionen können Schmerzen begleitend sein.

    Peggy Seehafer: Wenn ich diese Wunden sehe, frage ich mich, ob es überhaupt zulässig ist, die kleinen Elektroden zur Herztonüberwachung während der Geburt an den Kopf anzulegen. Wir wissen ja vorher nicht, ob da vielleicht so ein Defekt besteht. Oder sind diese Defekte vorgeburtlich im Ultraschall erkennbar?

    Miriam Fattouh: Pränatal sind die Defekte nicht ersichtlich. Aber man sieht sie mit dem bloßen Auge, daher können Sie sie nicht übersehen.

    Peggy Seehafer: Gibt es spezialisierte Kliniken oder Praxen, wo Hebammen betroffene Familien hinschicken können, oder können niedergelassene Kinderärzt:innen sie betreuen?

    Miriam Fattouh: Meines Erachtens sollten die Kinder in spezialisierten Abteilungen betreut werden, da hier ein gutes Wundmanagement das A und O ist. Ich empfehle eine pädiatrische plastische Chirurgie oder aber pädiatrische Dermatologie.

    Peggy Seehafer: Ab welchem Kindsalter würden Sie denn chirurgisch sanieren?

    Miriam Fattouh: Das hängt ganz von dem Leidensdruck der Eltern ab. In der Regel sollte eine Sanierung nicht zu früh erfolgen, da eine gewisse Compliance und das Verständnis der der Kinder für die Behandlung ebenfalls eine Rolle spielt. Ich würde sagen, wenn der Befund reizlos ist und eine kosmetische Rolle spielt, ab dem vierten bis fünften Lebensjahr frühestens.

    Danke für Ihre Einschätzungen!

    Literatur

    Aboutara, M. et al. (2015). Aplasia Cutis Congenita mit Fetus Papyraceus (ACC Typ 5) – eine Blickdiagnose. Recommendation of an European Expert group. Eur J Pediatr, Jul;174(7): 855–65

    Browning, J.C. (2013). Aplasia cutis congenita: approach to evaluation and management. Dermatol Ther., Nov-Dec;26(6):439–44. doi: 10.1111/dth.12106. PMID: 24552406.

    Colon-Fontanez, F., Fallon Friedlander, S., Newbury, R., Eichenfield, L.F. (2003). Bullous aplasia cutis congenita. J Am Acad Dermatol., May;48(5 Suppl): S95–8. doi: 10.1067/mjd.2003.150. PMID: 12734490.

    Evers, M.E., Steijlen, P.M., Hamel, B.C. (1995). Aplasia cutis congenita and associated disorders: an update. Clin Genet., Jun;47(6):295–301. doi: 10.1111/j. 1399–0004.1995.tb03968.x. PMID: 7554362.

    Hassed, S., Li, S., Mulvihill, J., Aston, C. & Palmer, S. (2017). Adams–Oliver syndrome review of the literature: Refining the diagnostic phenotype. Am. J. Med. Genet., Part A 173, 790–800.

    Frieden I. J. (1986)....

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