Injektion von sterilem Wasser

Quaddeln gegen den Schmerz

Fast die Hälfte aller Gebärenden klagt über starke Rückenschmerzen. Quaddeln mit sterilem Wasser ist während der Geburt eine einfache, wirksame Schmerztherapie ohne Nebenwirkungen. Sie war mit dem Einzug der Periduralanalgesie in Vergessenheit geraten. Nachdem ihre Evidenz belegt wurde, sollten Hebammen dieses Handwerk wieder aufnehmen. Dr. Nigel Lee
  • Die Frau kann für die Injektion vornübergebeugt sitzen oder auf der Seite liegen. Zwei Papeln sind bereits gesetzt, zwei weitere sind angezeichnet.

  • Die Papel an der Einstichstelle links wurde mit sterilem Wasser durchgeführt, die umgebende Haut zeigt deutliche Reaktionen, die rechte Papel wurde mit Kochsalzlösung ausgeführt, das vom Körper schnell und fast reaktionslos absorbiert wird. Die Kreuze beschreiben die vorher ausgewählten Einstichstellen.

  • Die subkutane Injektion von sterilem Wasser gegen wehenbedingte Rückenschmerzen war in Nordeuropa verbreitet seit der Veröffentlichung einer bahnbrechenden Forschungsarbeit von Martenson und Wallin (Martensson & Wallin 1999). Die relativ einfache und preiswerte Möglichkeit der Schmerzbekämpfung besteht in der intra- oder subkutanen Injektion von geringen Mengen sterilen Wassers (0,1 bis 0,5 Milliliter). Die Injektion verursacht eine kurze, aber sehr schmerzhafte Reaktion, gefolgt von fast sofortiger Schmerzerleichterung im Bereich der Injektionsstelle. Die analgesierende Wirkung hält bis zu zwei Stunden lang an (Martensson & Wallin 2008).

    Das Verfahren wird hauptsächlich bei wehenbedingten Rückenschmerzen angewendet, obwohl die Forschung nahelegt, dass es auch bei der Behandlung von anderen akuten oder chronischen Schmerzen wie Nierenkoliken (Sgirci et al. 2005), Rückenschmerzen (Cui et al. 2016) und Schleudertrauma (Byrn et al. 1993) hilfreich sein könnte.

    Bei Schwangeren wächst die Skepsis gegenüber Nebenwirkungen der üblichen Schmerzmedikation wie Morphinen während der Geburt und die mit Regionalanästhesien assoziierte Interventionskaskade (Petersen et al. 2013). Deshalb lohnt es sich, den erwiesenen Nutzen und die Methode dieser Schmerzlinderung zu überprüfen.

     

    Hilfe bei „Rückenwehen"

     

    Rückenschmerzen treffen 75 Prozent aller Frauen bei der Geburt, bei bis zu 45 Prozent sind die Schmerzen anhaltend und sehr stark (Melzack & Schaffeberg 1987; Tzeng & Su 2008). Sie treten meistens in der Latenzphase in der Lendengegend auf (Lee et al. 2013). Häufig wird die hintere Hinterhauptslage als Ursache für Rückenschmerzen in der Schwangerschaft und bei der Geburt angenommen, obwohl es dafür keine Evidenzen gibt (Lee et al. 2015). Eine Studie von Lieberman und KollegInnen, die die kindliche Lage mit aufeinanderfolgenden Ultraschalluntersuchungen diagnostizierte, konnte keinen Zusammenhang zwischen der hinteren Hinterhauptslage und Rückenschmerzen während der Geburt aufzeigen (Lieberman et al. 2005). Bei fast genauso vielen der rückenschmerzgeplagten Frauen lag das Kind in vorderer Hinterhauptslage (28 Prozent zu 26 Prozent).

    Eine frühere Untersuchung von Melzack und Belanger zeigt einen Zusammenhang zwischen Rückenschmerzen während der Menstruation und während der Geburt auf, was auf die gleichen zugrundeliegenden neurologischen Bahnen der Schmerzempfindung hindeuten könnte (Melzack & Belanger 1989).

     

    Quaddeln ist unkompliziert

     

    Steriles Wasser zur Linderung von Rückenschmerzen bei der Geburt hat gegenüber herkömmlichen Analgesieverfahren einige Vorteile, vor allem ist es frei von Nebenwirkungen für Mutter und Kind, abgesehen von dem Schmerz bei der Injektion. Bislang hat keine Studie von unerwünschten Wirkungen im Zusammenhang mit der Injektion von sterilem Wasser berichtet. Mehrere Studien fanden heraus, dass gerade die nicht-pharmakologische Natur des sterilen Wassers bei gebärenden Frauen großen Anklang findet (Peart et al. 2006; Lee et al. 2016).

    Die schmerzstillende Wirkung der Wasserinjektion tritt rasch ein, normalerweise innerhalb von Minuten, und die Prozedur kann so oft wie erforderlich wiederholt werden. Außerdem zeigte sich, dass die Wirkung der Wasserinjektion ebenso gut oder sogar besser war, als jene von Dolantin oder Lachgas (Ranta et al. 1994).

    Rückenschmerzen treten oft in der Latenzphase auf. Die Injektion von Wasser kann auch ohne stationäre Aufnahme ambulant durchgeführt werden. Das Procedere ist unkompliziert und erfordert keine besondere Technologie. Deshalb eignet es sich auch für Situationen, in denen wenige Mittel zur Verfügung stehen.

     

    Belege für den Nutzen?

     

    Hinweise auf die Verwendung von sterilem Wasser als Injektion zur Schmerzlinderung und Betäubung finden sich in der Literatur erstmals am Ende des 20. Jahrhunderts. Der amerikanische Chirurg William Halsted berichtete 1985 von vollständiger Betäubung der Haut durch intrakutane Injektionen von Wasser als Alternative zu kokainbasierten Wirkstoffen mit toxischen Nebenwirkungen (Ruetsch et al. 2001). Erstmals wurde 1981 eine kontrolliert randomisierte Studie zum Gebrauch von Wasser als Injektion zur Analgesie durchgeführt, wobei das Verfahren im Vergleich zur Kontrollgruppe mit normaler Kochsalzlösung bei PatientInnen mit Nierenkoliken angewandt wurde (Bengtsson et al. 1981). Die Forscher rekapitulierten, dass das Verfahren in dänischen Abteilungen für Urologie seit Mitte der 1960er angewendet wurde, nachdem es in osteuropäischen Fachzeitschriften veröffentlicht worden war. Die erste Untersuchung zum Nutzen der Injektion sterilen Wassers in der Geburtshilfe fand 1986 statt (Trolle et al. 1986).

    Martenson und Wallin überprüften 2008 sechs Untersuchungen aus den Jahren 1990 bis 2006 und berichteten von einer statistisch signifikanten Verringerung der Schmerzbewertung für bis zu zwei Stunden nach Injektion von sterilem Wasser im Vergleich zur Kontrollgruppe in allen Studien (Martensson & Wallin 1999; Ader et al. 1990; Bahasadri et al. 2006; Labrecque et al. 1999; Trolle et al. 1991; Wiruchpongsanon 2006).

    Zwei weitere Untersuchungen (Kushtagi & Bhanu 2009; Martensson et al. 2008) wurden in eine systematische Meta-Analyse von Hutton et al. einbezogen (Hutton et al. 2009). Die Forscher stellten in der Quaddel-Gruppe eine Sectio-Rate von 4,6 Prozent im Vergleich zu 9,9 Prozent in der Kontrollgruppe fest (n=828) (RR 0.51, 95 % CI: 0.30, 0.87). Als Erklärung zogen sie einen erhöhten Uterustonus und/oder eine stärkere Entspannung der Beckenmuskulatur heran, was beides die normalen Mechanismen von Rotation und Tiefertreten des kindlichen Köpfchens unterstützt.

    Gegenwärtig läuft eine große fachübergreifende randomisiert kontrollierte Studie, die den Einfluss von Wasserinjektion bei Frauen mit Rückenschmerzen unter der Geburt auf die Sectio-Rate untersucht (Lee et al. 2013).

    Ein Chochrane Review (Derry et al. 2012) überprüfte sieben Doppelblind-Studien zum Quaddeln mit Aqua (n=766) im Vergleich zu Kochsalzlösung (Martensson & Wallin 1999; Ader et al. 1990; Bahasadri et al. 2006; Trolle et al. 1991; Wiruchpongsanon 2006; Kushtagi & Bhanu 2009; Saxena et al. 2009). Obwohl sämtliche Studien einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der Wasserinjektion und der Kontrollgruppe fanden, hoben die Autoren hervor, dass viele der Studien statistische Gesichtspunkte nicht berücksichtigten, wie die normale Verteilung von Daten auf einer Schmerzskala. Dazu zitierten sie vorhergehende Arbeiten von Moore, Edwards und McQuay (Moore et al. 2005). Eine Verallgemeinerung der Ergebnisse sei schwierig. Die Autoren des Reviews schlussfolgern auch, dass die Untersuchungen zu verschiedenartig seien, um eine Metaanalyse zu ermöglichen. Sie empfehlen eine klinisch relevante Vergleichsgröße, insbesondere den Anteil von PatientInnen, die mehr als 50 Prozent oder mehr als 30 Prozent Schmerzerleichterung auf einer Schmerzskala angeben. Da bislang keine randomisiert kontrollierten Studien zur Wasserinjektion vorliegen, schlussfolgern die Autoren, dass es keine belastbaren Evidenzen zu Linderung von Rückenschmerzen mit Wasserinjektion während der Wehen gebe und weiterer Forschungsbedarf bestünde.

    Zum jetzigen Zeitpunkt weist nur eine Studie die von Derry et al. geforderten Merkmale auf. Diese Studie von Lee et al. vergleicht die einfache mit der vierfachen Injektion. Sie berichtet, dass bei der Vierfachinjektion 73 Prozent der TeilnehmerInnen 30 Minuten danach eine Schmerzerleichterung von wenigstens 50 Prozent auf einer analogen Schmerzskala angaben (Lee et al. 2013).

     

    Physiologie der Analgesie

     

    Vorgehensweisen, die sich Gegenreize zunutze machen, spielen bei der Schmerzbekämpfung seit Jahrhunderten eine große Rolle. Sie wurden als ein Phänomen beschrieben, bei dem die Linderung bei einem von einem bestimmten Reiz verursachten Schmerz durch den Einsatz eines Gegenreizes erreicht wird (Melzack 1975).

    Als Erklärung für die Wirkung werden sowohl die Gate-Control-Theorie der Schmerzübertragung als auch die Diffuse Noxious Inhibitory Controls (DNIC) herangezogen.

    Ähnlich wie bei einem Chilipflaster (DHZ 3/2017) werden die Nozirezeptoren unterhalb der Hautoberfläche durch die Wasserinjektion irritiert und hemmen die C-Nervenfasern, die für die Schmerzwahrnehmung im Körper zuständig sind.

     

    Schmerz bei der Injektion

     

    Der starke, 20 bis 30 Sekunden anhaltende Schmerz, der mit der Injektion einhergeht, wird in der Literatur übereinstimmend beschrieben. Dahl und Aarnes merkten an, dass die Injektion den Wehenschmerz auf der Schmerzskala um acht Prozent steigen ließ (Dahl & Arnes 1991). Einen ähnlichen Anstieg des Schmerzes in der Wehe stellten Lee et al. fest (Lee et al. 2013). Die NICE Guidelines of intrapartum care raten deshalb bei der Betreuung von gesunden Gebärenden von der Wasserinjektion ab (NICE 2014). Dieser Rat scheint in der Schmerzhaftigkeit der Prozedur begründet zu sein, die das Geburtserlebnis beeinträchtigen könnte.

    Zwei systematische Übersichtsarbeiten erläutern die Auswirkung des Schmerzes bei der Injektion auf die Akzeptanz bei wehenden Frauen (Martensson & Wallin 2008; Fogarty 2008). Der starke Schmerz hält Frauen davon ab, die Injektion wiederholen zu lassen oder sie bei weiteren Geburten in Erwägung zu ziehen. Trotzdem deuten Studien zur Zufriedenheit mit dem Verfahren darauf hin, dass 70 bis 80 Prozent der Frauen mit der schmerzlindernden Wirkung zufrieden sind und das Verfahren für weitere Geburten in Betracht ziehen würden. Eine qualitative Studie zu den Erfahrungen mit der Injektion zeigte, dass die Frauen den Schmerz bei der Injektion gut akzeptierten (Lee et al. 2016).

     

    Anwendung

     

    Die Anwendung der Injektion ist recht einfach. Die vier Punkte für die Injektionen befinden sich an den seitlichen Enden der Michaelischen Raute. Jeweils eine Injektion wird über die hinteren oberen Darmbeinstacheln platziert. Diese sind anhand der darüber liegenden Lendengrübchen zu erkennen oder indem man beide Hände auf die Hüfte der Frau legt und die Daumen etwa im 30-Grad-Winkel in Richtung Wirbelsäule streckt. Die dritte und vierte Injektion kommen etwa drei Zentimeter unterhalb und einen Zentimeter zur Mitte hin von den vorigen Punkten aus gemessen (siehe Fotos). Die korrekte Platzierung der Injektionen ist nicht zwingend notwendig für deren schmerzstillende Wirkung. Eine andere Vorgehensweise wäre es, die Frau auf den schmerzhaftesten Punkt zeigen zu lassen und von dort aus im Radius von drei Zentimetern vier Quaddeln zu platzieren.
    Die Menge des injizierten Wassers variiert mit der Methode: Für intrakutane Injektionen werden zwischen 0,1 und 0,3 Milliliter genommen, abhängig von der visuellen Einschätzung des auf der Haut verursachten Bläschens, das zwischen 0,3 und 0,5 Zentimeter groß sein sollte (siehe Foto Seite 64).

    Für die subkutane Injektion werden 0,5 Millimeter pro Injektion gebraucht. Dazu eignen sich Insulinspritzen und kurze Kanülen mit dem kleinsten Durchmesser.

    Die Injektionen werden normalerweise während der Wehe gesetzt, um den Schmerz der Injektion abzumildern. Dabei ist es hilfreich, je zwei Injektionen gleichzeitig zu zweit zu setzen. Also spritzen zwei Hebammen rechts und links gleichzeitig, erst die oberen zwei Quaddeln, dann mit der nächsten Wehe die unteren zwei.

     

    Unterschiedliche Methoden

     

    Beim Versuch, den Schmerz bei der Injektion zu reduzieren, wurden einige Variationen der vier intrakutanen Injektionen untersucht. Martensson und Wallin verglichen je vier subkutane mit vier intrakutanen Injektionen bei Frauen mit wehenbedingten Rückenschmerzen. Sie konnten anhand der Schmerzskalen bezüglich des Injektionsschmerzes und der analgetischen Wirkung der Injektion keine Unterschiede feststellen (Martensson & Wallin 1999). Allerdings konnten die Studienteilnehmerinnen während der Injektionen Gebrauch von Lachgas machen, was möglicherweise Unterschiede im Schmerzempfinden verschleiert haben könnte. Eine Folgestudie mit nichtschwangeren freiwilligen Teilnehmerinnen ergab einen geringeren Schmerz bei der subkutanen Injektion im Vergleich zu der intrakutanen (Martensson et al. 2000).

    Zwei weitere Studien untersuchten den Gebrauch einer einzelnen subkutanen Injektion gegen Rückenschmerzen bei der Geburt (Bahasadri et al. 2006; Kushtagi & Bhanu 2009). Sie setzten voraus, dass eine einzelne Injektion weniger schmerzhaft sei, und berichteten von einer signifikanten Verringerung des Schmerzscores, verglichen mit der Injektion eines Placebos mit Kochsalzlösung. Dennoch schien die Reduzierung der Schmerzen insgesamt geringer zu sein als bei der üblicheren Methode der vierfachen Injektion.

     

    Zusammenfassung

     

    Die Injektion von sterilem Wasser lindert Rückenschmerzen während der Wehen sicher, effektiv und effizient. Die Studienlage ist qualitativ hochwertig, obwohl einige der Untersuchungen schon älter sind. Die Unterschiede zeigen einen Bedarf an weiterer Forschung, um die Effektivität der Methode zu bestätigen.

     

    Hinweise für die Praxis

     

    1. Quaddeln innerhalb der Wehe setzen
    2. Vier Quaddeln sind effektiver als eine
    3. intrakutan Aqua dest. 0,1 bis 0,3 Millimeter pro Quaddel
    4. Subkutan Aqua dest. 0,5 Millimeter pro Quaddel
    5. Quaddelgröße 3 bis 5 Millimeter
    6. Je zwei Injektionen gleichzeitig von zwei Personen setzen
    7. Wirkungseintritt nach wenigen Minuten
    8. Wirkungsdauer bis zu zwei Stunden
    9. Nebenwirkungen: primär schmerzhaft für wenige Minuten, keine weiteren bekannt
    10. Eventuell kurzfristig Lachgas während der Injektion anbieten
    11. Kochsalzlösung ist weniger schmerzhaft, hat aber keine Wirkung.
    Rubrik: Ausgabe 06/2017

    Erscheinungsdatum: 15.08.2022

    Literatur

    Ader L, Hansson B, Wallin G: Parturition pain treated by intracutaneous injections of sterile water. Pain 1990. 41(2): 133–8

    Bahasadri S et al.: Subcutaneous sterile water injection for labour pain: a randomised controlled trial. Australian & New Zealand Journal of Obstetrics & Gynaecology 2006. 46(2): 102–106

    Bengtsson J, et al.: Urolithiasissmerter behandlet med intrakutane steriltvandspapler (in Danish) Pain due to urolithiasis treated by intracutaneous injection of sterile water. A clinically controlled double–blind investigation. Ugeskr Laeger, 1981. 143(51): 3643–3645

    Byrn C, et al.: Subcutaneous sterile water injections for chronic neck and shoulder pain following whiplash injuries. The Lancet, 1993. 341(8843): 449–452

    Cui JZ et al.: Effects of intracutaneous injections of sterile water in patients with acute low back pain: a randomized, controlled, clinical trial. Brazilian Journal of Medical and Biological Research 2016. 49

    Dahl V, Aarnes T:...

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