Stillen bei Schilddrüsenerkrankungen

Routinemäßig screenen?

Frauen mit Schilddrüsenerkrankungen haben oft Stillprobleme. Eine Literaturrecherche aus Boston zu Schilddrüsenfunktionsstörungen nach der Geburt und zur Behandlung während der Stillzeit zeigt wichtige Anhaltspunkte zum Umgang mit einer häufigen, aber oft unerkannten Erkrankung. Die wichtigsten Ergebnisse. Birgit Heimbach
  • Bei Frauen mit über­mäßigem Blutverlust während oder nach der Geburt kann es zum postpartalen Hypophyseninfarkt kommen – dem sogenannten Sheehan- Syndrom. Zu den ersten Symptomen gehören Stillprobleme.

  • Bei immerhin 5–7 % aller Schwangeren treten im Wochenbett neue oder wiederkehrende Schilddrüsenfunktionsstörungen auf. Zu den Störungen gehören:

    • Postpartale Schilddrüsenfunktionsstörung (PPT)
    • Postpartale Gravesche Krankheit (Autoimmunerkrankung mit Schilddrüsenvergrößerung Graves` Disease: GD)
    • Postpartaler Hypophyseninfarkt (Sheehan-Syndrom, oft in Verbindung mit übermäßigem Blutverlust während/nach der Geburt)
    • Lymphozytäre Hypophysitis.

    Raucherinnen und Frauen mit Diabetes mellitus Typ 1 haben ein dreifach erhöhtes Risiko für eine Hypothyreose.

    Die Schilddrüse kann sich auch aufgrund einer Infektion oder Autoimmunreaktion wie Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow entzünden, welche hierzulande die häufigsten Gründe für eine Schilddrüsenunterfunktion sind. Manchmal bleibt die Ursache unklar (Arbeitskreis Jodmangel, siehe Link). Symptome sind etwa Kälte­unverträglichkeit, trockene Haut, Energiemangel, Verstopfung und Konzentrationsschwäche. Die Symptome einer postpartalen Schilddrüsenfehlfunktion können sehr subtil sein und werden leicht übersehen. Stillprobleme gehören ebenfalls dazu. Die American Thyroid Association (ATA) empfiehlt daher, bei Frauen mit Stillproblemen die Schilddrüsenfunktion zu testen (Alexander et al., 2017).

     

    Empfehlungen für Stillende mit Hypothyreose

     

    Dr. Carol Chiung-Hui Peng und Elizabeth Pearce sind Endokrinologinnen an der Universität Boston, Section of Endocrinology, Diabetes, Nutrition and Weight Management. Sie haben die Literatur über Schilddrüsenfunktionsstörungen nach der Geburt ausgewertet, um einen Überblick über die derzeit beste Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen während der Stillzeit zu geben (Peng & Pearce, 2022). Im Fall einer Hyperthyreose zitieren sie die Leitlinien der ATA. Diese empfiehlt bei Frauen, bei denen eine subklinische oder offene Hypothyreose festgestellt wird, Levothyroxin zu verabreichen. Dieses Medikament und die niedrigste Dosis von Schilddrüsenhemmern wie Propylthiouracil, Methimazol oder Carbimazol werde Stillenden durchaus empfohlen, so Peng. Nur geringe Anteile dieser Medikamente würden in die Muttermilch ausgeschieden und Schilddrüsenfunktionstests bei gestillten Säuglingen seien nicht erforderlich, resümiert sie. Obwohl es keine kontrollierten oder randomisierten Studien gebe, die die Wirksamkeit der Behandlung untersuchten, hätten Kohortenstudien gezeigt, dass sich die Milchbildung bei hypothyreoten Frauen nach der Behandlung verbessert habe.

    Ob auch eine mütterliche Hyperthyreose die Laktation verschlechtere, sei nicht bekannt. Peng und Pearce haben jedenfalls keine Daten gefunden, die die Behandlung einer mütterlichen Hyperthyreose speziell zur Verbesserung der Laktation rechtfertigen würden.

     

    Hohes Lebenszeitrisiko

     

    In den aktuellen Leitlinien der ATA wird ein routinemäßiges Screening der Schilddrüsenfunktion bei asymptomatischen Frauen im Wochenbett nicht empfohlen, es sei denn, sie haben eine postpartale Depression oder Stillschwierigkeiten (Alexander et al., 2017). Allerdings könnten hyperthyreote oder hypothyreote Symptome von Patientinnen und/oder Ärzt:innen als »normale« Reaktionen in der postpartalen Phase übersehen werden, erläutert Peng. In bestimmten Fällen sei es sinnvoll, den Serum-TSH-Wert 6–12 Wochen nach der Geburt zu messen, auch wenn keine Symptome vorliegen. Insbesondere sei dies bei Risikopatientinnen der Fall, etwa bei Frauen mit einer früheren PPT-Episode oder Morbus Basedow, bei Müttern mit Hashimoto-Thyreoiditis, die Schilddrüsenhormone substituieren, und solchen mit festgestellten Autoantikörpern gegen Schilddrüsenperoxidase (TPOAb-Positivität), Diabetes mellitus Typ 1, anderen nicht-thyreoidalen Autoimmunerkrankungen oder chronischer Hepatitis. Die Endokrinologinnen aus Boston beschreiben es in ihrem Update so: »Ist der TSH-Wert abnormal, helfen periphere Schilddrüsenhormonwerte, Schilddrüsenantikörper und/oder Schilddrüsenultraschall bei der Diagnose von Schilddrüsenerkrankungen. Während der Stillzeit sollten keine radiopharmazeutischen Untersuchungen durchgeführt werden, und eine Behandlung mit radioaktivem Jod ist kontraindiziert.«

    Wenn die Patientinnen eine Verschlimmerung einer Hyperthyreose haben, eine Thyreotoxikose, sollte besonders darauf geachtet werden, eine neu aufgetretene oder wiederkehrende Gravesche Krankheit (GD) von einer PPT zu unterscheiden. Diese beiden Erkrankungen weisen unterschiedliche klinische Verläufe auf und erfordern verschiedene Behandlungsansätze. Peng: »Im Allgemeinen tritt die PPT früher in der postpartalen Phase auf als eine neu auftretende GD (vor beziehungsweise nach sechs Monaten). Der Schweregrad und die Dauer der Thyreotoxikose sind bei der PPT in der Regel milder und kürzer. Ein Schilddrüsenantikörpertest hilft bei der Diagnosestellung.«

    Ein TSH-Serum sollte auch bei Frauen mit postpartaler Depression oder Stillschwierigkeiten überprüft werden. Wenn Patientinnen eine Thyreotoxikose haben, müsse ein neu aufgetretener oder rezidivierender Morbus Basedow von einer postpartalen Thyreoiditis unterschieden werden, da die Behandlung jeweils anders ausfalle. Nach der Genesung von einer postpartalen Thyreoiditis werden regelmäßige Schilddrüsenfunktionstests empfohlen, da ein hohes Lebenszeitrisiko für die Entwicklung einer dauerhaften Hypothyreose besteht.

     

    Fazit

     

    Bei Frauen mit Stillschwierigkeiten sollte die Schilddrüsenfunktion überprüft werden, denn Schilddrüsenprobleme führen häufig zu Problemen bei der Milchproduktion und beim Milcheinschuss (Peng & Pearce 2022). Weil die oft subtilen Symptome einer postpartalen Schilddrüsenfehlfunktion leicht übersehen werden, empfehlen Peng und Pearce eine multidisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Primärversorger:innen, Endokrinolog:innen und Geburtshelfer:innen/Hebammen ab der Schwangerschaft. Weitere Studien seien erforderlich, um die optimalen Strategien für die Überwachung der Schilddrüsenfunktion nach der Geburt bei Hochrisikopatientinnen besser zu verstehen.

    Rubrik: Ausgabe 10/2022

    Erscheinungsdatum: 22.09.2022

    Literatur

    Andersson, M., Braeger, C.P. (2022). The Role of Iodine for Thyroid Function in Lactating Women and Infants. Endocrine Reviews, 43 (3):469–506, https://doi.org/10.1210/endrev/bnab029

    Alexander, E.K., Pearce, E.N., Brent, G.A., et al. (2017). Guidelines of the american thyroid association for the diagnosis and management of thyroid disease during pregnancy and the postpartum. J of Am Thyroid Assoc, 27(3):315–389. https://doi.org/10.1089/ thy.2016.0457

    Peng, C.C.H., Pearce, E.N. (2022). An update on thyroid disorders in the postpartum period. J Endocrinol Invest, 45(8):1497–1506. doi: 10.1007/s40618–022– 01762–1. https://link.springer.com/article/10.1007/s40618-022-01762-1

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