Schädeldeformitäten

Schiefe Köpfchen

Eine Übersicht über die häufigsten erworbenen und angeborenen Schädeldeformitäten bei Kindern im ersten Lebensjahr: Welche sind harmlos und lassen sich leicht durch abwechslungsreiche Lagerung korrigieren? Welche können das Wachstum des Gehirns behindern und brauchen Physiotherapie oder gar eine Operation? Prof. Dr. Matthias Krause | Prof. Dr. Dr. Bernd Lethaus | Dr. Dr. Anna Katharina Sander | Dr. Annika Schönfeld
  • Abbildung 1: Lagerungsbedingter Brachycephalus Argenta Typ III

  • Abbildung 2: Lagerungsbedingter Plagiocephalus Argenta Typ IV

  • Abbildung 3: Therapie mittels Helmorthese bei einem Kind mit Lagerungsplagiocephalus

  • Regelmäßig werden Kinder mit auffälligen Schädelformen in Zentren für Schädelfehlbildungen vorgestellt. Primär sind zwei Grunderkrankungen zu unterscheiden: lagerungsbedingte Schädeldeformitäten und echte Kraniosynostosen. Ursache, Behandlung und besonders die Therapie unterscheiden sich maßgeblich.

     

    Lagerungsbedingte Schädeldeformitäten

     

    Die American Association of Pediatrics (APP) veröffentliche 1992 ein Statement zum Zusammenhang zwischen der Lagerung von Säuglingen und dem Plötzlichen Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome/SIDS). Ihre Empfehlung zur Rückenlagerung, die 2016 noch einmal aktualisiert und bestätigt wurde, hat zu einer deutlichen Reduktion der SIDS-Fälle geführt. Gleichzeitig kann allerdings die ausschließliche Rückenlagerung von Säuglingen die Entstehung von lagerungsbedingten Schädelasymmetrien begünstigen. Tatsächlich wurde nach 1992 zunehmend von lagerungsbedingten Schädeldeformitäten berichtet, die meist mild ausgeprägt sind. Ein Zusammenhang ist anzunehmen.

    Angaben zur Inzidenz des Lagerungsplagiocephalus bei Kindern im ersten Lebensjahr schwanken in der Literatur und reichen von circa 6 % bis 46 %. Die Häufigkeit nimmt mit zunehmendem Alter signifikant ab.

    Um eine Verschiebung der Schädelplatten beim Durchtritt des Kindes durch den Geburtsweg zu ermöglichen und eine rasche Größenzunahme des kindlichen Hirnschädels in den ersten Lebensmonaten zu ermöglichen, sind die Schädelnähte beim Neugeborenen noch nicht verknöchert. Eine permanente extern einwirkende Kraft kann daher zu einer Verformung des Schädels führen. Die Lagerung des Kindes stellt den Haupteinflussfaktor dar. Klinisch imponiert eine ein- oder beidseitige Abflachung des Hinterkopfes, die in den meisten Fällen bereits wenige Wochen postnatal zu beobachten ist.

    Ist die Krafteinwirkung symmetrisch verteilt, so führt dies zu einer Abplattung des gesamten Hinterkopfes. Man spricht in diesem Fall von einem lagerungsbedingtem Brachycephalus (Griechisch: brachys – kurz; cephalos – Kopf). Auffällig ist eine Verkürzung der Längsachse des Schädels mit kompensatorischer occipitaler sowie gegebenenfalls auch temporaler Verbreiterung und occipital-vertikalem Ausgleichswachstum (siehe Abbildung 1).

    Bei einer einseitigen Krafteinwirkung bildet sich hingegen ein lagerungsbedingter Plagiocephalus (Griechisch: plagio – quer, schief; cephalos – Kopf) mit einer einseitigen occipitalen Abflachung. Es entsteht eine Schädelasymmetrie mit Abweichung der beiden Schädeldiagonalen. Ein kompensatorisches Ausgleichswachstum führt entsprechend dem Ausprägungsgrad zu einem Ear Shift mit Verschiebung der Ohrachse auf der betroffenen Seite nach fazial, zu einer Vorwölbung der Stirn sowie nachfolgend einer Gesichtsskoliose mit einer Achsabweichung des Gesichtes zur gesunden Seite und einem occipital-vertikalem Ausgleichswachstum. Je nach »Lieblingsseite« des Kindes kann es zu einer Links- oder Rechtsverschiebung kommen (siehe Abbildung 2).

    Eine intrauterin oder durch die Geburt erworbene Schädeldeformität, etwa durch eine Saugglocke, ist meist temporär und bildet sich innerhalb weniger Wochen postnatal selbstständig zurück. Sie kann jedoch die Entwicklung einer lagerungsbedingten Fehlbildung unterstützen. Als weitere prädisponierende Faktoren werden eine intrauterine Enge oder Zwangslage eingeschätzt. Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung eines Lagerungsplagiocephalus sind postnatale Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule und ein Torticollis, aber auch eine Frühgeburtlichkeit mit längerem Aufenthalt auf einer Neonatologischen Intensivstation beziehungsweise in einem Inkubator mit Immobilisierung. Grundsätzlich kann aber auch durch ständige Rückenlagerung oder die Bevorzugung einer Lieblingsseite eine lagerungsbedingte Schädeldeformität auftreten, ohne dass weitere Risikofaktoren vorhanden sind.

     

     

    Abbildung 6: Klassifikation der lagerungsbedingten Schädeldeformitäten nach Argenta

    Quelle: Linz et al., 2017

    Diagnose

    Die Diagnose kann von erfahrenen Ärzt:innen in der Regel klinisch gestellt werden. Neben der klinischen Beschreibung erfolgt routinemäßig eine Schädelmessung mit Maßband und Zirkel. Zur genaueren Analyse haben sich mittlerweile 3D-kephalometrische Scans etabliert, die auch eine Verlaufsbeurteilung vereinfachen. Neben dem Schädelumfang werden die Länge und Breite des Kopfes, sowie die Diagonalen erfasst. Eine Einteilung der Schweregrade des klinischen Erscheinungsbildes kann nach dem amerikanischen Mediziner Louis Argenta erfolgen (Linz et al., 2017/siehe Abbildung 6).

     

    Therapie

    Eine Therapieentscheidung wird zumeist anhand der klinischen Ausprägung sowie der Messwerte getroffen. Bei Kindern mit einem leicht oder mittelschwer ausgeprägten lagerungsbedingten Brachy- oder Plagiocephalus kann die Therapie konservativ erfolgen. Die Säuglinge sollten wach möglichst viel »tummy time« haben, das heißt regelmäßig auf dem Bauch liegen sowie möglichst viel in einer Babytrage getragen werden. Dies entlastet zum einen den Hinterkopf, zum anderen wird durch das Aufrechthalten des Kopfes die Nackenmuskulatur angespannt, womit zu einer Ausformung des Hinterkopfes beigetragen wird. Sollten postnatal muskuläre Blockaden bestehen, so können unterstützende osteopathische und/oder physiotherapeutische Behandlungen sinnvoll sein. Bei Kindern, die eine Lieblingsseite bevorzugen, können Hilfsmittel eine wechselseitige Lagerung erreichen. Diesen Kindern sollten zudem regelmäßig Reize von der anderen Seite angeboten werden, sie sollten zum Beispiel von der anderen Seite angesprochen oder gefüttert werden.

    Bei Kindern mit einer schweren Ausprägung, insbesondere bei begleitenden Asymmetrien des Gesichtsschädels, empfiehlt sich eine Therapie mittels Helmorthese zur Wachstumslenkung. Ein optimaler Behandlungsanfang liegt in der Regel im 5. bis 6. Lebensmonat. Voraussetzung ist die ausreichende Kopfkontrolle des Kindes. Die Behandlung dauert drei bis vier Monate. Der Helm muss in dieser Zeit dauerhaft, das heißt 23 Stunden am Tag getragen werden und wird in seiner Größe regelmäßig angepasst. Bei guter Compliance kann damit eine deutliche Befundbesserung erzielt werden. Bei einem späteren Behandlungsbeginn sind Verbesserungen zu erwarten, jedoch meist keine vollständige Regredienz der Symptomatik. Spätestens im Alter von 12 Monaten ziehen die meisten Kinder den Helm selbstständig ab und tolerieren ihn nicht mehr (siehe Abbildung 3).

    Bei einer stadiengerechten Therapie ist die Prognose für eine Harmonisierung der Kopfform gut. Kinder mit sehr ausgeprägten Befunden zeigen jedoch häufig auch im späteren Verlauf keine vollständige Normalisierung vor allem des Ear Shiftes und der Gesichtsasymmetrien. Unklar ist, inwieweit Gesichtsasymmetrien zu späteren Beeinträchtigungen wie Kieferfehlstellungen und Kiefergelenksbeschwerden führen können.

    Prävention

    Zur Vermeidung lagerungsbedingter Schädeldeformitäten empfiehlt sich daher vor allem eine Aufklärung der Eltern. Die Kinder sollten möglichst viel getragen und im wachen Zustand auf den Bauch gelegt werden. Beim Schlafen sollte eine dauerhafte Lagerung auf einer Lieblingsseite vermieden werden. Unterstützend können hierbei Lagerungsmittel verwendet werden. Die Vorgabe zur Rückenlagerung bleibt aber maßgeblich. Postnatale Bewegungseinschränkungen insbesondere der Halswirbelsäule sollten frühzeitig behoben werden, zum Beispiel mit Hilfe von Physiotherapie.

     

    Kraniosynostosen

     

    Im Gegensatz zu den erworbenen, lagerungsbedingten Schädelfehlbildungen handelt es sich bei den Kraniosynostosen um einen verfrühten Verschluss einer oder mehrerer Schädelnähte. Die Prävalenz liegt bei circa 1/2.000 Lebendgeburten.

    Die Schädelnähte sind die Wachstumszonen des Knochens. Durch die offenen Schädelnähte wird dem kindlichen Gehirn ein schnelles Wachstum ermöglicht. Durch eine vorzeitige Verknöcherung von Schädelnähten ist das normale Wachstum des Schädels gestört und es zeigt sich ein jeweils typisches Ausgleichswachstum. Die klinische Ausprägung der Fehlbildung kann unterschiedlich schwer sein. Folgen für die Gehirnreifung sowie die kognitive Entwicklung werden unterschiedlich in der Literatur diskutiert.

    Eine Folge kann die Erhöhung des intrakraniellen Druckes sein, wodurch es zur Kompression des Sehnervs mit Erblindung und zu Entwicklungsverzögerungen kommen kann. Das Risiko einer Hirndrucksteigerung besteht vor allem bei Kindern mit syndromalen Kraniosynostosen mit Beteiligung mehrer Schädelnähte und bilateralen Coronarnahtsynostosen. In Einzelfällen können aber auch Kinder mit einem schweren Scaphocephalus betroffen sein. Ist nur eine Sutur betroffen, steht die ästhetische Beeinträchtigung jedoch meist im Vordergrund.

    Kraniosynostosen sind häufig angeboren und werden daher meist bereits kurz nach der Geburt sichtbar. In rund 85 % der Fälle handelt es sich um monosuturale Kraniosynostosen, es ist nur eine Schädelnaht betroffen. Meist treten sie isoliert auf, also ohne Assoziation zu einer syndromalen Erkrankung. Die Ursachen der nicht-syndromalen Kraniosynostosen sind unbekannt und scheinen multifaktoriell zu sein (siehe Abbildung 7).

     

    Abbildung 7: Schema der unterschiedlichen frühzeitigen Schädelnahtverknöcherungen und resultierender Schädelformen im Gegensatz zum Lagerungsplagiocephalus

    Quelle: Lacher et al., 2020, adaptiert nach Buchanan et al., 2017

     

     

    Scaphocephalus: Kahnschädel

     

     

    Abbildung 4: Scaphocephalus infolge Sagittalnahtsynostose

    Die häufigste Form der Kraniosynostosen ist eine Sagittalnahtsynostose, also der Verschluss der Pfeilnaht, was zur Ausbildung eines Scaphocephalus führt. In der Regel handelt es sich um eine isolierte Schädelfehlbildung, die sporadisch auftritt. Pathognomonisch ist eine längliche, schmale Kopfform mit frontalem und occipitalem Ausgleichswachstum. Die Sagittalnaht tastet sich bei diesen Kindern verdickt, die große Fontanelle ist meist verschlossen. Eine Diagnosestellung ist auf Grund des klinischen Befundes möglich.

    Bei Kindern mit schweren Befunden sollte eine operative Korrektur durchgeführt werden. Eine endoskopische Operation mit Eröffnung der Sagittalnaht im Alter von etwa drei Monaten ist möglich, führt jedoch vermehrt zu Rezidiven und erschwert eine spätere offene Remodellation. Die offene Operation wird in der Regel im Alter von 6 bis 7 Monaten durchgeführt. Hierbei wird eine Streifenkraniotomie mit Resektion der verknöcherten Sagittalnaht sowie Entlastungsexzisionen durchgeführt. Das sich ausdehnende Gehirn sorgt bei den operierten Kindern anschließend für eine rasche Neumodellation des Kopfes. Eine Verknöcherung der entfernten Anteile der Schädelkalotte findet innerhalb weniger Wochen statt (siehe Abbildung 4).

    Trigonocephalus: Dreiecksschädel

    Deutlich seltener mit einer Prävalenz von etwa 1/15.000 findet sich ein

     

    Abbildung 5: Trigonocephalus infolge Synostose der Sutura metopica

    Trigonocephalus, hervorgerufen durch eine vorzeitige Verknöcherung der Sutura metopica, auch Sutura frontalis, die verknöcherte Stirnnaht. Dadurch resultiert eine dreieckige Form des Schädels mit hervorspringender Stirn, beidseitig abgeflachten Schläfen sowie einem kompensatorischen occipitalen Ausgleichswachstum mit symmetrischer Verbreiterung des Hinterkopfes. Auffällig ist außerdem ein Telekanthus (Verbreitung des Augenabstandes) und eine seitliche Abflachung der Augenhöhlen. Die Stirnnaht ist bei betroffenen Kindern verdickt zu tasten.

    Therapeutisch kann eine frühe, endoskopische Operation bei Kindern mit drei Monaten erfolgen, bei schweren Befunden wird eine operative Korrektur im Alter von 10 bis 11 Monaten mit einer aktiven Remodellierung des Schädels durchgeführt. Durch eine Kraniotomie und Umformung des Stirn- und Orbitarahmens mit individuell hergestellten Sägeschablonen wird der Knochen in die gewünschte Form gebracht und anschließend mit Hilfe von selbstresorbierbarem Osteosynthesematerial refixiert. Präoperativ erfolgt eine virtuelle OP-Planung (siehe Abbildung 5).

    Anteriorer Plagiocephalus: vorderer Schiefschädel

    Liegt ein einseitger Verschluss der Koronarnaht (Kranznaht) vor, entwickelt sich ein anteriorer Plagiocephalus. Klinisch werden diese Kinder durch eine Asymmetrie der Stirn mit einer Abflachung der Stirn und des Orbitarahmens auf der betroffenen Seite auffällig. Bei ihnen entwickelt sich eine Gesichtsskoliose zur betroffenen Seite. Im Gegensatz zu einem Lagerungsplagiocephalus findet sich jedoch keine occipitale Abplattung.

    Brachycephalus: Kurzschädel bis hin zum Turmschädel

    Bei einem sehr seltenen, beidseitigen Verschluss der Koronarnaht bildet sich ein sogenannter Brachycephalus durch eine Hemmung des Längenwachstums des kindlichen Schädels. In Folge des resultierenden Ausgleichswachstum kann ein Turricephalus (Turmschädel) entstehen, da ein kompensatorisches Ausgleichswachstum in vertikaler Richtung mit hoher, steiler Stirn und flachem Hinterkopf erfolgt. Therapeutisch ist ebenfalls eine frühe endoskopische oder eine spätere offene Korrektur und Neumodellation des Schädels möglich, gegebenenfalls mittels eines Distraktors.

    Posteriorer Plagiocephalus: hinterer Schiefschädel

    Ebenfalls sehr selten ist eine einseitige Lambdanahtsynostose (Hinterhauptnaht), wodurch sich ein posteriorer Plagiocephalus entwickelt. Das klinische Bild erinnert an einen posterioren Lagerungsplagiocephalus mit einseitiger Abflachung des Hinterhaupts, zeigt in der Betrachtung von oben jedoch eine trapezartige Kopfform mit gleichseitiger Abflachung der Stirn und Gesichtsskoliose. Kompensatorisch zeigt sich bei betroffenen Kindern ein vertikales Ausgleichswachstum in der Parietalregion mit tiefstehendem Ohr. Auch in diesem Fall ist bei schweren Befunden eine operative Therapie indiziert.

    Multiple Synostosen

    Ein Verschluss mehrerer Schädelnähte ist eher im Zusammenhang mit syndromalen Erkrankungen zu beobachten. In der Regel wird bei Kindern mit multiplen Synostosen eine genetische Diagnostik durchgeführt. Typische mit Kraniosynostosen vergesellschaftete Syndrome sind Morbus Crouzon, Morbus Apert oder Morbus Pfeiffer.

     

    Eltern aufklären und beraten

     

    Für Hebammen sind Grundkenntnisse über das Spektrum erworbener und angeborener Schädeldeformitäten in der postpartalen Betreuung von Mutter und Kind unerlässlich. Ihnen kommt in der Prävention oder auch der Therapie leichter lagerungsbedingter Schädeldeformitäten eine wichtige Rolle zu, indem sie die Eltern aufklären und beraten.

    Sie sollten Schädelfehlbildungen und Lagerungsfolgen erkennen und adäquate weitere Schritte einleiten können. Schwere oder unklare Fälle sowie Kinder mit Verdacht auf eine Kraniosynostose müssen in einer Spezialsprechstunde für Schädelfehlbildungen vorgestellt werden. Die Behandlung sollte interdisziplinär in einem Zentrum für Kraniofaziale Fehlbildungen erfolgen.

    Rubrik: Ausgabe 11/2022

    Erscheinungsdatum: 27.10.2022

    Literatur

    Lacher, M., Hoffmann, F., Mayer, S. (2020). Kinderchirurgie für Pädiater – Blickdiagnosen, ambulantes Management, postoperative Betreuung. 1. Auflage. Springer.

    Linz, C., Kunz, F., Böhm, H., & Schweitzer, T. (2017). Lagerungsbedingte Schädeldeformitäten. Deutsches Ärzteblatt, 114 (31–32), 535–544.

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