US-amerikanische Fachgesellschaft rät von Episiotomie ab
Obwohl es bei den meisten vaginalen Geburten zu Verletzungen kommt, rät die US-amerikanische Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (American Congress of Obstetricians and Gynecologists/ACOG) in einer neuen Leitlinie grundsätzlich von einer Episiotomie ab. Die FrauenärztInnen sollten andere Maßnahmen ergreifen, um Verletzungen im Dammbereich zu vermeiden, heißt es in einem aktuellen „Practice Bulletin“.
Die Episiotomie gehört zu den häufigsten und gleichzeitig am meisten umstrittenen Maßnahmen bei einer vaginalen Geburt. Seit den 1920er Jahren wurde sie mehr oder weniger regelmäßig bei Geburten im Krankenhaus durchgeführt. Anfangs wurde dies mit Vorteilen für den Fetus begründet, der durch die Beschleunigung der Austreibungsphase vor der Gefahr einer Asphyxie bewahrt werde.
Diese Gefahr droht allerdings nicht, solange die Nabelschnur den Fetus mit Sauerstoff versorgt. Später wurde die Vermeidung eines Dammrisses als Argument genannt. Dies ist jedoch umstritten, da die Episiotomie auch „Sollbruchstelle“ eines schweren Damrisses III. oder IV. Grades sein kann. Befürchtet wird hier vor allem eine Beschädigung der analen Schließmuskulatur: Diese Obstetrical Anal Sphincter Injury (OASIS) kann eine Inkontinenz zur Folge haben.
Zu einer OASIS kann es indes auch ohne Episiotomie kommen. Die Gefahr ist aus Sicht des ACOG jedoch gering. Laut der Leitlinie kommt es zwar bei 53 bis 79 Prozent aller vaginalen Geburten zu einer Verletzung des Dammbereichs, die OASIS trete jedoch nur in etwa elf Prozent auf. Einfache Maßnahmen können nach Einschätzung der ACOG eine OASIS verhindern.
Die US-Geburtshelfer empfehlen perineale Massage, die entweder antepartal oder während des zweiten Stadiums der Geburt durchgeführt werden sollten. Eine weitere Maßnahme sei die Verwendung von warmen Kompressen auf den Damm während der Austreibungsphase der Geburt. Eine endoanale Sonografie nach der Geburt zur Diagnose einer OASIS lehnt der US-Verband übrigens ab. Eine klinische Untersuchung sei völlig ausreichend.
Eine OASIS ist für den ACOG auch keine zwingende Indikation für einen Kaiserschnitt bei weiteren Geburten. Die meisten Frauen könnten erneut vaginal gebären. Als Ausnahme von dieser Regel sieht der ACOG bei einer fortbestehenden analen Inkontinenz oder wenn die OASIS nach der vorherigen Geburt mit schweren Wundheilungsstörungen einherging oder zu einer psychischen Traumatisierung geführt habe. Frauen, die auf einen Kaiserschnitt drängen, sollten jedoch auf die erhöhte Morbidität dieser Form der Entbindung hingewiesen werden.
Der ACOG hatte bereits in einer früheren Leitlinie 2006 von der routinemäßigen Anwendung der Episiotomie abgeraten. Diese Empfehlung zeigte Wirkung. Der Anteil der Geburten, bei denen eine Episiotomie durchgeführt wird, ist von 33 Prozent im Jahr 2000 auf 12 Prozent im Jahr 2012 zurückgegangen. In Deutschland rangierte die Epirate 2014 laut Erhebung des AQUA-Institutes mit 22,7 Prozent immer noch exorbitant über den Empfehlungen.
(Practice Bulletin No. 165: Prevention and Management of Obstetric Lacerations at Vaginal Delivery. The American College of Obstetricians and Gynecologists 2016. http://journals.lww.com/greenjournal/Abstract/2016/07000/Practice_Bulletin_No__165___Prevention_and.46.aspx. aerzteblatt.de, 24.6.2016/DHZ)