Vaginales Progesteron sicher, aber nicht effektiv
Die Progesteron-„Substitution“ gilt als der größte Fortschritt des letzten Jahrzehnts in der Prävention der Frühgeburt. Studien haben gezeigt, dass das Risiko einer Frühgeburt sowohl bei Frauen mit belasteter Anamnese als auch bei aktueller Zervixverkürzung um mehr als 30 Prozent gesenkt werden kann. Das eigentliche Ziel der Behandlung ist jedoch nicht die Verlängerung der Schwangerschaft, die in einer durch Entzündungen oder gar Infektionen „feindlichen“ uterinen Umgebung sogar schädlich sein könnte, sondern das Überleben und die Gesundheit des Kindes.
Es gibt jedoch bisher nur wenige Studien, die den Einfluss der Hormonbehandlung auf geburtshilfliche und neonatale Ergebnisse oder die weitere Entwicklung des Kindes untersucht haben. Die britische sogenannte OPTIMUM-Studie hat hier Neuland betreten. An 64 Kliniken waren 1.228 Schwangere mit einem aus unterschiedlichen Gründen erhöhten Risiko auf eine Frühgeburt auf zwei Gruppen randomisiert worden. In der ersten Gruppe führten die Frauen von der 22./24. Woche bis zur 34. Woche täglich eine Kapsel mit 200 Milligramm Progesteron in ihre Scheide ein. In der anderen Gruppe enthielt die tägliche vaginale Kapsel keinen Wirkstoff. Die Compliance wurde durch Führen eines Tagebuches bestimmt.
Die Studie hatte drei primäre Endpunkte: Der geburtshilfliche Endpunkt umfasste einen fetalen Tod oder eine Geburt vor der 34. Woche. Der neonatale Endpunkt war eine Kombination aus Tod, Hirnverletzung oder bronchopulmonaler Dysplasie. Der dritte Endpunkt war die neurokognitive Entwicklung des Kindes im Alter von zwei Jahren. Bestimmt wurden hier die mentalen Anteile des Bayley Scales of Infant Development, einem verbreiteten Test zur frühkindlichen Entwicklung.
Wie Jane Norman von der Universität Edinburgh und ihre KollegInnen mitteilen, erzielte die vaginale Progesteronbehandlung in den ersten beiden Endpunkten eine gewisse Wirkung, die aber trotz der verhältnismäßig großen Teilnehmerzahl das Signifikanzniveau verfehlte. Für den geburtshilflichen Endpunkt ermittelt Norman eine Odds Ratio von 0,86 mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,61 bis 1,22). Beim neonatalen Endpunkt betrug die Odds Ratio 0,62 (0,38-1,03). Im dritten Endpunkt zur kognitiven Entwicklung wurden gar keine Unterschiede entdeckt. Nach der Hormontherapie erreichten die Kinder im Entwicklungsscore 97,3 Punkte gegenüber 97,7 Punkten im Placebo-Arm.
Die Interpretation der Ergebnisse dürfte unterschiedlich ausfallen. Streng genommen kann die Studie keinen Vorteil der Behandlung belegen. Norman rät deshalb dazu, die Empfehlungen in den Leitlinien zu überdenken. Auf der anderen Seite waren in einigen Unterpunkten jedoch Vorteile erkennbar. Die Zahl der Neugeborenen-Todesfälle war nach der Hormontherapie geringer (1 versus 6 Kinder; nicht adjustierte Odds Ratio 0,17; 0,06-0,49) und es wurden im Ultraschall seltener Hirnverletzungen gesehen (18 versus 34 Fälle; nicht adjustierte Odds Ratio 0,50; 0,31-0,84). Die neonatalen Todesfälle waren allerdings selten und die klinische Bedeutung der Befunde im Ultraschall ist unklar. Sie haben möglicherweise der weiteren Hirnentwicklung nicht geschadet.
Die nahezu identischen Ergebnisse in der neurokognitiven Entwicklung lassen sich jedoch auch als Hinweis für die Unschädlichkeit der Progesteron-Therapie deuten. Hinzu kommt, dass weder mütterlicherseits noch beim Kind eine erhöhte Rate von unerwünschten Nebenwirkungen auftrat. Ob dies allerdings ausreicht, um die Behandlung in den Leitlinien weiter zu empfehlen, dürfte Gegenstand kritischer Diskussion werden. Zu den Einschränkungen der Studie gehört, dass die Compliance der Progesteron-Anwendung mit 69 Prozent relativ gering war. Auch hier stellt sich aber die Frage, ob die betroffenen Frauen die Hormonpräparate außerhalb der Studie gewissenhafter anwenden würden.
(aerzteblatt.de, 24.2.2016)