Qualitative Studie aus Dänemark

Was bewegt Frauen zur Alleingeburt?

  • Frauen, die sich für eine Alleingeburt entscheiden, wägen vorher verschiedene Aspekte tiefgehend ab.

  • Eine Gebärende, die sich für eine Alleingeburt entscheidet, verzichtet bewusst auf die Begleitung durch eine Hebamme und eine medizinische Betreuung bei der Geburt ihres Kindes.

    Die Alleingeburt wird kontrovers diskutiert, weil sie mit Risiken für Mutter und Kind einhergeht, wenn geburtshilfliche Komplikationen nicht erkannt und behandelt werden. Gleichzeitig erfolgt bei einer Alleingeburt keine Konfrontation mit »überflüssigen Interventionen«, wodurch sie wiederum an Sicherheit gewinnt.

    Die Entscheidung für eine Alleingeburt ist für viele Frauen undenkbar, jedoch für wenige Frauen genau »ihr« richtiger Weg. Warum wird von Frauen die Entscheidung für eine Alleingeburt getroffen, obwohl kostenlose und umfassende Hebammenhilfe verfügbar ist? Dieser Frage wurde im Rahmen einer qualitativen Studie in Dänemark nachgegangen. Dänemark gilt als Land mit einer langjährigen Tradition hebammengeleiteter Geburtshilfe, einer Hausgeburtsrate von ungefähr 3 % sowie vielen Geburtshäusern.

    Die Autor:innen diskutieren die Entscheidung für eine Alleingeburt unter dem Aspekt der »Provokation«, weil sich diese Frauen bewusst gegen »vorherrschende« medizinische Praktiken entscheiden. Gleichzeitig sehen sie im Verständnis der Gründe, die zur Wahl einer Alleingeburt geführt haben, das Potenzial, Mängel des etablierten Gesundheitssystems aufzudecken.

     

    Vier Themen

     

    Eingeschlossen wurden zehn schwangere Däninnen, die eine Alleingeburt planten und sich bewusst gegen eine Hausgeburt mit einer Hebamme entschieden hatten. Sie wurden über soziale Netzwerke zwischen Januar und Oktober 2020 gewonnen. Durchgeführt wurden semi-strukturierte Tiefeninterviews. Die Daten wurden thematisch analysiert. Vier Themen zeigten Gründe für die Entscheidung für eine Alleingeburt auf:

    1. Das Standardsystem passt nicht für mich.
    2. Ich möchte Vertrauens in mich selbst wieder herstellen.
    3. Ich führe meine eigene Forschung durch.
    4. Ich schaffe mir einen sicheren Raum.

     

    Das Standardsystem passt nicht

     

    Das Thema eines unpassend empfundenen Standardsystems umfasst »negative Erfahrungen« bei vorausgehenden Geburten in der Klinik und zu Hause, ein »angstbesetzt empfundenes System« sowie ein »kontinuierliches Hinterfragen medizinischer Vormacht«. So berichtet Diana über ihre Erfahrung einer Notsectio bei einer vorausgehenden Geburt: »… dieser Ressourcenmangel … wie beschäftigt alle waren. Und diese Dienste, ständig neue Leute … und das während des so intimen und persönlichen Vorgangs einer Geburt. Eine Hebamme sagte dies, die andere sagte das … so viel überflüssiger Stress und Druck … und dann endete alles in einer Notsectio.«

    Catherine erlebte es als demütigend, ungefragt »Lehrobjekt« gewesen zu sein: »Ich erinnere mich, wie sie mich alle rektal untersuchen sollten. Drei oder vier verschiedene Personen. Es war extrem demütigend für mich. Und dann standen alle herum und schauten zu, wie der Professor die Verletzungen in meinem Intimbereich nähte. Aus meiner Sicht wurde mein Körper ohne meine Zustimmung zu Lehrzwecken verwendet.« Sie berichtet weiter, dass sie sich zu erschöpft fühlte, um widersprechen zu können, jedoch im Nachhinein zutiefst Ärger empfindet.

     

    Vertrauen wiederherstellen

     

    Dem Thema der Wiederherstellung des Vertrauens umfasst ein »Gefühl der Notwendigkeit«, »Arbeit und Absicht« sowie »Lärm und Zweifel«. Es beschreibt den Wunsch der Frauen nach dem Erkennen eigener Bedürfnisse sowie dem Bedürfnis nach Wiederaufbau von innerer Stärke und Autonomie.

    Elinor beschreibt: »OK, ich bin selbst dafür verantwortlich die Wahrheit zu finden. Ich muss meinen eigenen Weg zurückfinden. Ich muss das finden, was natürlich und wahr für mich ist. Ich kann niemandem vertrauen und niemand kann dies für mich tun.«

     

    Persönliche Forschung

     

    Das Durchführen eigener Forschung umfasst die Unterthemen »Fakten und Erfahrungen«, »Doppel-Check«, »Alleingeburt-Society«. Sie umfassen Gedanken nach der Suche neuer Erkenntniswege und einem bewussten Fokus auf Erfahrungswissen.

    So berichtet beispielsweise Elisabeth über die Vorbereitung ihrer geplanten Alleingeburt: »Begonnen hat alles über Instagram. Dann habe ich einen Podcast gefunden, über den ich auf den Kurses ›the complete guide to freebirth‹ gestoßen bin. Daraufhin habe ich den Kurs besucht und Bücher gelesen …«

     

    Einen sicheren Raum schaffen

     

    Das Schaffen eines sicheren Raums zum Gebären beinhaltet die Unterthemen „mein Körper wird es mir sagen“, „Risiko-Strategien“, „eigene Verantwortung“. Das Thema beschreibt die innere Sehnsucht der Frauen nach einem physischen und emotionalen Raum zum Gebären, der ein sicheres und autonomes Geburtserlebnis ermöglicht.

    So teilt Charlotte: »Ich habe gelernt, Vertrauen in meinen Körper zu entwickeln, in Verbindung mit mir selbst zu sein. Daran habe ich intensiv gearbeitet … ich konnte Vertrauen entwickeln, selbst wahrzunehmen, wenn etwas nicht mehr passt. Ich übernehme die Verantwortung, auf meinen Körper zu hören.«

     

    Resümee: Kein leichtfertiger Entschluss

     

    Die Autor:innen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass Frauen vor einer Alleingeburt sorgfältig verschiedene Aspekte abwägen: Sie handeln nicht leichtfertig. Frauen durchdenken eine Vielzahl verschiedener Einflussfaktoren und eigener Bedürfnisse. Sie bereiten sich emotional und körperlich auf ihre bevorstehende Alleingeburt vor. Die Gründe für die Entscheidung zu einer Alleingeburt sind vielfältig, wobei der Aspekt der Autonomie im Entscheidungsprozess für eine Alleingeburt eine zentrale Rolle spielt.

    In diesem Zusammenhang geben die Autor:innen zu bedenken, dass die Autonomie der Gebärenden und deren Wunsch nach einer Begleitperson ihrer Wahl auch bei einer Geburt im klinischen Setting gefördert werden sollte. Eine verbesserte Versorgungskontinuität sowie eine größere Flexibilität in Krankenhäusern solle sichergestellt werden, um den Bedürfnissen aller Gebärenden begegnen zu können.

    Quelle: Lou, S., Dahlen, H. G., Gefke Hansen, S., Orneborg Rodkjaer, L. & Damkjaer Maimburg, R. (2022). Why freebirth in a maternity system with free midwifery care? A qualitative study of Danish women's motivations and preparations for freebirth. Sex Reprod Healthc, 34, 100789. https://doi.org/10.1016/j.srhc.2022.100789 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 15.12.2022