Wenn Kreißsäle schließen, müssen alle anderen gute Versorgung bieten
Die andauernde Welle der Schließungen von Geburtsstationen wird Schätzungen zufolge 2024 ein neues Hoch erreichen. Die Elternorganisation Mother Hood e. V. rechnet bis Jahresende mit 25 geschlossenen Geburtsstationen, so viel wie noch nie in Deutschland innerhalb eines Jahres. Das wären rund 4 % der aktuell knapp 600 Geburtsstationen. »Das Aus von noch mehr Kreißsälen wird die Versorgung von Schwangeren weiter verschlechtern«, sagt Katharina Desery von Mother Hood e. V.
Der Verein sieht die gehäuften Schließungen unter anderem als Folge der anstehenden Krankenhausreform und dem damit verbundenen Ziel von weniger Geburtsstationen. Die Folgen seien gravierend für Schwangere, Gebärende und Familien: weniger Wahlmöglichkeiten, mehr Überlastung und weniger Qualität in der Versorgung. Deshalb entpuppe sich die Entwicklung als Gesundheitsrisiko.
Für die Verschlechterung der Versorgungsqualität seien im Wesentlichen zwei Gründe verantwortlich. Zum einen steige mit mehr Geburten in den verbleibenden Kliniken die Gefahr von Überlastung. Hebammen oder Gynäkolog:innen müssten zu viele Geburten gleichzeitig betreuen und könnten problematische Geburtsverläufe übersehen. Zum anderen reduzierten Kreißsaalschließungen das geburtshilfliche Angebot. Die Versorgung in den Kliniken könne sich enorm unterscheiden.
Kliniken müssten endlich gegensteuern. Der Verein schlägt in einer Stellungnahme Maßnahmen für fünf Handlungsfelder vor:
- Selbstbestimmung und Rechte von Schwangeren und Gebärenden wahren: Gebärende müssen die Möglichkeit haben, selbstbestimmte Entscheidungen während der Geburt zu treffen. Dazu gehört auch die Beachtung des Patientenrechtegesetzes.
- Medizinische Leitlinien in der Klinikpraxis umsetzen: Medizinische Leitlinien sollen Qualität in der gesundheitlichen Versorgung sicherstellen. Ihre Umsetzung ist auch im Bereich der geburtshilflichen Versorgung wichtig. Es gibt aktuell mehrere Leitlinien rund um die Geburt, insbesondere die beiden S3-Leitlinien “Vaginale Geburt am Termin” (2021) sowie “Sectio Caesarea” (Kaiserschnittgeburt, 2020).
- Breites Spektrum geburtshilflicher und nachgeburtlicher Angebote realisieren: Jede Geburtsstation muss über ein breites Spektrum an geburtshilflichen Angeboten verfügen, um möglichst vielen Bedürfnissen bestmöglich zu begegnen. Zum Beispiel interventionsarme Geburten im Hebammenkreißsaal oder die Begleitung von Geburten in Beckenendlage.
- Bindungsaufbau und Stillen bei gesunden und kranken Neugeborenen sowie Frühgeborenen fördern: Eine stabile Mutter-Kind-Bindung wirkt sich positiv und langfristig auf die Gesundheit aus. Mütter und Elternteile, die stillen möchten, erhalten eine umfassende Stillunterstützung. Best Practice Beispiele sind hier Unterstützung nach dem WHO/UNICEF-Zertifikat “Babyfreundlich” und Stillberatung nach IBCLC-Kriterien.
- Befragung zur Geburtserfahrung und Schulungen in traumasensibler Betreuung: Geburtskliniken befragen Mütter standardisiert nach ihren Erfahrungen mit der geburtshilflichen Versorgung. Die Ergebnisse werden im interdisziplinären Team ausgewertet und fließen in die regelmäßig stattfindenden Schulungen in traumasensibler Betreuung ein.
Es gebe bereits Kliniken, die die geforderten Maßnahmen umsetzen. Sie zeigten, dass eine frauzentrierte Geburtshilfe grundsätzlich möglich ist. „Wenn sich Eltern künftig nicht mehr für ›die bessere‹ Klinik entscheiden können, ist es an der Zeit, dass alle Geburtsstationen besser werden!“
Quelle: mother-hood.de, 24.9.2024 ∙ DHZ