Wie erleben Frauen eine Schwangerschaft nach Fehl- oder Totgeburt?
Geschätzt enden 20 bis 30 % aller Schwangerschaften weltweit als Fehlgeburt. Geschätzte 2,6 Millionen Kinder werden jährlich als Totgeburt (>22 SSW, >500 Geburtsgewicht) geboren und ungefähr 2,5 Millionen Kinder versterben weltweit innerhalb des ersten Lebensmonats. Mehr als die Hälfte aller Frauen werden innerhalb der darauffolgenden 22 Monate erneut schwanger. Wie geht es diesen Frauen, die nach einer Fehlgeburt, Totgeburt oder dem Verlust ihres Kindes innerhalb des ersten Lebensmonats nach der Geburt erneut schwanger werden? Welche Bedürfnisse haben sie in Bezug auf ihre Betreuung und welche Implikationen für die Praxis ergeben sich daraus?
Daten von 151 Frauen
Ein spanisches Forscher:innen-Team führte hierzu eine meta-ethnographische Studie durch. Eingeschlossen wurden elf Publikationen (n=151 Frauen), in denen Erfahrungen von Frauen nach dem Erleben einer Fehlgeburt, Totgeburt oder eines Kindes im ersten Lebensmonats ausgewertet wurden. Diese stammten hauptsächlich aus westlichen Ländern und wurden bis Dezember 2020 veröffentlicht.
Die Metapher: »Regenboden im Sturm« entstand: Diese umfasste sowohl das Erleben von Optimismus, welches mit einer neuen, gewünschten Schwangerschaft einherging wie auch Ängste aufgrund negativer eigener zurückliegender Erfahrungen. Drei zentrale Themen stützen die Metapher des Regenbogens im Sturm:
- Emotionales Dilemma zwischen ambivalenten Gefühlen
- Achtsamkeit und Kontrolle während der Folgeschwangerschaft
- Von anderen lernen
Das »Emotionales Dilemma zwischen ambivalenten Gefühlen« wurde erlebt, weil Frauen immer wieder Erinnerungen an die zurückliegende Schwangerschaft hatten. Hierbei war ein wiederkehrendes Erlebnis, dass Erwartungen enttäuscht wurden: Eine Schwangerschaft endete mit dem Verlust nicht mit Leben. Damit verbunden war ein Gefühl des Kontrollverlusts und ein Gefühl sich nicht wirklich freuen zu können. Häufig erlebten Frauen auch Ängste, in denen sie sich mit einem »Bild des schlimmsten möglichen Ausgangs einer Schwangerschaft« auseinandersetzen mussten. Eine Frau beschrieb: »Jeden Tag wachte ich auf und dachte, dies wird der Tag sein an dem das Baby stirbt, dies wird der Tag sein an dem ich diese schreckliche Nachricht erhalte…« Frauen berichteten auch häufig von Alpträumen in Zusammenhang mit vorausgehenden negativen Erfahrungen.
Emotionale Distanzierung
Die »Achtsamkeit und Kontrolle während der Folgeschwangerschaft« wurde von schwangeren Frauen in Bezug auf Emotionen und Erwartungen erlebt. Frauen beschrieben eine »emotionale Distanzierung« von der aktuellen Schwangerschaft, um sich emotional selbst zu schützen falls eine vergleichbare Situation wie bei der vorausgehenden Verlustsituation entstand. Manche Frauen versuchten die Schwangerschaft auszublenden, um eine zu frühe Bindung zum Baby zu vermeiden. Diese Frauen berichteten, dass sie beispielsweise ihr Baby als »es« bezeichneten oder es vermieden, Vorbereitungen jeglicher Art für die Geburt zu treffen. Vorsorgeuntersuchungen wurden ängstlich besorgt und gleichzeitig hoffnungsvoll erwartet, um positive Informationen zur aktuellen Schwangerschaft zu erhalten. Die Nervosität konnte jedoch bei Frauen zum Teil nur kurzzeitig gelindert werden.
Schuldgefühle besprechen
Vor »anderen lernen« war eine Art und Weise konstruktiv mit vorhandenen Ängsten und der Situation einer erneuten Schwangerschaft umzugehen. Frauen schätzten dabei besonders den Austausch mit anderen Frauen, die von vergleichbaren Situationen betroffen waren. Manche Frauen fanden Trost in ihrer Religion, beispielsweise indem sie für eine gesunde Schwangerschaft gebetet hatten. Die Zuwendung von Hebammen war für Frauen sehr wichtig. Manche Frauen erlebten Schuldgefühle für die Situation, erneut schwanger zu sein. Sie erlebten es hilfreich, darüber zu sprechen um Schuldgefühlen zu begegnen.
Die Autor:innen schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass der Regenbogen im Sturm die Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle schwangerer Frauen nach dem Verlust eines Kindes beschreibt. Die Vielfalt zugrundeliegender Erfahrungen und Emotionen sollten sowohl in der Praxis bei der Betreuung wie auch der Ausbildung von Hebammen berücksichtigt werden.
Quelle: Fernandez-Basanta, S., Dahl-Cortizo, C., Coronado, C. & Movilla-Fernandez, M. J. (2023.) Pregnancy after perinatal loss: A meta-ethnography from a women's perspective. Midwifery, 124, 103762. doi: https://doi.org/10.1016/j.midw.2023.103762 ∙ Beate Ramsayer/DHZ