Von der Ausbildung zum Studium

Zeiten des Umbruchs

Der letzte Ausbildungskurs der Hebammenschule Hildesheim steht kurz vor dem Examen. Die 15 werdenden Hebammen starteten ihre Ausbildung im August 2020, parallel zu einem der ersten Studiengänge für angewandte Hebammenwissenschaften. Beide Kurse arbeiten teilweise zeitgleich im Kreißsaal und stehen daher im engen Austausch miteinander. Im Rahmen eines Schreibworkshops im Elwin Staude Verlag haben sie einen Artikel verfasst und berichten über ihre Erfahrungen als einer der letzten Ausbildungskurse in Deutschland. Manisha Bertels | Svea Bölck | Ann-Christine Kienert | Marie Köhler | Nurefsan Kökpinar | Johanna Lemmer | Melina Marschall | Verena Radke | Katharina Radusic | Jenny Schlemme | Esther Schleppegrell | Pia Schültke | Betül Su | Dörte Winkler | Hannah Witte
  • Einige Hildesheimer Hebammenschülerinnen bei ihrem Workshop im Elwin Staude Verlag.

  • Zu Beginn schien die Ausbildung sicher und gut geplant. Im Gegensatz dazu, wirkte das Studium im Aufbau noch etwas undurchdacht. Es hat sich gezeigt, dass im Umbruch beide Ausbildungsformen Vor- und Nachteile haben. Es scheint schwierig zu sein, in diesem Wandel ein stabiles Umfeld für uns Schüler:innen und Student:innen zu bieten.

     

    Lehrkräfte im stetigen Wechsel

     

    Seit Beginn unserer Ausbildung vor zwei Jahren haben wir bis heute vier Schulleitungen gehabt. Zudem hatten wir zwischenzeitlich keine Ansprechpartnerin innerhalb der Hebammenschule, an die wir uns wenden konnten. Nur eine Lehrerin begleitete uns von Anfang an, wobei es zwischenzeitig auch unklar war, ob sie uns weiterhin unterrichten würde.

    In unserer Klasse herrschte zeitweise große Unsicherheit zum Fortbestehen der Schule und zur Weiterführung der Ausbildung. Als dann die Nachricht kam, dass uns erneut eine Schulleitung verlassen hatte und mit ihr zwei unserer damaligen Lehrerinnen, malten wir uns gedanklich schon aus, einzeln an sämtliche Hebammenschulen im Land verteilt zu werden.

    Die Vorbereitungen für das Examen, die jetzt allmählich beginnen, sind ebenso abenteuerlich wie unser bisheriger Weg. Die Lehrer:innen, die uns prüfen, haben die Themen teilweise nicht selbst unterrichtet. Vieles muss ab- und verglichen werden, um einheitlichen Lernstoff zu erhalten. Hierbei fällt auf, was uns teilweise auch noch an Grundlagen fehlt.

    Doch wir profitieren auch vom Lehrer:innenwechsel. Wir lernen viele Sichtweisen kennen, die Lehrer:innen, die uns jetzt unterrichten, sind sehr motiviert und sehr nah am Unterrichtsstoff, da sie diesen neu für uns erarbeitet haben und sich die größte Mühe geben, uns durchs Examen zu bringen.

     

    Schüler:innen und Student:innen im Vergleich

     

    Wir Schüler:innen stehen durch die gemeinsamen Einsatzorte im ständigen Vergleich zu den Student:innen. Schon im Bewerbungsgespräch beginnt die Frage nach dem Warum. Warum haben Sie sich für die Ausbildung entschieden? Warum haben Sie sich nicht für ein Studium entschieden? Möchten Sie nach der Ausbildung noch studieren? Dieses Vergleichen setzt sich im Arbeitsalltag häufig fort. Es passiert nicht selten, dass zwischen uns und den Studentinnen ein Unterschied gemacht wird.

    Obwohl wir unseren Berufsweg nahezu gleichzeitig begonnen haben, wurde besonders zu Beginn immer wieder versucht, den Wissens- und Ausbildungsstand der Schüler:innen mit dem der Student:innen zu messen. Diese Situation ist zum Teil bedingt durch unsere verschiedenen Lernsituationen und Erfolge. Häufig durften wir verschiedene Tätigkeiten zu komplett anderen Zeitpunkten ausüben. Dadurch kam viel häufiger die Frage: »Wie war denn das, warst du jetzt schon Studentin oder noch Schülerin? Was dürft ihr denn jetzt schon?«

    Auffällig waren auch die Unterschiede in den Anforderungen für unsere praktische Ausbildung. Hebammenschüler:innen haben zum Beispiel keinen Anspruch auf eine Praxisanleitung, das Studium setzt eine Praxisanleitung voraus. Man konnte sich glücklich schätzen, einen Praxisanleiterinnen-Tag mit einer Hebamme zu erleben, denn dies ist zeitlich nicht umsetzbar gewesen. Mit Beginn des Studiums wurden plötzlich Dinge möglich, die bei uns unmöglich schienen.

    Wir haben auch erlebt, dass wir Schüler:innen viel häufiger von unseren geplanten Einsatz- und Lernorten abgezogen wurden, um irgendwo in der Klinik den Personalmangel auszugleichen. Die Student:innen wurden von diesem »Vertretungspool« ausgeschlossen und haben so in Krisenzeiten mehr Zeit für ihre eigentlichen Lernprozesse. Dadurch entsteht natürlich bei den Schüler:innen ein bestimmtes Stimmungsbild gegenüber den Student:innen, obwohl wir uns untereinander alle gut verstehen und ständig im Austausch stehen.

    Ein weiterer wichtiger Punkt sind unsere Externatseinsätze, die wir als werdende Hebammen absolvieren müssen. Das Konzept der Externate war bisher immer so, dass die Schüler:innen von freiberuflichen Hebammen mitgenommen werden, ohne dass dies für die Hebammen entlohnt wurde. Durch das Studium erhalten die freiberuflichen Hebammen ein Entgelt, wenn sie einen Praktikumsplatz für Student:innen schaffen. Dadurch ist es für die freiberuflichen Kolleg:innen natürlich attraktiver, ein:e Student:in statt ein:er Schüler:in mitzunehmen. Zusätzlich brauchen die freiberuflichen Hebammen dann aber auch einen Praxisanleiterschein, welcher mit weiteren Kosten und Aufwand verbunden ist.

    Es stellt sich die Frage, wo wir als Auszubildende in den Schulen bedacht wurden, als der Umbruch zum Studium begann. Die Umbruchzeit hätte anders gestaltet werden können, um den bestehenden Kursen an den Schulen auch eine gute theoretische Ausbildung zu ermöglichen.

     

     

    Die Hebammenschülerinnen haben in einem Workshop im Elwin Staude Verlag mit ihrer Dozentin Tara Franke ihre Gedanken zur Zukunft aufgeschrieben.

    Abbildung: © Hannah Witte, Esther Schleppegrell, Dörte Winkler, Marie Köhler

     

     

    Examen nicht bestanden?

     

    Im dritten Lehrjahr sind die Ängste und Sorgen um das Examen allgegenwärtig. Immer wieder kommen neue Fragen auf; Fragen, die sich schon viele Generationen an Hebammen vor uns gestellt haben. Wie läuft das Examen ab? Bin ich gut vorbereitet? Wann fange ich an zu lernen?

    Doch auch hier werden wir vor eine besondere Herausforderung gestellt. Wir sind der letzte Ausbildungskurs an unserer Schule, nach unserem Examen wird die Schule schließen. Was passiert, wenn jemand das Examen nicht schafft? Die Antwort darauf war sowohl verunsichernd als auch unbefriedigend, denn so genau weiß das niemand. Weder unsere Schulleitung noch unsere Klassenlehrerin können uns sagen, was passiert, falls es bei manchen im ersten Anlauf nicht funktioniert. Die praktische Nachprüfung im Krankenhaus sei kein Problem, das könne man wohl gewährleisten. Aber für Nachprüflinge in der Theorie sei noch keine Lösung gefunden. Sowohl der Unterricht als auch das Examen müssen dann an einer anderen Hebammenschule absolviert werden. Wo genau unsere Nachprüflinge hin versetzt werden, ist nicht bekannt.

    Natürlich hoffen wir, dass es niemanden von uns betreffen wird. Aber der Gedanke, hinterher allein ohne das gewohnte Supportsystem der letzten drei Jahre dazustehen, ist beängstigend und stellt für uns alle einen zusätzlichen Stressfaktor in dieser ohnehin sehr aufwühlenden Zeit, dar.

    Es war und ist eine abenteuerliche Reise. So langsam geht sie dem Ende zu, so langsam nimmt alles Form an. Trotz allem versuchen wir jede Hürde zu meistern und gehen jetzt zuversichtlich auf unser Examen zu. Wir halten durch und wünschen allen werdenden Hebammen ein erfolgreiches Examen! Ihr schafft das!

    Rubrik: Aus- und Weiterbildung

    Erscheinungsdatum: 24.11.2022