Risiko für Erbkrankheiten ändert Familienplanung
Normalerweise finden Paare erst nach der Geburt ihres Kindes heraus, ob dieses ein erhöhtes Risiko für eine schwere Erbkrankheit hat. Mit einem genetischen Carrier-Screening ist die Risikoermittlung schon vor der Zeugung möglich.
Wie das Team um Edwin P. Kirk vom Sydney Children’s Hospital im New England Journal of Medicine berichtet, änderten in einer neuen Studie zum Screening 134 von 175 Paaren ihre Familienplanung, nachdem bei ihnen ein erhöhtes Risiko festgestellt wurde.
Von 19.000 eingeladenen Paare stimmten 9.107 zu, sich einem genetischen Carrier-Test zu unterziehen. Sie planten eine Schwangerschaft oder die Frau war bereits schwanger. Bei 355 der Teilnehmenden bestand tatsächlich ein erhöhtes Risiko, ein Kind mit einer vererbbaren Krankheit zu bekommen. Dieses Ergebnis war 180 Paaren bereits bekannt, für 175 war es neu.
Von den 45 Paaren, bei denen die Partnerin zum Zeitpunkt des Ergebnisses bereits schwanger war, entschieden sich 29 für eine genetische Untersuchung des Fetus. Bei 24 war das Testergebnis unauffällig. Von den fünf Paaren mit auffälligem Ergebnis entschieden sich vier für einen Schwangerschaftsabbruch. 73,1 % der Paare, bei denen die Partnerin noch nicht schwanger war, wählten eine künstliche Befruchtung.
Ethische Fragen
»Es kommt aus ethischer Sicht bei diesen Testangeboten in erster Linie auf die dahinterstehende Absicht an«, sagt Nils Hoppe, Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften und Direktor des Centre for Ethics and Law in the Life Sciences (CELLS), Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Sollte die Zielsetzung sein, die Geburt von Kindern mit bestimmten Einschränkungen zu verhindern, so sei das ethisch problematisch – schließlich sei damit ein Urteil über den Wert des Lebens solcher Kinder verbunden.
»Ist die Zielsetzung jedoch in erster Linie, die reproduktive Autonomie der potenziellen Eltern zu stärken, so lässt sich das ethisch gut rechtfertigen«, meint Hoppe. »Sie können mithilfe eines solchen Verfahrens Entscheidungen über ihre eigene Fortpflanzung treffen, die am ehesten ihren Werten entsprechen. Die Einführung eines solchen Verfahrens ist somit eine gesellschaftliche Abwägungsfrage.«
Wenn Kosten und Nutzen für den Test in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stünden – was bisher nicht der Fall zu sein scheine – dann wäre es auch gut, ihn Ärzt:innen als Möglichkeit für ihre Patientinnen anzubieten. Zu einer Abwägung gehörten allerdings auch die emotionalen Folgen des Tests, denn die Studie habe auch »beschrieben, dass Paare mit einem positiven Befund von dem Wissen psychisch beeinträchtigt wurden«.
Markus Zimmermann, Lehr- und Forschungsrat am Departement Moraltheologie und Ethik von der Schweizer Universität Freiburg, sagt: »Insgesamt handelt es sich aus ethischer Sicht um eine weitere Medikalisierung der Lebenswelt mit einigen wenigen Vorteilen, dagegen mit gravierenden Nachteilen und Verunsicherungen.«
Quelle: Kirk, E. P., Delatycki, M. B., Archibald, A. D., Tutty, E., Caruana, J., Halliday, J. L., Lewis, S., McClaren, B. J., Newson, A. J., Dive, L., Best, S., Long, J. C., Braithwaite, J., Downes, M. J., Scuffham, P. A., Massie, J., Barlow-Stewart, K., Kulkarni, A., Ruscigno, A., Kanga-Parabia, A., … Mackenzie's Mission Investigators (2024). Nationwide, Couple-Based Genetic Carrier Screening. The New England journal of medicine, 391(20), 1877–1889. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2314768 · aerzteblatt.de, 21.11.2024/DHZ