Klinische Studie

Hirtentäschelkraut gegen postpartale Blutungen?

  • Capsella bursa pastoris – Hirtentäschelkraut – galt schon im 15. Jahrhundert als Heilmittel gegen Nasenbluten oder starke Menstruation. Es als wirksames Mittel gegen postpartale Hämorrhagien zu deklarieren, bedarf weiterer Forschung.

  • Postpartale Hämorrhagien gehören zu einer der drei Hauptursachen für eine maternale Mortalität. In einer iranischen Studie an der Universität Teheran wurde der Effekt von Hirtentäschelkraut auf frühe postpartale Blutungen untersucht. Dafür wurden am Afzalipour Hospital in Kerman 100 Frauen in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Behandlungsgruppe erhielt zusätzlich zur Standardtherapie von 20 Internationale Einheiten (IE) Oxytocin nach Ablösung der Plazenta 10 Tropfen Hirtentäschelextrakt unter die Zunge. Die andere Gruppe erhielt 20 IE Oxytocin und 10 Tropfen eines Placebos in der Postplazentarperiode. Die Blutungsmenge wurde unmittelbar nach der Geburt gemessen, außerdem wurden Hämoglobin (Hb) und Hämatokrit (Hk) sechs Stunden post partum bestimmt.

    Die Ergebnisse zeigten bei Hb und Hk keine Unterschiede (p > 0,05), aber es zeigte sich eine statistisch signifikant geringere Blutungsmenge (um 35 ml) in der Gruppe mit den Hirtentäscheltropfen. Die ForscherInnen schließen daraus, dass Hirtentäschel die Blutungsmenge signifikant reduziert.

    Kommentar:

    Nicht alles, was statistisch signifikant ist, hat auch eine klinische Bedeutung. Die Verarbeitung von 20 IE Oxytocin bedeutet eine größere Herausforderung für die Frauen als 35 ml weniger Blutverlust. Letzteres ist klinisch nicht relevant. Es erscheint ausgesprochen fragwürdig, die Wirkung der Pflanze so hoch zu bewerten.

    Jede Hebamme weiß, dass 35 ml weniger Blutverlust post partum in den Bereich jedes Messfehlers fallen und klinisch bedeutungslos sind. Die Gabe von 20 IE künstlichem Oxytocin fällt hierzulande allerdings nicht mehr unter den Bereich Prophylaxe, sondern stellt bereits die Therapie einer manifesten postpartalen Blutung dar.

    Die Studie mag in ihrer Ausführung vielleicht fragwürdig sein (20 IE Oxytocin; nach 6 Stunden haben sich Hb und Hk noch nicht wieder eingestellt – der fehlende Unterschied ist zu erwarten), aber richtig unseriös ist die Meldung auf der Homepage der Carstens-Stiftung, die sich der Erforschung von Naturheilkunde und Komplementärmedizin verschrieben hat: „Hirtentäschelkraut gegen Blutungen nach der Entbindung.“ In Ergänzung zum Oxytocin habe sich die Gabe eines Extraktes von Capsella bursa pastoris zur Linderung postpartaler Hämorrhagien gegenüber dem Placebo als überlegen erwiesen, heißt es dort. Solche Informationen führen zu Fehleinschätzungen, falschen Vorstellungen von Seiten der Frauen und möglicherweise Fehlbehandlungen.

    Nein, Hirtentäschelkraut reduziert die Blutungen nach der Geburt nicht. Jedenfalls nicht aufgrund der Beweislage aus dieser Studie. Dabei wäre es wirklich spannend zu wissen, ob es ohne gleichzeitige Oxytocingabe wirken würde und welche Nebenwirkungen es hätte. Schade um die verpasste Chance, der Phytotherapie zu seriösen Daten zu verhelfen. Hebammen tun gut daran den ganzen Text zu lesen, bevor sie Gefahr laufen, Frauen falsch zu beraten oder zu behandeln.

    10 IE Oxytocin post partum reduzieren den Blutverlust laut einer Studie aus Ghana allein schon um durchschnittlich 45,1 ml.

    Ich halte die Diskussion um 35 ml geringeren Blutverlust post partum aufgrund von Hirtentäschel für unseriös und klinisch nicht relevant, wenn gleichzeitig mit 20 IE Oxytocin gearbeitet wird.

    Peggy Seehafer

    Quelle: Ghalandari S, Kariman N et al. Effect of Hydroalcoholic Extract of Capsella bursa pastoris on Early Postpartum Hemorrhage: A Clinical Trial Study. J Altern Complement Med 2017 Oct;23(10):794–799. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28590768.
    Stanton CK et al.: Effect on Postpartum Hemorrhage of Prophylactic Oxytocin (10 IU) by Injection by Community Health Officers in Ghana: A Community-Based, Cluster-Randomized Trial. PLoS Med 2013. 10 (10): e1001524 DHZ

     

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 21.11.2017