Ausschlusskriterien

Der falsche Weg

Welche Interessen stehen hinter den Bestrebungen zur Einschränkung der Wahl des Geburtsortes? Und welche Konsequenzen hat sie für Hebammen und werdende Eltern? Eine Betrachtung zu den Hintergründen der sogenannten „Ausschlusskriterien“. Monika Selow
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Zum 1. Januar 2015 sollte eigentlich eine fünfprozentige Vergütungserhöhung für freiberufliche Hebammen wirksam werden. Sie ist gekoppelt an die Einführung von Nachweisen zur Qualität, die aufgrund einer Gesetzesänderung zu erbringen sind (siehe DHZ 1/2014, Seite 14ff.). Zum 1. Juli 2015 sollte außerdem ein Sicherstellungszuschlag wirksam werden, der ebenfalls auf gesetzlicher Basis freiberufliche Hebammen dabei unterstützen sollte, weiter Geburtshilfe anbieten zu können, trotz steigender Haftpflichtprämien. Beide Verfahren wurden nun an die Schiedsstelle zur Entscheidung gegeben, da sich die Hebammenverbände und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) nicht über die Qualitätskriterien in der Geburtshilfe einigen konnten. Mit einer Entscheidung ist erst im September zu rechnen.

Nach dem Willen des GKV-SV sollen zukünftig die für Geburtshäuser vertraglich geltenden „Ausschlusskriterien" auch für Hausgeburten gelten. Für beide ist eine Änderung der begleitenden Bestimmungen geplant, so dass künftig der Anspruch auf die Vergütung geburtshilflicher Leistungen zu Hause und im Geburtshaus entfallen soll, wenn bestimmte Ausschlusskriterien vorliegen. Er soll in weiteren Fällen an die Bedingung geknüpft werden, dass die Frau zusätzlich zur Hebammenbetreuung bestimmte fachärztliche Untersuchungen vornehmen lässt.

Die bekannteste Konsequenz wäre, dass eine Frau ab dem ersten Tag der Überschreitung des errechneten Geburtstermins eine Gynäkologin beziehungsweise einen Gynäkologen oder eine Klinik aufsuchen müsste. Alleine dieses Kriterium beträfe rund die Hälfte aller Frauen, die eine Geburt zu Hause oder im Geburtshaus planen. Hinzu kämen eine Vielzahl weiterer Indikationen und die Überprüfung, ob Frau und Hebamme die dann gültigen Vorgaben auch eingehalten haben. Das Verfahren dazu ist noch unklar. Die Forderung des GKV-SV ist ein schwerer Eingriff in das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung (siehe DHZ 7/2015) und in das Berufsrecht der Hebamme. Denn das Berufsrecht sieht die Hinzuziehung eines Arztes oder einer Ärztin bei akuten Komplikationen oder Pathologien vor – das Einverständnis der Frau vorausgesetzt, nicht jedoch wegen eines allgemeinen statistischen Risikos im Gesamtkollektiv.

Die Zustimmung zu einem solchen Paradigmenwechsel durch die Hebammenverbände ist absolut nicht möglich. Die Vertragsverhandlungen sind deshalb zur Entscheidung an die Schiedsstelle abgegeben worden.

 

Rückblick

 

Die derzeit zur Diskussion stehenden Kriterien gehen zurück auf Empfehlungen und Auswahlkriterien für die Wahl des Geburtsortes, die von den Hebammenverbänden gemeinsam mit dem Netzwerk zur Förderung der Idee der Geburtshäuser in Deutschland erarbeitet wurden. Sie waren dort eingebettet in einen differenzierten Entscheidungsprozess zur Wahl des Geburtsortes. Auf Basis dieser Empfehlungen sollten alle, die in der hebammengeleiteten Geburtshilfe tätig sind, eigene Kataloge als Arbeitshilfe erstellen können. Diese sollten außerdem Arbeitsweise (im Team, alleine, regionale Verfügbarkeit von ÄrztInnen und Kliniken), Erfahrung sowie eigene Kriterien und Kriterien der Frauen enthalten können.

Lange bevor die Kostenübernahme für die Geburt im Geburtshaus gesetzlich verankert wurde, entstand ab dem Jahr 2000 im Netzwerk der Geburtshäuser ein Muster-Qualitätshandbuch. Ziel war es einerseits, eine qualifizierte Arbeitshilfe zur Gründung von Geburtshäusern zu schaffen. Andererseits sollte durch definierte Qualitätsanforderungen, die in anderen Bereichen des Gesundheitswesens bereits vorgeschrieben waren, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die gesetzliche Verankerung erreicht werden.

In der sogenannten Lenkungsgruppe zur Erstellung des Muster-Handbuches waren VertreterInnen folgender Organisationen beteiligt:

  • Hebammenverbände (DHV und Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands, BfHD)
  • Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland
  • Koordinierungsstelle der Berliner Geburtshäuser
  • Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG)
  • Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK)
  • ÄrztInnen, die Geburten zu Hause und im Geburtshaus betreuten.

Einer der Bestandteile des Handbuches war ein Kriterienkatalog zur Geburt im Geburtshaus. Schon damals gab es um einige Kriterien heftige Diskussionen, da der Vertreter des MDK tendenziell jedes Kriterium der Mutterschafts-Richtlinien aufgenommen sehen wollte. Nachdem die außerklinischen hebammengeleiteten Einrichtungen (HgE) mit Qualitätsanforderungen gesetzlich verankert waren, wurden im Jahr 2008 in den Verhandlungen mit den Krankenkassen auf der Basis des vorhandenen Kriterienkataloges erneut Kriterien erstellt, die mit Erläuterungen Bestandteil des Ergänzungsvertrages zur Übernahme der Betriebskosten für Geburten in Geburtshäusern wurden. Die Geltung für Hausgeburten war nicht vorgesehen.

Die Kriterien finden sich in der Qualitätsvereinbarung (Anlage 1) zum Ergänzungsvertrag in § 9 „Ausschlusskriterien". Sie sind unterteilt in:

  1. Kriterien, die eine Geburt in einer HgE im Sinne des Ergänzungsvertrages ausschließen und
  2. Kriterien, die eine Geburt in der HgE im Sinne des Ergänzungsvertrages nach gründlicher Abklärung durch weitere Diagnostik, fachärztliches Konzil und Teamentscheidung sowie nach spezieller Risikoabklärung nicht ausschließen.

(Der vollständige Text, sowie auch alle im Folgenden benannten Kataloge sind über die Links in Tabelle 1 zu finden.)

Zunächst ist die Benennung falsch, weil es sich sowohl um Aus- als auch um Einschlusskriterien handelt. Derzeit sind es medizinische Kriterien, die sich aus der Anamnese und dem Verlauf ergeben und die zusätzlich zu anderen Kriterien – Berufserfahrung, Hinzuziehungs- und Verlegungsmöglichkeiten, Wunsch der Frau sowie Kapazität – zur Entscheidung zum Geburtsort beitragen.

Sie sind eingebettet in einen Text, der unter anderem folgende Passagen enthält:

„Begleitung und Beratung in der Schwangerschaft und bei der Geburt erfolgen in kooperativer Form. Sie basieren auf den Prinzipien der informierten Entscheidung und der Mitverantwortung der Schwangeren und Gebärenden."

„Es ist zu berücksichtigen, dass diese Ausschlusskriterien nicht evidenzbasiert sind und dass zukünftige Evidenzen sowie neue Behandlungsmethoden in den Katalog Eingang finden können."

„Qualität wird in erster Linie durch die Betreuungsformen und -inhalte bestimmt, sie kann nicht allein durch Ausschlusskriterien garantiert werden. Der folgende Kriterienkatalog gibt eine Orientierungshilfe in Richtung auf ein Versorgungskonzept, das die HgE hinsichtlich ihres Leistungsprofils in Analogie zur Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen in der jeweils aktuell geltenden Fassung beschreibt."

„Die Wünsche der Versicherten sind bei der Entscheidungsfindung einzubeziehen sowie die Patientenrechte zu wahren."

 

Kataloge zur Risikoabschätzung

 

Kataloge sind ein national und international gebräuchliches Instrument der Qualitätssicherung, beziehungsweise Listen, die je nach Zweck unterschiedlich benannt werden: als Risikokatalog, Befunde, Zuweisungs- oder Ausschlusskriterien. Für die Anwendung in der Schwangerschaft und bei der Geburt sind in Deutschland eine Reihe von Katalogen gebräuchlich (siehe Tabelle 1).

Die in Tabelle 1 benannten Kataloge werden alle im Rahmen der Qualitätssicherung, jedoch in unterschiedlichen Bereichen und zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt. Damit sie ihre Funktion erfüllen könnten, müssten für sie folgende Kriterien gelten, die schriftlich festgehalten werden:

  • Angabe von Zweck und Ziel
  • Definition der Zielgruppe
  • Angabe von Verbindlichkeit
  • Beschreibung des Vorgehens bei der Benutzung
  • Identifizierung von zweckdienlichen Merkmalen auf Grundlage von Daten
  • probeweise Einführung und Evaluation
  • Korrektur
  • Einführung
  • regelmäßige Überprüfung: Wird der Zweck erfüllt? Wird das angestrebte Ziel erreicht? Sind die Merkmale nützlich? Fehlen Merkmale oder können welche entfernt werden?

Die gebräuchlichen Kataloge erfüllen diese Bedingungen nicht.

Problematisch für Deutschland ist, dass die wesentliche Grundlage der gebräuchlichen Kataloge aus einer Zeit stammt, in der Schwangerenvorsorgeleistungen und die Geburt im Krankenhaus nur von den Krankenkassen übernommen wurden, wenn eine Indikation vorlag. Hebammen und GeburtshelferInnen der 1950er Jahre hatten noch eine Orientierung am physiologischen und individuellen Verlauf mit einer Abgrenzung zur Pathologie nach klaren Vorgaben. Hausgeburten waren die Regel. Ab den 50er Jahren wollten Frauen vermehrt zur Geburt in die Klinik. Die Kostenübernahme für diese Wahl war jedoch geknüpft an das Vorliegen einer Pathologie, bis sie 1968 Kassenleistung für alle Frauen wurde. Zwischen 1950 und 1968 etablierte sich im Konsens zwischen Frauen und ÄrztInnen der „Risikobegriff". Er ermöglichte es durch immer weitergehende Indikationsstellungen, kostenfrei Gesundheitsleistungen in der Schwangerschaft in Anspruch zu nehmen sowie eine Klinikgeburt finanziert zu bekommen (Schumann 2009).

Neben befundbasierten Abweichungen haben eine Reihe von sogenannten Risiken Eingang in die gebräuchlichen Katalogen für die geburtshilfliche Versorgung gefunden. Dazu gehören beispielsweise Merkmale wie Alter der Mutter, Parität, Skelett­anomalien, „Zustand nach ..." (diversen Diagnosen in der Vorgeschichte), Adipositas sowie familiäre, soziale, berufliche und psychische Belastungen. Während es für akut vorliegende Befunde einen fallbezogenen Handlungskorridor gibt, besteht bei dieser Art von Merkmalen keine akute Gefahr, sondern lediglich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von darauf folgenden Anomalien, also ein statistisches Risiko. Dieselben Anomalien können individuell auch ohne das Merkmal auftreten. Umgekehrt kann es sich auch bei Vorliegen des Merkmals durchaus um einen ganz normalen Verlauf unter reiner Hebammenbetreuung handeln. So ist beispielsweise ein Alter der Mutter von über 35 Jahren mit einem erhöhten Risiko assoziiert. Das Risiko besteht in einem Anstieg der Wahrscheinlichkeit für genetische Störungen beim Neugeborenen. Laut Mutterschafts-Richtlinien sind daher umfangreichere und häufigere Untersuchungen einschließlich des Angebotes der Pränataldiagnostik möglich. Individuell betrachtet besteht auch bei einer 20-jährigen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für dieselben Störungen. Bei der über 35-jährigen ist trotz des Alters ein ganz normaler Schwangerschafts- und Geburtsverlauf mit einem gesunden Neugeborenen die Regel. Wenn für sie aus persönlichen Gründen Pränataldiagnostik nicht in Frage kommt oder wenn die bereits erfolgten Untersuchungen ein gutes Ergebnis hatten, besteht ein normaler Verlauf und Schwangerschaft und Geburt fallen sowohl inhaltlich als auch berufsrechtlich in den alleinigen Kompetenzbereich der Hebamme, wenn dies von der Frau so gewünscht wird.

 

Kataloge in den Mutterschafts-Richtlinien

 

In den Mutterschafts-Richtlinien ist ein Katalog enthalten, der festlegt, wann eine Schwangerschaft als „Risikoschwangerschaft" eingestuft wird. Darauf basierend enthält der Mutterpass Katalog A (Anamnese und allgemeine Befunde/Erste Vorsorge-Untersuchung) und Katalog B (Besondere Befunde im Schwangerschaftsverlauf). Die Kataloge in den Mutterschafts-Richtlinien und im Mutterpass sind nicht identisch. Zur Bewertung des Risikos für die Geburt sind die Mutterschafts-Richtlinien erstaunlich sparsam. Dazu heißt es lediglich:

„2. Aus Risikoschwangerschaften können sich Risikogeburten entwickeln.

Bei folgenden Befunden ist mit einem erhöhten Risiko unter der Geburt zu rechnen:

a) Frühgeburt

b) Placenta praevia, vorzeitige Placentalösung

c) Jede Art von Missverhältnis Kind/Geburts­wege."

Für alle anderen Kriterien zur Einstufung als Risikoschwangerschaft ist die Konsequenz laut Mutterschafts-Richtlinien, dass häufigere Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen angezeigt sein können und mehr Diagnostik möglich ist, zum Beispiel zusätzliche Ultraschalluntersuchungen, CTG-Kontrollen, Pränataldiagnostik oder Amnioskopien).

Die Kataloge A und B des Mutterpasses finden sich in der klinischen und außerklinischen Perinatalerhebung zur Qualitätssicherung wieder. In der Begleitforschung für den Hebammenkreißsaal wurden dieselben Kataloge verwendet und für jedes Kriterium unterschieden, ob die Geburt im Hebammenkreißsaal oder ärztlich geleitet stattfinden kann oder ob eine Einzelfallentscheidung dazu getroffen wird – entweder durch die Hebamme oder durch Arzt beziehungsweise Ärztin und Hebamme gemeinsam. Diese Kriterien sind als Muster auch in das „Handbuch Hebammenkreißsaal" eingegangen (siehe Tabelle 1).

Die Aufnahme- und Zuweisungskriterien der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) herausgegebenen „Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen" lösen sich in weiten Teilen von der Risikoeinstufung der Mutterschafts-Richtlinien. Sie enthalten überwiegend Kriterien, bei denen aufgrund akuter Befunde absehbar ist, dass das Neugeborene nach der Geburt intensivmedizinischer Versorgung bedarf. Dies gilt insbesondere für Frühgeborene, für deren Versorgung Mindeststandards festgelegt sind, unter denen eine Versorgung in einer Klinik erfolgen kann. Zu kritisieren ist daran, dass die Umsetzung der Richtlinie verbunden ist mit der Schließung kleiner geburtshilflicher Abteilungen, ohne dass eine Folgenabschätzung für die gesamte geburtshilfliche Versorgung – einschließlich gesunder Neugeborener – stattgefunden hat. Die in der Richtlinie benannten tagesgenauen Angaben für das Schwangerschaftsalter und grammgenauen Angaben der Geburtsgewichte täuschen eine Genauigkeit vor, die prospektiv in der Schwangerschaft nicht erreicht werden kann. Vermeidung von Frühgeburten, Betreuung von Frauen mit Frühgeburtsbestrebungen, Personalbesetzung in Kliniken bei der Geburt und Versorgung der Frauen mit Hebammenhilfe spielen darin eine untergeordnete Rolle.

Für alle Kataloge in der geburtshilflichen Versorgung ist übergeordnet zu überprüfen, ob die vorgesehene Verwendung in die Rechte derjenigen eingreift, auf die sie angewendet werden. Hier sind insbesondere Patientenrechte und Datenschutz zu nennen. Die gleiche Liste hat eine ganz unterschiedliche Brisanz, je nachdem, ob es sich um eine Checkliste zur Gedächtnisstütze mit interner Verwendung handelt, um ein „Muster" oder ob damit in bestehende Rechte eingegriffen wird – wenn damit die Wahl des Geburtsortes behindert wird – oder ob sie eventuell von Hinz und Kunz eingesehen wird, wie die Befundliste im Mutterpass.

Unterschiedlich zu behandeln ist auch der Ort der Verwendung. Daher lassen sich die einzelnen Merkmale in der Geburtshilfe nicht beliebig von einem Ort auf den anderen übertragen. Im internationalen Vergleich sind die jeweiligen Bedingungen des Gesundheitssystems zu berücksichtigen, in dem ein Katalog entstanden ist.

So sind in einem Entwicklungsland große Qualitätsverbesserungen mit standardisierten Vorgehensweisen zu erwarten, wenn beispielsweise allen Frauen, die eine Blutung in der Anamnese aufweisen, kostenloser Zugang zum Gesundheitssystem gewährt wird, um die Müttersterblichkeit zu senken. Bei schon erreichter hoher Qualität ist eine Verbesserung eher zu erwarten, wenn weiter differenziert wird und individuelle Vorgehensweisen angewendet werden, die weitgehend die Wünsche und Präferenzen der Frau einbeziehen. Denn deren Beachtung hat einen hohen gesundheitsfördernden Wert und damit einen positiven Einfluss auf das Ergebnis (Lock & Gibb 2003; Steele 1995; Green et al. 1990; Simkin 1992).

 

Paradigmenwechsel

 

Nach sieben Jahren des bestehenden Vertrages zur Übernahme der Betriebskosten für Geburtshäuser wäre es durchaus an der Zeit, bestimmte Vorgaben auf ihre Praxistauglichkeit und ihren positiven Einfluss zu überprüfen, neue Entwicklungen einzubeziehen und den Vertrag gegebenenfalls zu überarbeiten.

In der klinischen Perinatalerhebung wird der Anteil der sogenannten Risikoschwangerschaften (Befund nach Katalog A oder B) mit 76,3 Prozent beziffert (AQUA-Institut 2014).

Die Einführung der „Ausschlusskriterien" hatte keinen wesentlichen Einfluss auf die von QUAG erhobenen Daten. Der Anteil der Schwangeren mit einem Befund nach Katalog A oder B ist von 2007 bis 2013 jedenfalls eher leicht gestiegen von 64,2 Prozent auf 66,5 Prozent (QUAG 2007 und 2013).

Fraglich ist, inwieweit die in Deutschland übliche inflationäre Risikoeinstufung überhaupt nützlich für die Entscheidung zum Geburtsort ist beziehungsweise ob sie einen prädiktiven oder therapeutischen Nutzen bringt. Fraglich ist auch, ob die Vergütungsverhandlungen den richtigen Rahmen bilden, um über fachliche Inhalte in der Hebammenarbeit zu entscheiden. Sinnvoller wäre eine fachliche Auseinandersetzung innerhalb der Berufsgruppe, zum Beispiel im Rahmen von QUAG und in der inzwischen gegründeten Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi).

Die Wahl des Geburtsortes ist eng verbunden mit der Wahlmöglichkeit zum Geburtsmodus und dem Mitbestimmungsrecht der Frau zur Vorgehensweise bei der Geburt. Das Qualitätsproblem und das Verbesserungspotenzial liegen derzeit eindeutig in den Rahmenbedingungen und im klinischen Bereich. Eine Kaiserschnittrate von über 30 Prozent und eine Interventionsrate von 90 Prozent – ohne nachweisbare Qualitätsverbesserung – sind ein Skandal. In der Gesamtversorgung der Geburtshilfe wäre es sinnvoll, sich von den antiquierten Katalogen auf „Risikobasis" zu lösen und sich zu fragen: Wie macht es eigentlich die Hebammen-Geburtshilfe, dass sie mit deutlich weniger Interventionen auskommt, bei gleichem Ergebnis? Hierzu gibt es inzwischen zahlreiche Belege und Möglichkeiten, die Qualität zu verbessern.

Zum Beispiel durch die Umsetzung des „Expertinnenstandards zur Förderung der physiologischen Geburt" oder durch Übernahme einiger der Empfehlungen aus den „Richtlinien des Royal College of Midwives für die von Hebammen geleitete Betreuung unter der Geburt", durch Förderung der Eins-zu-eins-Betreuung in der Klinik oder durch Förderung der Hausgeburt und der Geburt im Geburtshaus oder im Hebammenkreißsaal.

Statt Katalogen, die die Mehrheit der Frauen „ausschließt" oder ihnen Bedingungen diktiert, die für sie nicht akzeptabel oder nicht umsetzbar sind, stellt sich vielmehr die Frage, ob bei individualisierter Betreuung mit oder ohne Vorliegen von Befunden eine spontane Geburt ohne Interventionen zu erwarten ist, beziehungsweise wie diese erreicht werden kann. Das geltende Berufsrecht, verbunden mit einem sorgfältigen und vorausschauenden Umgang mit Befunden und Merkmalen, die mit einer erhöhten Gefährdung einhergehen können, bietet eine gute Basis für eine sichere Geburtshilfe mit hoher Zufriedenheit der Eltern.

Derzeit wird versucht, das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung zu beschneiden. Die Unterstützung durch Hebammen wird ihnen so weit erschwert, dass sie zu einer Alleingeburt gezwungen sind, wenn sie sich nicht den geltenden Zuweisungen und Standards unterwerfen wollen. Es bleibt zu hoffen, dass die Schiedsstelle im Rahmen der Gebührenverhandlungen zugunsten der Hebammen und Eltern entscheidet. Ansonsten droht ein längerer Kampf von Eltern und Hebammen gegen die weder fachlich noch juristisch zu rechtfertigende Bevormundung bei der Wahl des Geburtsortes.

Rubrik: QM, Politik & Gesellschaft | DHZ 08/2015

Literatur

Anlage 1 der Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen: in der Fassung vom: 20.9.2005 BAnz. Nr. 205 (S. 15 684) vom 28.10.2005 zuletzt geändert 20.11.2014 BAnz AT 18.12.2014 B4

AQUA-Institut: Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2013,16/1-Geburtshilfe, Qualitätsindikatoren (2014)

Bund Deutscher Hebammmen e.V.(Hrsg.); Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V.(Hrsg.); Netzwerk zur Förderung der Idee der Geburtshäuser in Deutschland e.V. (Hrsg.): Hebammengeleitete Geburtshilfe, Empfehlungen und Auswahlkriterien zur Wahl des Geburtsortes. 2. Auflage. Karlsruhe (2002)
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