Ein Schiff, das sich Familie nennt

  • Birgit Heimbach, Hebamme, Redakteurin und Illustratorin

  • Vor 30 Jahren studierte ich für meine spätere Tätigkeit als Hebamme im Nebenfach Familiensoziologie. Ich lernte: Die Kernfamilie ist eine auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau, mit einem gemeinsamen Haushalt, mit mindestens einem Kind. Typisch war damals die vierköpfige Kleinfamilie. Mutter und Kinder lebten als häusliche Einheit, während der Vater, eher dominant, als Alleinverdiener außerhalb der privaten Kajüte das Steuer in der Hand hielt und sein Boot auf Kurs hielt. Unangenehm stieß mir die beschriebene Tendenz dieser Familien auf, sich von der Gesellschaft abzukoppeln und allein im eigenen kleinen See zu dümpeln. Sobald ein Kind geboren wurde, wurde der Außenkontakt vermindert. Mütter wirkten isoliert.

    Diese Seminare waren für mich als angehende Hebamme samt eigenem Kinderwunsch desillusionierend. Gab es keine andere Lebensform mit Kindern? Die Großfamilie von früher schien auch nicht »wie Bullerbü« gewesen zu sein. So untersuchte ich die Sozialisation in Wohngemeinschaften, las etwa die Soziologin Prof. Dr. Gudrun Cyprian, die 1978 diese Lebensform aufgrund der erweiterten Erfahrungen mit mehreren Bezugspersonen als besonders gut für Kinder einstufte. Eigene Erfahrungen zeigten mir aber, dass diese Lebensform auch nicht gerade einfach war.

    Wie viele andere gründete ich eine »Normalo-Kleinfamilie«, aber bewusst mit drei Kindern und den für heute typischen Vorzeichen: berufstätig bleibend, mit vielen Außenkontakten und gleichberechtigt mit meinem Partner. Aus dem See wurde ein Meer mit vielen Bootsstegen zum Anlegen.

    Manche Patchworkfamilien scheinen mir heute dieser lebendigen Vielfalt nahe zu kommen, die ich mir damals in Wohngemeinschaften ideal vorstellte. In diesen Stieffamilien leben oft Kinder aus mindestens drei Elternkonstellationen, die zeitweilig auch in ihren »anderen« Familien wohnen. Es hört sich bunt und lebendig an, wenn nach traurigen Trennungen ein neues Wir-Gefühl entstanden ist. Da ist beispielsweise diese siebenköpfige Familie: Die Mutter eines Kindes, extrem früh verwitwet, heiratet einen geschiedenen Mann mit zwei Kindern. Es folgt ein gemeinsames Kind, die Schwester des Mannes zieht nebenan ein, mit offener Tür. Alle versammeln sich um den Ofen in der Mitte der Wohnung. Zufriedenheit ist spürbar. Und: Ein Ach gibt es unter jedem Dach!

    In neuen Familienkonstellationen tauchen besonders anfangs oft kräftezehrende Situationen auf. Bei Seenot können Hebammen helfen, den Kurs zu halten.