Wie lässt sich ein Tanz dokumentieren?

  • Peggy Seehafer, Hebamme, Anthropologin und Redakteurin: »Hebammen haben einen reichen Schatz an Erfahrungswissen, den es zu heben und zu bewahren gilt. Das heißt aber auch, ihn systematisch aufzuzeichnen.«

  • Die aktive Geburtsphase eines ersten Kindes dauert etwa zwölf Stunden. Dokumentiert wird aber lediglich die Körperposition der Frau beim Austritt des Kindes, also in den letzten fünf bis zehn Minuten. Und diese bilden dann die Grundlage aller Diskussionen darüber, wie die Gebärhaltung den Geburtsverlauf beeinflusst.

    Bei der Beschreibung von Gebärpositionen wird Bewegung in Sprache übersetzt. Wir reduzieren dabei fünf Dimensionen, die dreidimensionale Bewegung im Raum und im Zeitverlauf, innerhalb eines bestimmten Geburtsabschnittes auf eine sprachliche Beschreibung. Versuchen Sie das mal mit einem Tanz und zwar so, dass die oder der Lesende die Bewegungen anschließend identisch nachtanzen kann. Das kann nur mit Verlusten einhergehen. Das bessere Medium wäre hier vielleicht ein 3D-Film. Choreografen arbeiten mit ihren TänzerInnen durch Zeigen und Nachahmen. Im direkten Kontakt mit der Gebärenden ist das auch die tägliche Aufgabe einer Hebamme.

    Im wissenschaftlichen Kontext muss präzise beschrieben werden, was gemeint ist, wenn über die dokumentierten Haltungen und das daraus resultierende Outcome diskutiert wird. Alle vorhandenen Studien müssen daraufhin neu bewertet werden. Bespielweise sind Austreibungsphase und Pressphase in Deutschland nicht identisch, in anderen Ländern wie zum Beispiel den USA schon. Dort werden die Frauen ab vollständigem Muttermund zum aktiven Mitschieben angeleitet. Es müssen dringend neue Studiendesigns und Beschreibungen entwickelt werden. Die altmodische Unterscheidung zwischen Durchtritts- und Austrittsphase könnte schon helfen, so wie auch neuerdings wieder zwischen Latenzphase und aktiver Eröffnungsphase unterschieden wird.

    Hebammen haben einen reichen Schatz an Erfahrungswissen, den es zu heben und zu bewahren gilt. Das heißt aber auch, ihn systematisch aufzuzeichnen und wissenschaftlich zu überprüfen. Gegebenenfalls wird man feststellen, dass die eine oder andere Vorstellung schön, aber nicht evidenzbasiert ist.

    Alles, was die Natur nicht alleine macht, ist eine Intervention. Auch die Lagerung oder Empfehlung zu einer bestimmten Körperposition, die die Frau nicht von selbst einnimmt. Interventionen erfordern das Einverständnis der Gebärenden und setzen eine informierte Entscheidung voraus. Die Begründung und Aufklärung für bestimmte Empfehlungen bedürfen noch einiger wissenschaftlicher Aufmerksamkeit und sind dankbare Themen für kommende Bachelor- oder Masterarbeiten.

    Peggy Seehafer