Menschenwürdig
Das Nationale Gesundheitsziel »Gesundheit rund um die Geburt« wurde 2017 vom Bundesministerium für Gesundheit verabschiedet. Seine Umsetzung steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2021. Der von einem Expert:innengremium auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse formulierte Maßnahmenkatalog zur Reduktion von Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen und Stärkung der Gesundheit von Frauen, Kindern und Familien ist beeindruckend.
Gleichzeitig hat sich die Krise in der Geburtshilfe in den vergangenen fünf Jahren verschärft und die Schwangerenvorsorge ist weiterhin in vielen Aspekten orientiert an der Pathologie. Die Anzahl der Kliniken mit geburtshilflichen Abteilungen hat sich innerhalb von 20 Jahren fast halbiert und die Schließungen gehen weiter. Der geburtshilfliche Alltag ist durch hohe Interventionsraten und Fachkräftemangel gekennzeichnet – mit dramatischen Auswirkungen für die geburtshilfliche Versorgung. Gegen den grundlegenden Wert des Nationalen Gesundheitsziels »Menschenwürdig gebären und geboren werden« wird jeden Tag unzählige Male verstoßen. Dabei wird die Expertise, was gesundheitsförderlich ist, zunehmend in neue Leitlinien aufgenommen.
Noch immer ist in den Medien die Rede vom Hebammenmangel. Doch zunehmend wird auch die bittere Wahrheit beschrieben: Hebammen verlassen die Geburtshilfe und frisch ausgebildete Hebammen entscheiden sich gegen eine Tätigkeit im Kreißsaal – teilweise ganze Jahrgänge. Nicht, weil sie keine Geburten begleiten wollen, sondern weil die Erfahrungen aus der klinischen Ausbildung ihren Werten diametral entgegenstehen.
Nichts erscheint dringender als die Forderung nach einem grundlegenden Wandel unserer Geburtskultur. Die Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels muss massiv und laut eingefordert werden. Dafür braucht es breiten gesellschaftlichen Konsens und einen Nationalen Geburtshilfegipfel, wie ihn der Arbeitskreis Frauengesundheit im Bündnis mit einer Reihe von weiteren Organisationen wie der Elterninitiative Motherhood, dem Deutschen Hebammenverband (DHV) und der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi) fordert. Eine Geburtshilfe, bei der die Salutogenese im Zentrum steht, muss zur gesicherten Regelversorgung gehören und leistungs- und bedarfsgerecht vergütet werden.
Es gibt Beispiele, die Mut machen und zeigen, wie es gut funktionieren kann. Es gibt Orte, wo Frauen selbstbestimmt gebären und Hebammen ihre Profession und ihre Berufung in ihrer Vielfalt leben und interdisziplinär kooperieren. Da, wo Hebammen eigenverantwortlich und in Betreuungskontinuität arbeiten können, werden sie auch in Zukunft tätig sein wollen. Die größte Energie für das gemeinsame Engagement entspringt aus der existenziellen Dimension, die diese Aufgabe auszeichnet: das Privileg, den Anfang zu begleiten und ihn zu beschützen.
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