Wo die Schweigepflicht endet
Genauso alt wie die Verpflichtung zur Verschwiegenheit für bestimmte Berufsgruppen ist die rege Diskussion darüber, welche GeheimnisträgerInnen unter welchen Umständen berechtigt oder verpflichtet sind, ihnen anvertraute Geheimnisse zu offenbaren. Je nach Zeitalter, Gesellschaftsform und Grad der Freiheit in einem Staat wandeln sich die Regelungen dazu.
Als Geheimnis im Sinne des Gesetzes gilt schon der Umstand, dass eine Frau überhaupt eine Hebamme in Anspruch nimmt. Es ist daher nicht möglich, mit der Betreuung einzelner Frauen (beispielsweise Prominenter) zu werben. Die Veröffentlichung von Dankesschreiben oder einer Geburtsgalerie auf der Homepage bedarf des Einverständnisses der benannten oder abgebildeten Personen, am besten schriftlich. Unkritisch ist ein „Gästebuch", in dem die Frau selbst entscheidet, was sie veröffentlicht.
Das Patientenrechtegesetz ist erst 2013 in Kraft getreten und konkretisiert Regelungen, die bislang verstreut in Gesetzestexten standen und im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 630a bis h) zu finden sind. Daraus geht hervor, dass die Frau folgende Rechte hat:
- Anfertigung einer Dokumentation durch die Behandelnden (als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag)
- umfassende Aufklärung
- jederzeitige Einsichtnahme in ihre Akte (siehe auch DHZ 11/2012, Seite 42ff.).
Vier Ausnahmen
Die Frau hat nach den Datenschutzbestimmungen das Recht, darüber zu bestimmen, welche Angaben über sie erfasst, gespeichert oder weitergegeben werden, sofern dies nicht anderen Gesetzen entgegen steht (zum Beispiel Meldewesen). In bestimmten Fällen kann sie eine Berichtigung, Sperrung oder Löschung von Daten verlangen (§ 84 SGB X).
Es gibt vier Ausnahmen, unter denen eine Hebamme berechtigt ist, Geheimnisse und Daten zu offenbaren, ob mündlich, schriftlich oder durch Einsichtnahme.
Die Einwilligung der Frau
Mit Einwilligung der Frau können Hebammen die erforderlichen Informationen an mit- und weiterbetreuende Personen oder Institutionen weitergeben. Um die Datensparsamkeit zu gewährleisten, werden die eigenen Aufzeichnungen nicht einfach kopiert, sondern es erfolgt eine auf das Wesentliche reduzierte Zusammenfassung. Formulare helfen, sich auf das Wesentliche zu beschränken und gleichzeitig nichts zu vergessen. Möglich ist beispielsweise ein Übergabebericht an die Klinik für verlegte Hausgeburten oder Neugeborene, an eine Vertretungshebamme oder den Kinderarzt.
Es wird immer wieder diskutiert, ob diese Einwilligung schriftlich erfolgen muss oder ob sie mündlich genügt. Bei ÄrztInnen wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass eine Patientin stillschweigend mit der Befundübermittlung einverstanden ist, wenn zuvor eine Überweisung erfolgt war. Obwohl es immer noch so üblich ist, ist in § 73 Abs. 1b SGB V ausdrücklich die schriftliche Einwilligung mit Widerrufsmöglichkeit als gesetzliche Vorgabe vorgesehen. Das Formular zur Einwilligung muss eine „Widerrufsbelehrung" enthalten. Ist eine schriftliche Einwilligung nicht möglich (unter anderem bei plötzlicher Krankheit der Hebamme oder telefonischer Empfehlung, eine Kinderklinik aufzusuchen bei Verdacht auf Eilbedürftigkeit), sollte die Hebammen die mündliche Einwilligung einholen und in der eigenen Dokumentation notieren, sofern eine direkte Kommunikation unter den an der Betreuung Beteiligten überhaupt möglich und zweckmäßig ist.
Die mutmaßliche Einwilligung
Die mutmaßliche Einwilligung kann angenommen werden, wenn es sich um einen Notfall handelt, in dem die Frau selbst nicht in der Lage ist einzuwilligen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn eine Frau in einem Geburtsvorbereitungskurs bewusstlos wird oder krampft. Neben der Ersthilfe könnte die Hebamme hier auch wichtige Informationen wie Medikation oder anamnestische Hinweise an den Notdienst geben, die ihr aus der Schwangerenvorsorge bekannt sind. In Entscheidungen zum mutmaßlichen Willen der Frau ist jedoch unbedingt der vorher bekannte Willen einzubeziehen.
Beispiel: Eine Frau, die bereits drei Sectiones hatte, hat beim Geburtsplanungsgespräch eine angebotene Sterilisation abgelehnt. Sie wird vor der geplanten Sectio mit Verdacht auf Uterusruptur eingeliefert und erhält eine Notsectio. Die Einwilligung zur Notsectio kann angenommen werden. Zu mutmaßen, sie würde aufgrund des Vorfalls nun doch einer Sterilisation zustimmen, entspricht nicht ihrem vorher erklärten Willen. Dies steht einer Tubenligatur entgegen, da diese aufschiebbar ist, bis die Patientin wieder selbst entscheiden kann.
Gesetzlich geregelte Offenbarungsbefugnisse
Die Übermittlung abrechnungsrelevanter Daten an die gesetzliche Krankenkasse bedarf bei den Versicherten keiner gesonderten Einwilligung. Im Sozialgesetzbuch ist allerdings genau beschrieben, welche Informationen dazu zählen. Die Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen ist nur möglich durch Beauftragung des medizinischen Dienstes der Krankenkassen, nicht jedoch durch SachbearbeiterInnen der Krankenkassen.
Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes zur Geltendmachung eigener Ansprüche gegenüber privat Versicherten verstößt ebenfalls nicht gegen Datenschutz und Schweigepflicht. Tritt die Hebamme hingegen als Zeugin in einem Gerichtsverfahren auf, so kann sie ohne Entbindung von der Schweigepflicht durch die Frau nur von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 der Strafprozessordnung (StPO) Gebrauch machen.
Gesetzliche Meldepflichten stehen über der Geheimhaltungsverpflichtung. Dies betrifft:
- Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz
- standesamtliche Meldung
- Meldepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt aufgrund landesrechtlicher Vorschriften, die in der jeweiligen Berufsordnung beschrieben sind
- Anzeigepflicht für geplante Straftaten nach § 138 Strafgesetzbuch (StGB).
Die Anzeigepflicht nach § 138 besteht nur für die Kenntnis glaubhaft geplanter schwerer Straftaten wie Mord, Brandstiftung, Menschenraub, Geiselnahme, Raub, Sprengstoffattentate und mehr. Die Kenntnis anderer Straftaten wie Sozialbetrug, Drogenhandel, Diebstahl oder Ordnungswidrigkeiten, von denen die Hebamme erfährt, berechtigt jedoch nicht zum Bruch der Schweigepflicht.
Rechtfertigender Notstand
Der rechtfertigende Notstand als Entschuldigungsgrund für das Begehen einer Handlung, die an sich strafbar ist, wurde erst 1975 ins Gesetzbuch aufgenommen. Sie richtet sich nicht explizit an Personen, die zur Geheimhaltung verpflichtet sind, sondern ist auf alle Lebensbereiche anwendbar. Der Gesetzestext dazu ist kurz, aber schwer verständlich (siehe Kasten). Er besagt, dass ein Rechtsbruch straffrei bleiben kann, wenn er ein angemessenes Mittel ist, um eine konkrete Gefahr abzuwenden, sofern keine legale Möglichkeit besteht.
§ 34 (StGB) Rechtfertigender Notstand
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Wer beispielsweise einen Wasserschaden verursacht, um einen Brand zu löschen, handelt nicht rechtswidrig. Ein typisches Beispiel für den rechtfertigenden Notstand in der Hebammenarbeit kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr sein, wenn eine Hebamme nachts zur Geburt gerufen wird. Handelt es sich um eine geringe Überschreitung, ohne dass Dritte dadurch gefährdet werden, und war tatsächlich Eile geboten, so fällt der Sachverhalt unter den Begriff des rechtfertigenden Notstandes. Fährt die Hebamme hingegen vormittags in einer ausgewiesenen Schulzone deutlich schneller zu einer Geburt, die dann tatsächlich erst viel später stattfindet, so gibt es einen großen Ermessensspielraum, ob die Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu einer Straffreiheit führt.
Hier sind viele Variablen, die zugunsten oder zu ungunsten der Hebamme interpretiert werden können. Schwierig daran ist, dass grundsätzlich eine Abwägung unterschiedlicher Interessen stattfinden muss, die individuell unterschiedlich ausfallen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass man nachher immer schlauer ist, die Entscheidung jedoch in der akuten Situation treffen muss.
Was § 34 StGB konkret für den Einzelfall bedeutet, wurde durch zahlreiche Gerichtsurteile bestimmt, die sich jedoch nur bedingt auf ähnliche Fälle übertragen lassen. Im Bereich der Kindswohlgefährdung blieben viele Fragen zur praktischen Umsetzung offen. Abhilfe sollte das 2012 verabschiedete Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) schaffen, das nicht nur für Familienhebammen gilt, sondern für alle Beteiligten im System der Jugendhilfe und der Gesundheitsversorgung, deren Arbeit den Kinderschutz berührt. Dessen Umsetzung unter den Bedingungen der Verschwiegenheitsverpflichtung wird in einem folgenden Beitrag erläutert.
Organisation
Hebammen müssen ihre Tätigkeit so planen und organisieren, dass sie dabei die Bestimmungen zu Schweigepflicht und Datenschutz berücksichtigen. Die Tabelle zeigt das Beispiel einer Checkliste. Diese muss an die persönlichen Umstände und Tätigkeitsfelder angepasst werden.
Die Information der Frauen kann im Gespräch, durch entsprechende Passagen im Behandlungsvertrag und/oder durch einen Flyer erfolgen. Ein Beispiel für ein Faltblatt für eine Arztpraxis gibt es hier: https://www.datenschutzzentrum.de/download/arztpr_fl.pdf
Eine besondere Herausforderung stellt der Umgang mit dem Computer dar. Wird der Computer durch Fachkräfte repariert oder gewartet, so muss sichergestellt sein, dass kein Zugriff auf geheime Daten möglich ist. Eine einfache Möglichkeit besteht darin, persönlich dabei zu bleiben, während Fremde mit dem Computer arbeiten. Ist dies nicht möglich, so müssen alle personenbezogenen Daten entfernt werden, bevor der Computer in fremde Hände gegeben wird. Zum Thema Datenschutz bei der Computernutzung ist eine individuelle Beratung zu empfehlen.
Besondere Dokumentation
Die Verpflichtung der Hebamme zu einer umfangreichen Dokumentation und die datenschutzrechtliche Pflicht zur Datensparsamkeit können ebenso im Widerspruch zueinander stehen, wie das Recht der Frau auf Selbstbestimmung in der Verwendung ihrer Daten mit dem Anspruch der Hebamme auf eine vollständige Übergabe.
Hebammen erfahren immer wieder von Umständen, bei denen die Frau eine über die üblichen Bestimmungen zur Schweigepflicht hinausgehende Geheimhaltung erwartet. Solche Umstände können sowohl allgemeiner Natur sein: Der mutmaßliche Vater soll beispielsweise nicht wissen, dass noch ein weiterer Mann für die Vaterschaft in Frage kommt, oder dass die Frau in der Vergangenheit bereits ein Kind zur Adoption freigegeben hat, oder Missbrauchs- und Gewalterfahrungen. Sie können auch die medizinische Anamnese betreffen, etwa Schwangerschaftsabbrüche, Geschlechtskrankheiten oder psychische Störungen.
Offenbart die Frau Geheimnisse, die nicht aktenkundig werden sollen, so darf die Hebamme diese auch nicht in die Akte der Frau aufnehmen.
Beispiel: Eine Frau, die sich zu einer Hausgeburt angemeldet hat, möchte von der Hebamme wissen, ob ein bislang von ihr nicht angegebener Schwangerschaftsabbruch einer Hausgeburt entgegensteht. Sie möchte jedoch nicht, dass dieser Umstand in der Verlegungsklinik bekannt wird, weil sie dort selbst arbeitet. In diesem Fall erfolgt die Aufklärung über mögliche Konsequenzen des Abbruchs und des Verschweigens für die Geburt. Bleibt die Frau dabei, dass der Abbruch nicht aktenkundig werden soll, so kann er auch nicht dokumentiert werden. Mit dem Einverständnis der Frau kann im Mutterpass und in der Akte der Frau eine Fehlgeburt dokumentiert und auch für den Fall einer Weiterbetreuung an die Klinik übergeben werden. Die Dokumentation des Gespräches und der Aufklärung erfolgt in den persönlichen Aufzeichnungen der Hebamme.
Solche persönlichen Aufzeichnungen sind für alles möglich, was nicht in der Akte dokumentiert wird oder was Personen nicht zugänglich sein soll, die Rechte auf Einsichtnahme in die Akte haben. Hierzu zählen unter anderem die Frau selbst und der medizinische Dienst der Krankenkassen.
Zu den persönlichen Aufzeichnungen gehören auch Protokolle von Fallbesprechungen im Hebammenteam, Gedächtnisprotokolle von schwierigen Situationen und Notizen der Hebamme, die sie sich aus sonstigen Gründen anfertigt (Eigenreflexion, Mutmaßungen). Die persönlichen Aufzeichnungen werden getrennt von der Akte aufbewahrt und müssen nicht an andere herausgegeben werden (beispielsweise bei einer Beschlagnahmung der Akten im Rahmen eines Strafprozesses).
Literatur
Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (PatRechteG k.a.Abk.): G. v. 20.2.2013 BGBl. I S. 277; Geltung ab 26.02.2013 http://www.buzer.de/s1.htm?a=&g=PatRechteG (letzter Zugriff: 20.11.2014)
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): neugefasst durch B. v. 2.1.2002 BGBl. I S. 42, 2909; 2003, 738; zuletzt geändert durch Artikel 1 G. v. 22.7.2014 BGBl. I S. 1218; Geltung ab 1.1.1964 (letzter Zugriff: 20.11.2014)
Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG): G. v. 22.12.2011 BGBl. I S. 2975; Geltung ab 1.1.2012
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