Im ethischen Konfliktfeld arbeiten

Den späten Abbruch zu begleiten ist eine der größten Herausforderungen für die Berufsgruppen in der Geburtshilfe. Bei dieser Arbeit gibt es keine einfachen Lösungen. Im Prozess der Entscheidung gegen das Leben ihres Kindes haben die Eltern nach dem Schock der Diagnose ein Dilemma durchlebt. Dabei sind sie durch viele Abgründe gegangen. Ihnen in diesem Prozess alle nur möglichen Hilfen durch Beratung und Unterstützung an die Hand zu geben, die Zeit zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um eine Entscheidung zu treffen, mit der sie irgendwann gut weiterleben können, ist die Aufgabe einer pränataldiagnostischen Abteilung, die nicht nur Diagnosen stellt, sondern auch Wege aufzeigt, damit umzugehen.

Weitaus mehr als bei anderen Aufgaben sind die Begleitenden hier in ihrer ganzen Persönlichkeit gefordert. In diesem Prozess geht es auch um die eigenen Werte und die Verantwortung sich selbst gegenüber. Diese Begleitungen gehen unter die Haut und viele Geschichten werden nie vergessen. Hier stellen sich viele Fragen: Was schulde ich denen, die in ihrer Not meine Fürsorge brauchen? Was schulde ich mir selbst? Und was heißt Professionalität in diesem Kontext?

„Ich muss neutral sein.“ Immer wieder höre ich diesen Satz, wenn es um die Frage der „richtigen“ Begleitung geht. Aber niemand ist neutral. Und Neutralität ist es gerade nicht, was Eltern in dieser Situation brauchen. Sie brauchen vielmehr Authentizität und Mitgefühl. Dies können wir nur geben, wenn wir mit unserer ganzen Person präsent sind. Nicht „wertfreie“ Begleitung, sondern eine nicht wertende Begleitung ist es, die hier gefordert ist. Nur wenn wir als Menschen da sind, verlassen wir die Eltern nicht. Und nur, wenn wir uns selbst nicht verlassen, werden wir den Eltern beistehen können. Deshalb ist es wichtig, dass diese Begleitung freiwillig geschieht und niemand dazu gezwungen wird.

Während die Eltern heute in vielen Kliniken ein breites Spektrum von Hilfen durch Psychologinnen, Beraterinnen und Seelsorgerinnen sowie durch hilfreiche Rituale erhalten können, ist die Fürsorge für die Begleitenden in der Geburtshilfe oft mangelhaft. Oft ist eine Unterstützung zwar möglich, aber sie ist optional und nicht fest etabliert, zum Beispiel als verpflichtende Teamsupervision in der Dienstzeit.

Das Dilemma des späten Schwangerschaftsabbruchs wird bleiben, solange Praxis und Gesetzgebung sich nicht ändern. Und während andere nur darüber sprechen und die Medizintechnologie sich weiter entwickelt, müssen die beteiligten Berufsgruppen entscheiden, ob sie etwas tun oder unterlassen. Geschlossene Systeme, wie eine klinische Abteilung, entwickeln ihre eigene Moral. Diese muss immer wieder durch den Blick von außen korrigiert werden. Nur wenn alle Beteiligten bereit sind, das ethische Dilemma anzuerkennen und sich selbst immer wieder den Wertekonflikten zu stellen, können wir hoffen, dass nicht eine eigene Dynamik dazu führt, dass Grenzüberschreitungen unhinterfragter Alltag werden.

Rubrik: DHZ 02/2016

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