Nach 48 Stunden ist alles vorbei?

Die meisten Wöchnerinnen erholen sich nach der Geburt schnell von einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung. Doch damit sind sie noch lange nicht wieder gesund. Diese jungen Mütter angemessen zu betreuen, ist für Hebammen eine anspruchsvolle Aufgabe. Christiane Borchard

In sechs bis acht Prozent aller Schwangerschaften treten hypertensive Erkrankungen (HES) auf. Sie sind entscheidend verantwortlich für maternale Morbidität und Mortalität. Die postpartale Begleitung betroffener Frauen wird in den zahlreichen Veröffentlichungen eher randständig thematisiert. Sie beinhaltet zumeist die Empfehlungen zur Betreuung im Wochenbett aus der AWMF-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen (siehe Tabelle). Die Leitlinie endet aber mit der Entlassung aus der Klinik und den Empfehlungen für die späteren Konsultationen bei niedergelassenen FrauenärztInnen, HausärztInnen oder InternistInnen.

 

Risiken im Wochenbett

 

Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen können zu einem breiten Spektrum an Komplikationen in der ersten postpartalen Zeit bis hin zu lebenslangen erhöhten Risiken für die mütterliche Morbidität führen (AWMF 2013; Schausberger et al. 2013; Kanonir2017). Zwar liegt der Beginn der Erkrankung in der Schwangerschaft, doch ist mit der Geburt die Gefahr noch nicht gebannt. Ein postpartales HELLP-Syndrom tritt in 7 bis 30 % der Fälle auf, eine postpartale Eklampsie bei bis zu 28 %. Diese Erkrankungen führen zu eindeutig schlechteren Prognosen als die antepartalen Verläufe, da sie in bis zu 15 % der Fälle unerwartet rasch und ohne ausgeprägte vorherige Warnsymptome in den ersten 48 Stunden postpartal auftreten (Kühnert 2016; Hinksen 2013). Sie führen teilweise zu schwerwiegenden Komplikationen wie Niereninsuffizienz, akutem Lungenödem oder disseminierter intravasaler Gerinnung, die eine intensivmedizinische Behandlung erfordern (Kühnert 2016; Hinksen 2013; Kanonir 2017).

Daher ist die Fortsetzung der intensivierten Überwachung der Wöchnerin im frühen Wochenbett auch zu Hause unerlässlich. Dazu zählen die Blutdruckkontrollen und das rechtzeitige Wahrnehmen von frühen Symptomen wie anhaltendem Kopfschmerz, Erbrechen, Sehstörungen, Atemnot und Abdominal­schmerz bei den Frauen (Hinksen 2013; Schausberger et al. 2013).

 

Was könnenHebammen tun?

 

Obwohl sich die meisten Wöchnerinnen anscheinend in den ersten Tagen postpartal erfreulich gut erholen, sind sie noch lange nicht wieder gesund. Sie sind Patientinnen und es gehört es zu den wesentlichen Aufgaben der Hebammen, den Prozess der Genesung aufmerksam zu begleiten. Weil Frauen dazu neigen, nach der Entlassung ihre Bedürfnisse hintan zu stellen und sich auch nicht länger krank fühlen mögen, ist die Umsetzung in die Praxis nicht so einfach. So beschreibt eine Mutter im Forum der Gestose-Betroffenen ihre Situation nach der Geburt: »Nach der Entlassung aus der Klinik wollte ich nur mein Babyglück genießen, so habe ich viele Warnzeichen über Jahre verdrängt. Hätte ich die Spätfolgen mehr im Blick gehabt, wäre mir wohl einiges erspart geblieben. Doch ich wollte nicht, bezogen auf meine Gesundheit, überängstlich sein und damit mein Kind und meinen Partner nicht belasten.«

Eine psychosomatische Betreuung durch die Hebamme umfasst gleichermaßen körperliche wie seelische Belastungen, als auch die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen der Frau. Sie ermöglicht ihr die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit ambivalenten Gefühlen und Gedanken. Die Hebamme als ausgebildete Fachkraft eines Gesundheitsberufes arbeitet dabei auf drei Ebenen:

 

Biologisch-medizinische Ebene:

 

  • Beschwerden und Schmerzen der Mutter im gesamten Zeitfenster der Begleitung erfragen und bewerten
  • alle messbaren Kriterien erheben und bewerten, zum Beispiel tägliche Blutdruckmessungen in den ersten zehn Tagen beziehungsweise bei Entlassung mit Werten zwischen 140/90 mmHg und 150/100 mmHG viermal täglich, Selbstmessungen mit Protokoll
  • bei anhaltend hohen Werten Weiterleitung mit schriftlicher Mitteilung der Hebamme zum Facharzt (GynäkologIn, Hausarzt/Hausärztin, InternistIn).

 

Psychische Ebene:

 

  • Unterstützung zur Akzeptanz und Integration des Erlebten in den neuen Alltag als Mutter
  • Wahrnehmen und Handeln bei Stimmungsschwankungen und psychischen Störungen
  • bei Bedarf frühzeitig Screeningbögen einsetzen, zum Beispiel EPDS, Angst-Depression und Stress-Skala – mit den Anzeichen einer PTBS gut vertraut sein.

 

Soziale Ebene:

 

  • für Unterstützung und Verständnis im privaten sozialen Umfeld sorgen
  • Unterstützung beim Aufbau einer neuen Tagesstruktur mit ausreichenden Erholungsphasen
  • erste Information und Beratung zur Selbsthilfe, zum Beispiel AG Gestose-Betroffener e.V.

 

Herausforderungen im frühen Wochenbett

 

Die intensive Betreuung der Hebamme kann in der Praxis durchaus zu Konflikten führen: Wenn die Wöchnerin sich nichts sehnlicher wünscht als die Rückkehr in einen normalen Alltag ohne ständige Blutdruckkontrollen, fällt es der Hebamme mitunter schwer, sich gegen den Wunsch der Frau zu stellen. Zu einer professionellen Beziehungsarbeit gehört es auch, eigene ambivalente Gefühle wahrzunehmen und medizinisch sinnvolle Maßnahmen anzusprechen. Damit ermöglicht die Hebamme wiederum auch der Frau, ihre ambivalenten Gefühle wahrzunehmen.

Dies ist ein wesentlicher Eckpfeiler in der Hebammenarbeit, um die Frau auf dem Weg zur Selbsthilfe statt in die Verdrängung zu begleiten. Denn durch die Blutdruckmessung selbst wird keine Krankheit ausgelöst, sondern sie belegt messbar den Verlauf der Heilung oder Abweichungen und Stillstand.

Vor dem Hintergrund, dass erhöhte RR-Werte durch den sogenannten »Weißkittel Effekt« mittlerweile hinlänglich bekannt sind und in der diagnostischen Auswertung durch ÄrztInnen entsprechend berücksichtigt werden, wäre das Unterlassen der Messung eine kritische Intervention (Deutsche Hochdruckliga 2014). Selbstverständlich kann die Frau ihren Blutdruck auch selbst mit einfachen Handmessgeräten überprüfen, da es vorerst um eine Verlaufskontrolle geht. Oder der Vater übernimmt das Messen, zum Beispiel beim Känguruhen in der Kinderklinik.

 

Psychische Belastungen

 

Die Stimmung einer jungen Mutter offen anzusprechen, löst keine psychische Krise oder Störung aus, sondern deckt zusätzliche Belastungen auf. Ausblendung oder Verdrängung sind anfänglich oft schützende Faktoren. Wenn sie dauerhaft auftreten, sind sie meist ein Teil des Störungsbildes. Dies gilt es abzuklären, möglichst bevor psychische Stressoren massive körperliche Beschwerden oder soziale Konflikte hervorrufen.

So schildert eine Mutter im Forum ihr Leid mit immer häufigeren und plötzlich einsetzenden Panikattacken, die bei ihr ausgeprägte Seh- und Sprachstörungen auslösen, für die sich jedoch keine medizinischen Ursachen finden. Die Frau ist voller Selbstzweifel und berichtet von wachsenden Konflikten mit ihrem Partner, der »sie schon für verrückt hält«.

Massive Selbstvorwürfe und ausgeprägte Insuffizienzgefühle tragen im Wesentlichen zur Entstehung postpartaler Depressionen bei, die wiederum die Persönlichkeit, das Erleben und das Verhalten der Frauen negativ beeinflussen (Weimer 2007). Ebenso gelten dauerhafte Erschöpfung und Schlafmangel als wesentliche Auslöser seelischer Belastungen.

Enorm gestärkt werden kann das Wohlbefinden der Mütter jedoch, wenn sie sich ausreichende Erholungsphasen gönnen, auch im Verlauf des Tages. Dies gilt insbesondere für Mütter mit schweren HES-Verläufen, die oftmals nach einer Sectio viel Zeit auf der Intensivstation mit ihren frühgeborenen Kindern verbringen. Diese Mütter brauchen oft mehr Unterstützung, um ihre Ressourcen selbst im Blick zu behalten und gegebenenfalls Hilfen anzunehmen. Eine längere Pause über die Mittagszeit fördert ihre Erholung und Milchbildung. Entlastung können beispielsweise Absprachen mit Verwandten bieten, die Fahrdienste übernehmen, oder die Unterbringung in einem Familienzimmer auf dem Gelände der Klinik.

 

Fazit: ein gemeinsamer Weg

 

Die hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen und ihre postpartalen Folgen für Körper und Seele sind vielseitig und jede Frau leidet anders. Um die Genesung der Frau zu sichern, gehören zu den maßgeblichen Aufgaben einer Hebamme, sowohl das Trauma wahrzunehmen als auch basale Untersuchungen durchzuführen wie Blutdruckkontrollen und körperliche Untersuchungen. Mit der psychosomatischen Begleitung unterstützen Hebammen die Frauen, gemeinsam diesen Weg effektiv zu gestalten.

 

Diese Literatur sollten Hebammen für die postpartale Begleitung kennen:

 

  • AWMF Leitlinie: 015/018 – S1-Leitlinie: Diagnostik und Therapie hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen, aktueller Stand 12/2013
  • Leitlinie der deutschen Hochdruckliga: ESC POCKET GUIDELINES - Deutsche Hochdruckliga: www.hohdruckliga.de/tl.../2014_Pocket-Leitlinien_Arterielle_Hypertonie.pdf
  • Selbsthilfe: Arbeitsgemeinschaft Gestose-Betroffene e.V., www.präeklampsie-hellp.de
  • Peripartale psychische Störungen: Marcé Gesellschaft für Peripartale Psychische Erkrankungen e.V., www.marce-gesellschaft.de
  • Schatten und Licht e.V., Initiative peripartaler psychischer Erkrankungen: www.schatten-und-licht.de
  • Broschüre: Traumasensible Begleitung durch die Hebamme: www.hebammenverband.de/aktuell/standpunkte/empfehlungen/Broschüre

Rubrik: Wochenbett | DHZ 05/2018

Literatur

Hinkson L: Eklampsie: Wissen und Schnelligkeit schützen vor Schäden. Hebammenforum 2013. 14: 810–816

Kanonir AM: Maternale Komplikationen im Wochenbett nach Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom. Eine retrospektive Datenanalyse. Medizinische Universität Graz 2017. https://online.medunigraz.at/mug_online/wbAbs.showThesis?pThesisNr=52705&pOrgNr=1&pPersNr=51978, zuletzt (letzter Zugriff: 27.2.2018)

Kühnert M: Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen. https://www.laekh.de/images/Hessisches_Aerzteblatt/2016/11_2016/CME_2016_11_ (letzter Zugriff: 27.2.2018)
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