Sphinkterverletzungen

Erkennen, versorgen, respektieren

Verletzungen des Musculus sphincter ani können Frauen ein Leben lang schwerst beeinträchtigen. Zu Schmerzen und praktischen Herausforderungen kommen Gefühle des Versagens, sozialer Isolation und Ablehnung hinzu. Deshalb ist es wichtig, Dammrisse richtig zu diagnostizieren und bestmöglich zu versorgen. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sieht zusätzliche Nachuntersuchungen vor. Peggy Seehafer
  • Die Naht von Sphinkterverletzungen setzt ausführliches Simulationstraining voraus. Hier die Gyn­Zone DozentInnen Karl Møller Bek, Urogynäkologe, und Sara Kindberg, Hebamme, beim Workshop mit AssistenzärztInnen.

  • Der interne Sphinkter (weiß) dieses Schweine-Anus wurde mit zwei Allis-Klemmen gefasst und fortlaufend vernäht. Der externe Sphinkter (rosa) klafft noch offen. Der Anus des Schweins ist im Aufbau dem menschlichen sehr ähnlich und eignet sich deshalb besonders gut zum blutfreien Üben.

Weltweit schwanken die Zahlen für Geburtsverletzungen III. und IV. Grades zwischen 0,6 und 9 %, bei Erstgebärenden liegt der Anteil zwischen 3 und 17 % (Keriakos & Gopinath 2015). Dabei sind asiatische Frauen überdurchschnittlich häufig repräsentiert.

Sphinkterverletzungen werden in verschiedene Grade eingeteilt (RCOG 2015):

  • III a: Weniger als 50 % des externen analen Sphinkters sind verletzt.
  • III b: Mehr als 50 % des externen analen Sphinkters sind verletzt; das heißt, er könnte komplett zerrissen sein, aber der interne Sphinkter steht noch.
  • III c: Zusätzlich zum externen Sphinkter ist der interne Sphinkter verletzt.
  • IV: Zusätzlich zum Sphinkterkomplex ist die anorektale Schleimhaut mit eingerissen (siehe Abbildung 1 und 2).

Abbildung 1: Dammriss Grad IIIb – der externe Sphinkter ist vollständig gerissen, der interne Sphinkter ist intakt.

Abbildung 2: Dammriss Grad IV – der externe und der interne Sphinkter sind vollständig gerissen, zusätzlich reicht der Riss bis in die Darmschleimhaut.

In Deutschland wurde 2016 bei fast 10.000 Frauen eine Sphinkterverletzung nach der Geburt diagnostiziert. Bei spontanen Geburten in der Klinik lag die Rate bei 1,36 % und bei vaginal-operativen Geburtsbeendigungen bei 5,73 %. In der außerklinischen Geburtshilfe lag die Rate bei 1 %. Bei Spontangeburten ohne Episiotomie kommen Verletzungen des Sphinkters nicht einmal halb so oft vor wie mit Episiotomie (1,12 vs. 2,64 %) (IQTIG 2017, QUAG 2017).

 

Risikofaktoren

 

Für die folgenreichen großen Sphinkterverletzungen liegen empirisch nachgewiesene Risikofaktoren vor (RCOG 2015). Dazu gehören:

  • instrumentelle Geburtsbeendigung
  • anhaltende occipitoposteriore Einstellung (hi. HHL, Deflexionhaltungen)
  • Geburtsgewicht über 4.000 g
  • Erstgebärende
  • Geburtseinleitung
  • Periduralanästhesie
  • prolongierte Austreibungsperiode über zwei Stunden
  • Schulterdystokie
  • mediane Episiotomie
  • Steinschnittlage
  • unabgestimmtes Kristellern
  • zu frühes Mitpressen
  • aktives Zurückhalten des Kopfes bei der Austrittsbewegung
  • Terminüberschreitungen
  • aisatische Ethnizität.

Neu sind Diskussionen, ob der Wehentropf möglicherweise auch zu schwereren Geburtsverletzungen führt, weil sich die Kontraktilität des Beckenbodens während der Wehen verändert (Karahan et al. 2018). Obwohl die Einzelfaktoren bekannt sind, hat sich bisher noch keine Risikomatrix zur Gefährdungsbeurteilung wirklich bewährt.

Keine Hebamme nimmt einen Dammriss III. oder IV. Grades einfach in Kauf. Die meisten fühlen sich schuldig, einen solchen Riss nicht verhindert haben zu können. Aber selbst, wenn GeburtshelferInnen sehr erfahren sind und die Geburt aufmerksam begleiten, sind Rissverletzungen oft nicht zu vermeiden. Entscheidend ist deshalb, die Frau nach jeder Geburt sorgfältig zu untersuchen und entstandene Verletzungen angemessen zu versorgen.

 

Diagnostik im internationalen Vergleich

 

Geburtsverletzungen mit Beteiligung des analen Sphinkters sind in Deutschland selten. So selten, dass man sich fragen muss, wie viele Verletzungen einfach übersehen werden: durch mangelndes Wissen, durch fehlerhafte Diagnostik und/oder aus Angst vor Anklagen von Kolleginnen, Vorgesetzten, Angehörigen und der Frau.

In Deutschland blieben die diagnostizierten Sphinkterverletzungen seit 2000 konstant, aber international haben sie sich verdreifacht (RCOG 2015). Erklären lässt sich eine erhöhte Detektionsrate nicht zuletzt durch die empfohlene rektale Untersuchung zur Diagnostik nach jeder vaginalen Geburt. Für die deutsche Leitlinie konnte sich die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaften (DGHWI) mit diesem Wunsch aber nicht durchsetzen. Die rektale Palpation ist nun immerhin ab einem Dammriss II. Grades verpflichtend (DGGG 2018). Ist eine Sphinkterverletzung nicht sicher auszuschließen, ist ein Facharzt zu Rate zu ziehen.

Die seltenen Knopfloch-Rupturen, bei denen der Sphinkterkomplex intakt bleibt, aber der Darm reißt, können nur so diagnostiziert werden. Auch ein scheinbar intakter Damm kann eine Sphinkterverletzung verbergen. Für eine australische Studie wurden 320 Erstgebärende fünf Monate post partum nachuntersucht. Bei 69 von ihnen fand sich eine Sphinkterläsion, die mehr als 30 % des externen Sphinkters betraf. Neun davon waren nach der Geburt diagnostiziert und versorgt worden, 60 wurden übersehen, drei davon hinter einem intakten Damm (Guzman Rojas et al. 2013).

 

Praktische Tipps

 

  • Wenn es nicht blutet, erstes Bonding abwarten.
  • Schmerzlinderung für Diagnostik anbieten.
  • Kurz Pause machen und die überstandene Geburt "veratmen"
  • Ordentliche Lichtverhältnisse schaffen. Eine Stirnlampe in gedämpfter Umgebung reicht für eine sorgfältige Diagnostik nicht aus.
  • Lagerung der Frau, die Unterschenkel müssen entspannt aufgelegt werden können.
  • Vier-Augen-Prinzip zur Diagnostik
  • Nach jeder vaginalen Geburt immer rektal untersuchen: dabei die Frau bitten, anzuspannen, Zeigefinger anheben zur sicheren Beurteilung der Tiefe des Vaginalrisses und eventuell der rektovaginalen Faszie.
  • Im Zweifel einen Grad höher als niedriger diagnostizieren.
  • Die rektale Untersuchung dokumentieren, um bei Regressforderungen abgesichert zu sein.

 

Versorgung von Sphinkterverletzungen

 

Die Naht einer Sphinkterverletzung soll gemäß Leitlinie unter ausreichender Schmerzbehandlung in aseptischen Verhältnissen im Operationssaal stattfinden. Eine sorgfältige Nahtversorgung kann lange dauern, eine PDA oder Spinalanalgesie ist in diesem Fall angemessen. Auch OperateurInnen mit hoher Fachkompetenz brauchen optimale Arbeitsbedingungen inklusive der Assistenz durch ein Operationsteam.

Wenn die Wunde nicht blutet, kann die Operation bis zu zwölf Stunden später unter optimalen Bedingungen mit den besten verfügbaren SpezialistInnen durchgeführt werden. Bis dahin kann die Frau unter ausreichender Schmerztherapie in Ruhe von zu Hause oder einem Geburtshaus in die Klinik oder auch von einer kleinen Klinik in ein Zentrum mit hoher Expertise verlegt werden.

Im frühen Wochenbett erhalten die Frauen eine angemessene Schmerzbehandlung und Laxantien, um den Speisebrei weich zu halten und dessen Darmpassage zu erleichtern (DGGG 2018). Die Pflege der Naht unterscheidet sich nicht von der einer Episiotomie.

Es ist bisher nicht endgültig erforscht, wie schnell Muskeln heilen, die komplett durchtrennt sind. Die Empfehlungen für die Schonung des Beckenbodens beziehen sich auf die ersten vier bis acht Wochen nach der Geburt. Auf Sex sollten die Frauen in dieser Zeit noch verzichten. Besonders beschnittene Frauen und ihre Männer brauchen die Zusatzinformation, dass auch Analsex nicht praktiziert werden darf, bis die Heilung abgeschlossen ist.

Hebammen, die Frauen nach Sphinkterverletzungen im Wochenbett betreuen, sollten sich die Wundheilung unbedingt ansehen. Im Fall einer frühen Dehiszenz kann bis zu drei Wochen post partum eine frühe Sekundärnaht angelegt werden, die erfahrungsgemäß so gut heilen kann wie eine Primärnaht. Die Hormone nach einer Geburt helfen den Frauen, unvergleichlich schnell zu heilen (Kindberg 2016).

Allerdings heilen nicht alle Sphinkterverletzungen komplikationsfrei aus. Das ist zum einen vom Ausmaß der Verletzung abhängig und zum anderen von der Gewebebeschaffenheit, die individuell sehr verschieden ist.

 

Aufklärung und Dokumentation

 

Deutliches Potenzial für Verbesserung birgt die Aufklärung der Frauen unmittelbar nach der Diagnostik, aber auch im Wochenbett. Die übliche Dokumentation auf dem kleinen Mutterpass-Aufkleber »DR III, Naht i. PDA« ist schlicht unzureichend.

Frauen wünschen sich leicht verständliche, aber präzise Information darüber, wie groß ihre Verletzung ist, wie schnell die Fäden sich auflösen werden, wann die Wunde verheilt sein wird und wann sie ihr Sexualleben wieder aufnehmen können.

Mit welchen Symptomen müssen die Frauen rechnen? Bei Auskünften dazu sollten Formulierungen vermieden werden, die einen Interpretationsspielraum zulassen, wie beispielsweise »selten« oder »häufig«. Stattdessen sollten sie konkrete Zahlen nennen (DGGG 2018). Zum Beispiel:

  • Flatulenzen bei bis zu 50 % der Frauen
  • Stuhldrang bei 26 %
  • Inkontinenz für flüssigen Stuhl bei 8 %
  • Inkontinenz für festen Stuhl bei 4 %
  • Wiederholungsrisiko bei Folgegeburten bei 7 % (Jangö 2017)
  • Dyspareunie nach drei Jahren bei noch 47 % (O›Shea et al 2018).

Wünschenswert ist, dass der OP-Bericht in Kopie mit der Entlassung der Frau in den Mutterpass gelegt wird. Darin sollte die korrekte Diagnose, die Nahttechnik und auch das Nahtmaterial dokumentiert sein. Die nachbetreuende Hebamme hat sonst keine Chance, der Frau genauer zu erläutern, was es für sie bedeutet: Zerfällt der Faden nach vier Wochen und ist nach acht Wochen aufgelöst? Oder wurde ein lange haltbarer Faden verwendet? Wurde ein weicher multifilamenter Faden verwendet oder ein monofilamenter, der möglicherweise piekst und sich unter Wärmeentwicklung in der Wundstelle auflöst?

 

Die Nachsorge gemäß Leitlinie

 

Gemäß Leitlinie sollen alle Frauen nach Sphinkterverletzungen zusätzlich zur regulären Nachuntersuchung bei der FrauenärztIn nach drei Monaten post partum erneut untersucht werden (DGGG 2018). Dabei liegt der Fokus auf Fragen zur analen Kontinenz, der Damm wird vaginal und rektal palpiert. Alle Frauen haben Anspruch auf eine Einzelphysiotherapie. Bei analer Inkontinenz sollte die Frau in ein Beckenbodenzentrum überwiesen werden.

Studien belegen, dass drei Monate post partum jede dritte Frau mit Sphinkterverletzung stuhlinkontinent ist, nach sechs Monaten allerdings jede zweite. Das bedeutet, dass die Untersuchung nach zwölf Wochen zu kurz greift.

Eine große Hilfe mit wenig Aufwand wäre ein Anruf bei der Frau nach sechs bis neun Monaten post partum, um sie nach ihrem Wohlbefinden zu befragen. Inkontinenz und Dyspareunie sind so schambehaftete Themen, dass Frauen sich nicht von selbst Hilfe holen. Aber sie sind dankbar, wenn sie im gesamten ersten Lebensjahr noch darauf angesprochen werden (Brown et al 2015).

Um die Beschwerden zu konkretisieren, ist der Deutsche Beckenbodenfragebogen hilfreich, der an der Charité in Berlin entwickelt wurde (Baessler et al. 2004). Er steht im Internet frei zur Verfügung und stellt die richtigen Fragen. Die Frauen können ihn zu Hause selbst ausfüllen und ihr Wohlbefinden reflektieren. Sie können ihn zum Besuch ins Beckenbodenzentrum mitnehmen und haben es dann leichter, bestimmte Beschwerden anzusprechen (siehe Link).

 

Wie Hebammen die Frauen unterstützen können

 

Die Heilung kann durch die Hebamme begleitet und beobachtet werden. Besonders wenn es »erst spannte und dann war es plötzlich gut«, sollten Hebammen aufhorchen und hinsehen. Dies könnte ein Zeichen für eine Nahtdehiszenz sein. Die Frauen sollten zunächst im Liegen stillen, um ihren Beckenboden zu entlasten. Alles, was der schwer verletzten Frau in dieser Zeit guttut, sollte die Hebamme ermöglichen (Kindberg & Seehafer 2017).

Erste Wahrnehmungsübungen des Beckenbodens über die Atmung kann sie schon in der ersten Woche post partum anregen. Sie sollte die Frauen darüber informieren, bei welchen Symptomen sie unbedingt erneut um Hilfe bitten müssen.

Die Hebamme sollte die Frau auch auf die Nachsorge entsprechend der Leitlinie hinweisen, sie beispielsweise auf das Einzeltraining bei einer Physiotherapeutin aufmerksam machen, das ihr zusteht.

Niedergelassene FrauenärztInnen sind nur selten SpezialistInnen für den Beckenboden und nehmen die Beschwerden der Frauen häufig nicht ernst genug. Aufgrund der freien Arztwahl in Deutschland ist es aber leicht, die Frau in ein Beckenbodenzentrum zu überweisen (siehe Link). Es ist empfehlenswert, als Hebamme einen konkreten Verdacht auf einen Überweisungsschein oder einen Begleitschein ihrer Wahl zu schreiben und um eine Abklärung desselben zu bitten, zum Beispiel: »Stuhlinkontinenz für festen Stuhl bei Status nach DR III b, fraglicher Sphinkterdefekt. Bitte um Abklärung.« Eine Kopie davon gehört in die eigene Akte.

Jede Hebamme sollte eine Kontakt­adresse einer Beckenboden-PhysiotherapeutIn und einer UrogynäkologIn beziehungsweise eines Beckenbodenzentrums in der Tasche haben.

Für Frauen, die aufgrund des Hebammenmangels keine Wochenbettbetreuung haben, sollten Hebammen in den Kliniken Konzepte entwickeln, wie auch für diese Frauen gesorgt werden kann. Beispielsweise mit

  • einer Wiedervorstellung eine Woche nach Entlassung zur Nahtkontrolle
  • einem Anruf nach sechs bis neun Monaten, um nach einer Inkontinenz zu fragen
  • einem Handout über die Verletzung
  • einem Laufzettel mit allen Dingen, die die Frauen im ersten Jahr beachten und erledigen sollten.

 

Fazit

 

Große Verletzungen können passieren. Frauen wollen sich damit nicht abgeschoben, sondern ernst genommen fühlen. Die Soft Skills bei der Betreuung machen den Unterschied und kosten beinahe nichts. Eine rektale Untersuchung sichert die Diagnose präzise ab. Hebammen können helfen, dass Frauen alle in der Leitlinie vorgesehenen Hilfen erhalten. Kliniken sollten ein Programm vorhalten, wie Frauen informiert werden, mit welchen Symptomen sie sich wieder vorstellen sollen, wann die Kontrollen erfolgen und mit welchen Folgen sie rechnen müssen.

Erfahrungen von Frauen nach Sphinkterverletzungen

 

»Verwundet und hilflos«

 

Die Hebamme Holly Priddis aus Sydney in Australien hat 2012 für ihre Doktorarbeit zwölf Frauen mit Sphinkterverletzungen in individuellen, halbstrukturierten Interviews nach ihren Erfahrungen befragt. Das heißt, neben konkreten Fragen gab es die Möglichkeit, frei zu erzählen.

Die Ergebnisse dieser Gespräche sind deprimierend und werfen kein gutes Licht auf unsere Kommunikation mit den Frauen. Überwiegend fühlten sich die Frauen verwundet, hilflos und missachtet: »Ich erinnere mich an all die Gespräche um mich herum, nur mit mir hat niemand gesprochen«.

Oder die Hebammen sprachen miteinander in Anwesenheit der Frau mit abfälligen Worten über die Verletzung: »Der Doktor hat den Scheiß verursacht, jetzt soll er es gefälligst auch wegräumen«.

Einige der Frauen fühlten sich in der Situation schlecht behandelt: »Ich kam mir vor wie ein Stück Fleisch, das im Bett liegt. Sie haben mir das Kind nur gefühlte zwei Sekunden gegeben und es dann eingepackt und meinem Mann gereicht. Sie haben mehr Zeit mit ihm verbracht als mit mir. Er konnte auf Station mit dem Kind kuscheln und ich lag da ...«

Es gab auch Frauen, die sich gut aufgehoben gefühlt haben: »Meine Hebamme war die ganze Zeit bei mir. Und sie hat mir erklärt, dass ich ziemlich schlimm gerissen bin. Und später, als ich mich ein bisschen erholt hatte, kam sie zu mir und hat mich über das ganze Procedere aufgeklärt, was dann folgte [Anmerkung der Redaktion: die OP] und hat den ganzen Tag immer wieder nach mir gesehen.«

Rückwirkend beklagen die Frauen die fehlende Aufklärung über das Ausmaß und die Folgen der Verletzung am allermeisten. »Was wäre geschehen, wenn sie mir gesagt hätten, dass ich einen Dammriss III. Grades habe?«

Für die Frauen ist mit der Verletzung auch die Illusion vor einer schönen Geburt verloren gegangen: »Du hast diesen Traum vor Augen: Das Kind kommt, du gehst damit nach Hause, alles ist wundervoll und du zeigst dein Baby stolz herum.« Das Gefühl, einen kaputten Körper zu haben, geht zusätzlich noch mit dem Gefühl einher, versagt zu haben: »Ich konnte nicht zur Toi­lette gehen, nicht im Auto sitzen. Ich konnte eigentlich nur liegen und es tat so weh, dass ich an nichts anderes denken konnte. Ich konnte meinem Kind nicht mal die Windeln wechseln.«

Selbst nachdem die Wunden verheilt sind, ist das Leben nicht mehr wie vorher: »Früher hörten sich sechs Woche ohne Sex wie eine magische Zahl an. Aber wenn du 18 Monate aus dem Rennen bist und es dann immer noch sehr selten stattfindet, dann macht das auch was mit deiner Beziehung ...«

Besonders wenn der Sphinkter nicht dichthält, beeinträchtigt das den Sex ganz konkret: »Wir haben ab und zu Sex, aber ich habe immer Angst, dass was rauskommt. Deswegen hoffe ich immer, dass wir so schnell wie möglich fertig werden und ich zur Toilette gehen kann. Dann bin ich immer ganz erleichtert, wenn nichts rauskam.«

Frauen mit Sphinkterverletzungen sind in einem Maß traumatisiert, die mit kleineren Geburtsverletzungen nicht verglichen werden können. Sie brauchen maximale Aufmerksamkeit und ehrliche Aufklärung von den Betreuenden direkt nach der Geburt und im Wochenbett sowie eine gute Anbindung an die medizinische Weiterbehandlung. Eine Sphinkterverletzung eignet sich nicht als »Stammtischthema«, das man mal mit Freundinnen bespricht. Sich als junge Frau auf eine Stuhlinkontinenz einlassen zu müssen, ist eine besondere Herausforderung, die das ganze Leben beeinträchtigt und eine ernsthafte Behinderung darstellt. Geburtshelferinnen sind aufgefordert, alles zu tun, um Sphinkterrisse zu vermeiden. Die Frauen haben ein Recht auf eine informierte Entscheidung, bevor sie sich für den einen oder anderen Geburtsmodus entscheiden. Wir sollten dieser Entscheidung demütiger gegenüberstehen, selbst wenn sie uns nicht gefällt.

Peggy Seehafer

Quelle: Priddis H: Women’s experiences following severe perineal trauma: a qualitative study. BMC Women’s Health. (14):32. 2014

Rubrik: Geburt | DHZ 08/2018

Nachgefragt

DHZ: Kann die Frau einfach zur nächstgelegenen Physiotherapie gehen?

Physiotherapeutin: Nein. Die Beckenboden-Rehabilitation gehört nicht zur Grundausbildung der Physiotherapie. Weisen Sie Ihre Patientin einer Physiotherapeutin zu, die eine Weiter­bildung in Beckenboden-Rehabilitation vorweisen kann.

DHZ: Übernehmen die Krankenkassen die Beckenboden­therapie?

Physiotherapeutin: Ja, physiotherapeutische Behandlungen sind in der Krankenversicherung abgedeckt.

DHZ: Wie wird die physiotherapeutische Beckenbodentherapie verordnet?

Physiotherapeutin: Die Beckenboden-Rehabilitation kann mit einer üblichen Verordnung zur Physiotherapie verordnet werden. Dazu bedarf es einer Diagnosenummer, beispielsweise JBO9.2 Dammriss IIIb: 6 x Beckenboden-Physiotherapie.

Unter Maßnahmen sollte nach Möglichkeit »Becken­boden-Rehabilitation inkl. Biofeedback/Elektro­stimulation« vermerkt werden. Die Kosten für die verwendeten Mittel- und Hilfsmittel übernimmt dann die Krankenkasse.

DHZ: Danke, das lässt sich leicht einrichten.

Hinweis

 Am 19. Und 20. Oktober 2018 findet in Stuttgart der 30. Jahreskongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft statt.

> http://www.kontinenzkongress.de/de/Startseite/

Literatur

Baessler K et al.: Validierung des Fragebogens auf Englisch in Australien. Neurourol and Urodynam 2004. 23 (5-6): 398–399

Brown S et al.: Consultation about urinary and faecal incontinence in the year after childbirth: a cohort study. BJOG 2015. 122(7):954–962

DGGG: Langfassung der Leitlinie »Dammriss III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt, Management« 2018. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-079.html
»

Ich bin Abo-Plus-Leserin und lese das ePaper kostenfrei.

Ich bin Abonnentin der DHZ und erhalte die ePaper-Ausgabe zu einem vergünstigten Preis.

Upgrade Abo+

Jetzt das Print-Abo in ein Abo+ umwandeln und alle Vorteile der ePaper-Ausgabe und des Online-Archivs nutzen.