Sicher tasten und auf die leisen Töne horchen

  • Katja Baumgarten, Hebamme, Filmemacherin und über 20 Jahre Redakteurin der DHZ: »Hat der routinemäßige Einsatz von bildgebendem Ultraschall die Kompetenz der Untersuchenden geschwächt, sich auf ihre selbst erhobenen Befunde verlassen zu können?«

Auf Kongressen werden gelegentlich Studien diskutiert, in denen es um die Zuverlässigkeit geburtshilflicher Befunde geht: Verglichen mit dem Ultraschall schneiden die vaginalen oder die manuellen äußeren Unter‧suchungen von Hebammen und ÄrztInnen dabei häufig schlechter ab. Auch die Vergleichbarkeit der Befunde unterschiedlicher Untersuchender divergiere teils beträchtlich. Fazit dieser Studien ist jeweils, die Überlegenheit der Ultraschalluntersuchung anzuerkennen und sie beispielsweise während der Geburt noch häufiger einzusetzen.

Was ist die Ursache für diese Diskrepanz? Gab es solche deutlichen Unsicherheiten schon immer? Hat der häufige und routinemäßige Einsatz von bildgebendem Ultraschall die Kompetenz der Untersuchenden über die vergangenen Jahrzehnte hinweg geschwächt, sich auf ihre selbst erhobenen Befunde verlassen zu können? Oder kommt diese Schwäche erst jetzt durch direkten, systematischen Vergleich ans Licht?

Werden Hebammen und ärztliche GeburtshelferInnen in einem turbulenten Alltag mit Personalmangel und Arbeitsverdichtung in der Klinik heute noch ausreichend und sorgfältig geschult, sodass sie auch anspruchsvolle, nicht so häufige Befunde zuverlässig und sicher erheben können? Oder ist gerade der schnelle Griff zum Ultraschallgerät, um sich Klarheit zu verschaffen – sei es, um die Kindslage zu bestimmen oder die Einstellung des kindlichen Kopfes im mütterlichen Becken – eine Ursache dafür, dass die eigene Kompetenz verblasst, sich durch gekonntes, systematisches Ertasten eine unmittelbare, eigene räumliche Vorstellung der geburtshilflichen Situation zu bilden?

Und wer kann heutzutage die kindlichen Herztöne noch sicher mit dem Pinard-Hörrohr erfassen? Das wache, aufmerksame Horchen auf die leisen Töne im Bauch der Schwangeren, nicht verstärkt durch ein elektronisches Gerät, das geht nicht ohne den sehr direkten Kontakt – die ungeteilte Konzentration auf die Schwangere und ihr Kind –, eine intime Nähe, direkte Zweisamkeit zwischen der Hebamme und dem Ungeborenem und auch zu seiner Mutter, die diese Nähe zulässt.

Das Erfahren mit den eigenen Sinnen, sei es durch das haptische, taktile Erfassen eines manuellen Tastbefundes beim äußerlich-abdominalen Untersuchen oder beim Hören der »originalen«, nicht der artifiziellen, elektronisch aufbereiteten Herztöne, bietet eine Fülle von Informationen »nebenher«, mit denen GeburtshelferInnen bewusst und unbewusst arbeiten. Es lohnt sich, sich mit Erkenntnissen der Neurobiologie bei der Wahrnehmung komplexer Zusammenhänge durch sinnliches Begreifen zu befassen, bevor vorschnell das angegriffene Vertrauen in die eigenen Sinne an die Technik abgegeben wird. Eine disziplinierte (Selbst-)Schulung beim Untersuchen sollte die Konsequenz bei mangelhafter Sicherheit im Erheben von Befunden sein, weniger ein vermehrter Einsatz von Technik in der Schwangerschaft und unter der Geburt.

Rubrik: DHZ 09/2020

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