Herztöne hören
Das Abhören der kindlichen Herztöne ist eine der Untersuchungen, die in den meisten Ländern routinemäßig in der Schwangerenvorsorge durchgeführt werden. In Deutschland soll gemäß Mutterschafts-Richtlinien dafür keine elektronische (Ultraschall-)Herzton-Wehenmessung (CTG) verwendet werden, wenn keine besondere Indikation vorliegt (Gemeinsamer Bundesausschuss 2015). Das heißt im Umkehrschluss, die Herzfrequenz soll auskultiert werden.
Screenings haben Vor- und Nachteile
Jede Routineuntersuchung einer Schwangeren ist ein Screening. Screenings werden eingesetzt, um bei einer Gruppe gesund erscheinender Menschen Anzeichen für verborgene oder beginnende gesundheitliche Probleme zu suchen und zu finden. Sie haben dabei die angenehme Eigenschaft, gelegentlich tatsächlich einen erkrankten Menschen zu identifizieren und dieser Person frühzeitig zu helfen. Unangenehm an Screenings ist allerdings, dass sie manchmal auch kranke Personen übersehen (falsch-negative Ergebnisse) oder gesunde Menschen als potenziell krank markieren (falsch-positive Ergebnisse).
Letzteres führt zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Behandlungen und zu Angst und Verunsicherung durch Überdiagnose und Übertherapie.
Je schlechter die Sensitivität und Spezifität eines Tests ist und je weniger Menschen tatsächlich von dem gesuchten Problem betroffen sind, umso unzuverlässiger wird das Testergebnis (Vorhersagewert). Je weniger man über das Problem, seine Ursachen und seinen Verlauf weiß, umso schwieriger wird eine sinnvolle Schlussfolgerung aus einem solchen Test.
Selbst, wenn ein Screening korrekterweise auf ein echtes Problem aufmerksam macht, heißt das noch nicht, dass dem Menschen wirklich geholfen werden kann – zum Beispiel einem ungeborenen Kind in der frühen Schwangerschaft. All diese Probleme können wir übrigens aktuell bei den Tests auf das Sars-CoV-2 wunderbar beobachten (Schrappe et al. 2020) – Und sie gelten auch für die Interpretation der fetalen Herztöne.
Bei der Herztonüberwachung in der Schwangerschaft ist eines der Probleme, dass niemand so ganz genau weiß, welche CTG-Muster gesunde Feten in unreifem Schwangerschaftsalter in welcher intrauterinen Situation produzieren. Daher ist die Interpretation von CTG Mustern – selbst, wenn die Aufzeichnungsqualität gut wäre – vor dem dritten Trimenon nicht sinnvoll.
Aber auch danach hat noch keine Studie seit Beginn der CTG-Aufzeichnungen in den 1970er Jahren einen Nutzen von routinemäßigem Screening gezeigt – im Gegenteil: Im «Normalkollektiv», ja sogar bei Risikoschwangerschaften steigt bei Routine-CTG-Kontrollen die kindliche Mortalität. Wer könnte denn auch mit Sicherheit sagen, dass bei fraglich schlechtem CTG bei unreifem Kind die elektive Geburt (Einleitung oder primäre Sectio) wirklich besser für das Kind sein wird, als es ein Fortführen der Schwangerschaft gewesen wäre? Abgesehen vom «worst case», dem perinatalen Kindstod, zeigt das Routine-CTG auch keine Verbesserungen bei Schäden durch Sauerstoffmangel (Zerebralparesen). Lediglich die Rate an Frühgeburten steigt: Deutschland liegt hier mit knapp 9 % der Geburten im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld (Chawanpaiboon et al. 2014).
Dauer-CTG während der Geburt?
Die wissenschaftliche Evidenz zur fetalen Überwachung stammt zum großen Teil aus älteren Studien. Diese zeigen keinen Nutzen durch routinemäßige CTG-Überwachung während der Geburt. Im Gegenteil: Die Sectiorate und die Rate an vaginal-operativen Geburten steigen, ohne dass gleichzeitig weniger Kinder zu Schaden kommen. Daher wurden in einigen Ländern in den 1990er Jahren Leitlinien erstellt, die von der routinemäßigen CTG-Überwachung abraten und stattdessen die intermittierende Auskultation empfehlen (beispielsweise Skandinavien, Großbritannien und Frankreich). Weitere Studien wurden kaum noch durchgeführt, da es unethisch gewesen wäre, Frauen diesem Screening ohne Nutzen auszusetzen, auch wenn es nur unter Studienbedingungen wäre.
In anderen Ländern setzte sich im Gegensatz dazu die ExpertInnenmeinung durch, trotz dieser negativen Evidenz Dauer-CTGs zu empfehlen, da man sich dadurch sicherer auf forensischem Parkett fühlte. Das war ein Trugschluss, wie die vielen Prozesse seit den 1990ern zeigen. Außerdem lässt sich mit dem Einsatz des CTG Personal einsparen. Zu diesen Ländern gehört Deutschland.
Aber auch die intermittierende Auskultation ist unzureichend erforscht. Die Empfehlungen in den internationalen Leitlinien basieren nicht auf harter Evidenz, sondern auf ExpertInnenmeinungen. Immerhin sind in den Ländern, die diese Form der fetalen Überwachung durchführen, die Sectioraten und die Frühgeburtenraten tatsächlich niedriger als in Deutschland – die perinatale Morbidität und Mortalität ebenfalls.
Die Empfehlungen der einzelnen Fachgesellschaften sind international nicht einheitlich, aber ein Basiskonsens liegt darin, in den aktiven Geburtsphasen regelmäßig die Herztöne abzuhören (mit Doppler oder Pinard-Stethoskop) und ein CTG nur bei strenger Indikation anzuwenden.
Fetale Herztonkontrollen während der Wehen
Die internationalen Empfehlungen zur intermittierenden Auskultation weichen in einigen Details voneinander ab. Einig sind sich die ExpertInnen aber in diesen Punkten:
- Während der Latenzphase (passive Eröffnungsphase, 4 bis 6 cm Muttermundsweite) ist keine systematische Routinekontrolle der Herztöne erforderlich.
- Während der aktiven Eröffnungsphase (ab 4 bis 6 cm Muttermundsweite mit regelmäßigen Wehen) und während der Austrittsphase sollen in regelmäßigen Abständen die fetalen Herztöne abgehört werden. Die (aktive) Austrittsphase macht sich dabei durch den Pressdrang bemerkbar. Die passive Austrittsphase (vollständiger Muttermund ohne Pressdrang, Kopf nicht sichtbar) wird durch Erhebung des vaginalen Befundes definiert.
Dabei soll eine bestimmte Systematik angewendet werden (siehe Artikel Knobloch).
Ausblick
Mit diesem Vorgehen wird eine gesundheitliche Gefährdung des ungeborenen Kindes ebenso zuverlässig erkannt wie mit einer CTG Überwachung, ohne die typischen falsch-positiven Befunde oder technischen Artefakte des CTG Gerätes zu erzeugen.
Wichtiger aber ist vermutlich, dass die Hebamme für die Auskultation kontinuierlich nah an Frau und Kind sein muss, und das gesamte Spektrum ihrer Hebammenkunst anwendet, um sich von deren Wohlergehen zu überzeugen: Sie benutzt ihre Hände, ihre Augen und Ohren und sie kommuniziert mit der Frau. Diese echte Hebammenkunst kann nur im direkten Kontakt mit der Gebärenden angewendet werden, und vielleicht ist sie es, die das Gebären sicher macht – nicht das Herztöne-Hören allein.
Checkliste: Telefonische »Triage« bei Wehenbeginn
Sprechen Sie währender der Latenzphase selbst mit der Frau!
1. Fragen Sie die Frau:
- nach ihrem Befinden
- nach der Qualität und Häufigkeit der Wehen/Schmerzen
- wie sie mit den Wehen zurechtkommt
- nach Abgang von Flüssigkeit und Blut
- ob sich das Baby bewegt
- ob sie über etwas besorgt ist und was sie sich wünscht/braucht.
2. Erklären Sie der Frau:
- was sie in der Latenzphase erwartet und was ihr helfen könnte.
3. Besprechen Sie mit der Frau:
- wann und warum sie sich wieder melden sollte. Die telefonische Beratung sollte mindestens so lange dauern, bis eine Wehe auftritt und deren Dauer sowie die Äußerungen der Frau beurteilt werden können. Spätestens beim dritten Anruf sollte ein persönlicher Kontakt angeraten werden. Die gesamte Beratungssequenz soll sorgfältig dokumentiert werden.
Die konkrete Beratung in der Latenzphase umfasst:
- die Information, dass eine Latenzphase eine normale Geburtsphase ist
- die Ermutigung, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben
- den Rat, normal zu essen und zu trinken und sich auszuruhen
- die Bestätigung, dass die Latenzphase anstrengend und unangenehm sein kann.
Quelle: Empfehlungen des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE 2014)
Literatur
Gemeinsamer Bundesausschuss: Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung (»Mutterschafts-Richtlinien«). 2015
Schrappe M, Glaeske G, Roski R, Stegmaie P: »Jetzt ist die Zeit der Public Health gekommen«. Monit. Versorgungsforsch 2020. 13, 06–13
Chawanpaiboon S et al.: Global, regional, and national estimates of levels of preterm birth in 2014: a systematic review and modelling analysis. Lancet Glob. Heal 2019. 7, e37–e46
»
Ich bin Abo-Plus-Leserin und lese das ePaper kostenfrei.
Ich bin Abonnentin der DHZ und erhalte die ePaper-Ausgabe zu einem vergünstigten Preis.
Upgrade Abo+
Jetzt das Print-Abo in ein Abo+ umwandeln und alle Vorteile der ePaper-Ausgabe und des Online-Archivs nutzen.