Oxytocin und Vasopressin

Signalwege zwischen Liebe und Furcht

In den vergangenen Jahrzehnten wurde nur in wenigen Studien untersucht, ob und wie Oxytocin auf Säuglinge wirkt, wenn sie das Hormon mit der Muttermilch aufnehmen. Inzwischen weiß man von spannenden Zusammenhängen: Über Rezeptoren teilt es sich Kommunikationswege mit dem eng verwandten Vasopressin. Beide beeinflussen den Darm und das Gehirn und damit auch das soziale Verhalten. Birgit Heimbach
  • Physiologisch wird das Neugeborene direkt nach der Geburt überschwemmt mit Oxytocin – auch über die Muttermilch. Das Hormon wirkt positiv auf den Darm und gelangt über das Blut ins Gehirn. Zusätzlich wird das körpereigene Oxytocin-System des Säuglings durch die körperliche und emotionale Nähe zur Mutter angekurbelt. Mit dem bis auf zwei Aminosäuren identisch aufgebauten Vasopressin, das ebenfalls in der Muttermilch ist, sind Überschneidungen auf den jeweiligen Signalwegen möglich.

Der Neuroendokrinologe Prof. Dr. Rainer Landgraf zeigte 1983 in Leipzig, dass ein Milliliter reifer Muttermilch 0,1 bis 1 pg Oxytocin enthält (pg = Pikogramm). »Das ist circa ein Millionstel eines Millionstel Gramms, also 11 bis 12 Nullen hinter dem Komma«, erklärt er. »Das entspricht etwa der Konzentration im Blutplasma, wo die Halbwertszeit im Bereich weniger Minuten liegt.« Rund vier bis zehn Minuten maßen erst viel später auch andere (Driessen 2011).

Die Werte ermittelte Landgraf, indem er Antigene radioaktiv markierte, genannt Radioimmunoassay (RIA). Die Methode sei selbst nach 40 Jahren in ihrer Sensitivität und Spezifität unerreicht, kommentiert er. Seinerzeit griffen nur wenige Studien Landgrafs Habilitationsergebnisse auf.

1986 ermittelte Prof. Saturo Takeda, heute am Department of Obstetrics and Gynecology an der Juntendo Universität in Japan, ebenfalls mit RIA den Gehalt an Oxytocin in Muttermilch. Sein Ergebnis: Die Werte sinken in den ersten fünf Lebenstagen auf weniger als die Hälfte, steigen aber bei jeder Stillmahlzeit an. Wegen seiner geringen Größe trete Oxytocin vom Blut in die Milch über und bleibe in der Magensäure des Säuglings stabil. Takeda vermutete eine lokale Wirkung des Hormons auf den Darm und dessen vasoaktive Polypeptide (Takeda 1986). Es dauerte, bis sich jemand erneut damit befasste. 2009 hieß es in einer Studie nur allgemein: Oxytocin und seine Rezeptoren im Darm beeinflussten die Beweglichkeit des Darms, dessen Sekretion, Durchblutung, Bildung von Neurotransmittern und Hormonen sowie die Zellmauserung (Zellaustausch, Cell Turnover) (Welch 2009). Es sei aber unklar, ob die Oxytocin-Quelle in der Muttermilch, im Hypothalamus des Kindes oder an den Neuronen im Darm liege.

Die schwedische Forscherin Prof. Kerstin Uvnäs Moberg vom Karolinska-Institut in Uppsala maß 2013 im Kolostrum sogar 8 pg/ml Oxytocin, dann falle es ab mit steigender Milchproduktion. Aber erstaunlicherweise resümierte sie nur: »Selbst wenn das aufgenommene Oxytocin das saure Magenmilieu des Magens überleben würde und vom Darm des Kindes absorbiert werden würde, die Verdünnung im Blutkreislauf würde jeden signifikanten Anstieg von Oxytocin limitieren.« (Uvnäs Moberg 2013) Ein Transport zum Gehirn sei ebenfalls unwahrscheinlich. Die Wissenschaftlerin meinte, dass nur das Sättigungsgefühl nach dem Stillen dazu führe, dass im Darm des Säuglings das Hormon Cholecystokinin (CCK) freigesetzt werde, das den Nervus vagal als größten Nerv des Parasympathikus aktiviere. Dieses würde die Freisetzung von Oxytocin im Gehirn triggern und Bindung sowie freundliches Verhalten auslösen (Uvnas Moberg 2013).

 

Oxytocin-Rezeptoren im Darm

 

Im selben Jahr betonte der Zellbiologe Benjamin Y. Klein von der Columbia University in New York dagegen, dass Oxytocin »mit seinem stabil hohen Gehalt in der Muttermilch eine wichtige lokale Wirkung im Darm hat«. Das Auffinden von Oxytocin-Rezeptoren (OXTR) im Nervensystem des Darms und in den Mikrovilli der Darmepithelien unterstütze die Annahme, dass Oxytocin für die Entwicklung des Darms und seine Funktion wichtig sei. Es könne im Tierversuch Entzündungen und zellulären oxidativen Stress reduzieren. Mäuse, denen OXTR fehlen, haben Klein zufolge eine veränderte Darmbeweglichkeit, Entzündungen, makromolekulare Durchlässigkeit und eine veränderte Schleimhaut.

Er beschrieb, dass Oxytocin im Darm neuromodulatorisch wirke: Es verändere den Signalweg (Pathway) in einem Proteinkomplex in den Zellen, dem Nährstoffsensor, genannt TOR (Target of Rapamycin) oder auch TOR Complex 1 (TORC1). Ausreichend Nahrung verstärkt seine Aktivität, woraufhin die Zelle die Proteinproduktion ankurbelt und sich zu teilen beginnt. Unter schlechteren Bedingungen funktioniert dies nicht (Klein 2013).

 

Durch die Darmepithelien

 

Dass das oral aufgenommene Oxytocin sich sogar frei durch die Darmepithelien bewegen kann, entdeckte Haruhiro Higashida von der Kanazawa Universität 2017. Selbst wenn mit zunehmendem Alter des Säuglings der Darm zum Schutz vor Krankheitserregern undurchlässig wird (unterstützt durch Muttermilch), befördert ein Molekül auf der Darmschleimhaut Oxytocin ins Blut, der Receptor for advanced Glycation End-Products (RAGE). 2020 publizierte Higashida, dass Oxytocin nach Überwinden der Blut-Darm-Schranke dann sogar auch ins Gehirn befördert werde (Yamamoto & Higashida 2020).

Im Gehirn, wo spezielle OXTR vorhanden sind, wirke das Hormon als Neurotransmitter (Jurek & Neumann 2018): Es hemme das sympathische und aktiviere das parasympathische Nervensystem (Uvnäs-Moberg 2017) und reduziere das Schmerzempfinden. Das soziale Bindungsverhalten wird gestärkt und die Stressreaktion verringert, indem es Angst und Furcht reduziert, die Gefäße weitet und den Anstieg des Stresshormons Cortisol dämpft.

ForscherInnen der Universität Regensburg um die Neurobiologin Prof. Dr. Inga D. Neumann zeigten wiederholt die positive Wirkung des Hormons auf die HPA-Achse (Hypothalamic-pituitary-adrenocortical Axis). Es wirke auf Neuronenverbände im limbischen System im Gehirn und reduziere so Stressverhalten, erklärt Neumann. Das vom Kolostrum ausgelöste Signal im Darm werde offenbar auch im Gehirn registriert, indem es sozusagen gespiegelt wird. Dies sei wichtig für die Stress-Modulation (Klein 2018).

 

Künstliches Oxytocin

 

Die Chefärztin Dr. Bärbel Basters-Hoffmann von der Klinik für Geburtshilfe und Perinatologie im St. Josefskrankenhaus vom Regionalverbund kirchlicher Krankenhäuser (RKK) Freiburg betont, wie wichtig Kolostrum samt dem Oxytocin darin sei. In diesem Hormon sieht sie »das weibliche Prinzip« vertreten: verbindlich, langmütig, entspannt.

Tatsächlich zeigt eine Studie im Mausversuch, dass bei Weibchen in einem Bereich des Gehirns mehr Oxytocin vorkommt als bei Männchen: Im anteroventralen periventrikulären Nucleus (AVPV) befindet sich offenbar der östrogenabhängige Sitz des Mutterinstinkts (Sharma 2019).

Basters-Hoffmann wünscht sich oxytocingetränkte Familien. Stress unter der Geburt und das damit verbundene Cortisol, auch Schmerzmittelgabe, würden die körpereigene Oxytocin-Ausschüttung hemmen, so dass weniger im Kolostrum ankommt (Walker 2016). Sie warnt vor Infusionen mit der synthetisch hergestellten Variante, wobei der Blut-Spiegel dann gleichmäßig auf einem höheren Level und ohne Spitzen sei. Dies würde die pulsatorische Ausschüttung des eigenen Hormons stören, indem es die Rezeptoren besetze. Am zweiten Tag post partum würden dann oft Schwierigkeiten mit der körpereigenen Produktion auftreten, so dass der Milchspendereflex behindert sein könne, so Basters-Hoffmann. Letztlich käme bei ungenügend Muttermilchmengen auch weniger Oxytocin im Darm des Säuglings an.

Allerdings tauchen in anderen Studien auch gegenteilige Fragen auf, etwa: Befindet sich nach Oxytocin-Infusionen möglicherweise im Kolostrum eine höhere Menge an Oxytocin und kann dies die immunologische Entwicklung des Darms beeinflussen (Cadwell 2017)? Dass synthetisches Oxytocin jedenfalls in die Muttermilch übertritt, zeigten Tierversuche (Solangi 2009).

Eine Frage ist auch, ob die Desensibilisierung der Rezeptoren dazu führen kann, dass die Oxytocin-Ausschüttung der Mutter später im Wochenbett ungünstig auf ein höheres Basal-Level angehoben werde, was das Stillen beeinträchtigen und möglicherweise auch zu Depressionen führen könne (Cadwell 2017).

 

Zwei Geschwister

 

Die Regensburger Neuropeptid-Expertin Neumann: »Die Ausschüttung von Oxytocin wird durch Stimulationen wie Geburt, Saugreiz, Sex oder Sport und angenehmem Hautkontakt ausgelöst. Es wird in den Nervenzellen des Hypothalamus aus neun Aminosäuren zu einem Peptidhormon gebildet und über Nervenzellfortsätze (Axone) in die Neurohypophyse überführt. Beim Transport hängt es an einem Protein, dem Neurophysin. Im Hypophysenhinterlappen wird es gespeichert und bei Bedarf ins Blut abgegeben.« Den selben Produktionsweg nimmt das Vasopressin. Dieses Hormon entstand vor rund 200 Millionen Jahren und Oxytocin vor rund 100 Millionen Jahren. Sie sind genetisch und biochemisch Geschwister und fast identisch aufgebaut: Ihre jeweils neun Aminosäuren unterscheiden sich nur an zwei Positionen (bei Stellung 3 und 8). Durch die Aminosäure Cystin haben beide eine Ringstruktur.

Vasopressin verengt die Gefäße, indem es deren glatte Muskelfasern stimuliert, und steigert dadurch den Blutdruck. In den Nieren fördert es die Rückresorption des Wassers (Antidiurese) und damit die Konzentrierung des Harns, daher auch Adiuretin genannt. Dabei dockt das Hormon an Rezeptoren in der Niere an und die Zellwände im Sammelrohr werden durchlässig für Wasser, was zurück ins Gewebe fundiert. Ansonsten würde die Niere enorm große Mengen sehr dünnen Harns ausscheiden, wie etwa bei Menschen mit Diabetes insipidus, die kein Vasopressin produzieren. Da diese immerhin Oxytocin produzieren, können sie trotzdem Durst empfinden.

Obwohl in ihrer Wirkung sehr verschieden, können beide Hormone mit den gegenseitigen Rezeptoren interagieren; sie teilen sich Signalwege. Crosstalk nennt man das, ein Begriff aus der Telefonie, der früher ein Nebensprechen bezeichnete, wenn man am Telefon ein anderes Gespräch leise hören konnte. Oxytocin in hohen Dosen kann wie Vasopressin in den Nieren die Rückresorption etwa von Natrium bewirken und die Harnmenge verringern.

Vasopressin wiederum interagiert mit den Oxytocin-Rezeptoren (Erickson 2019). Saugen an den Brustwarzen kann neben Oxytocin auch Vasopressin freisetzen (Suzuki et al. 2000).

Da synthetisches Oxytocin durch den Crosstalk auch die Rezeptoren von Vasopressin beeinflusst, muss die Anwendung genau bedacht werden (Carter S 2017). Ein Team um den Chemiker Prof. Markus Muttenthaler von der Universität Wien synthetisierte Oxytocin, um kardiovaskuläre Nebenwirkungen durch den Crosstalk mit Vasopressin zu reduzieren. Von zehn chemischen Verbindungen konnte sich eine beweisen: [Se-Se]-Oxytocin-OH (Muttenthaler 2017).

Muttenthaler erläutert: »Diese Verbindung ist noch in der präklinischen Phase und noch nicht am Markt. Klinisch eingesetzt könnte sie dafür sorgen, dass die Geburt geregelter und angenehmer verläuft.« Wie Oxytocin werde sie vom Körper schnell wieder ausgeschieden oder abgebaut und wirke nur so lange, wie man die Infusion gibt. Allerdings wird in dieser Studie nicht die Auswirkung auf das Stillen oder auf den kindlichen Organismus untersucht.

 

Studien über die Stillzeit

 

Mehrere neue Studien haben sich mit Vasopressin und Oxytocin während der Stillzeit befasst. Eine zeigte: Während der Laktation, vor allem beim Stillen, nahm die Menge an Vasopressin im Blut der Mutter zu. Auf den Myoepithelzellen befinden sich Rezeptoren für Vasopressin, das wie Oxytocin die Milchejektion bewirkt. Die Rezeptoren für Oxytocin reagierten ebenfalls auf Vasopressin (Amabebe 2017). Allerdings habe Vasopressin wenig Auswirkung auf die Milch-Ejektion.

Eine weitere Studie zeigte: Bei gesunden Erstgebärenden nach einer Spontangeburt verliefen die Baselines von Oxytocin und Vasopressin entgegengesetzt. Oxytocin stieg im Blut nach 20 Minuten, während Vasopressin abnahm. Mehr Oxytocin war assoziiert mit einem höheren Alter, niedrigerem BMI, kurzer aktiver und physiologischer Geburt und geringem Gewichtsverlust des Neugeborenen. Hohe Vasopressin-Werte korrelierten mit einem jüngeren Alter der Mutter, höherem BMI und größerem Gewichtsverlust der Kinder. Beide Hormone wirken konträr aufeinander (Erickson 2019). Gewünscht wurden mehr Studien dazu.

In einer anderen Studie zeigte sich ebenfalls eine vermehrte Vasopressin-Ausschüttung ins Blut während der Laktation, vor allem am Tag vor der Geburt. Fazit: Das Hormon spielt eine Rolle beim Verhalten von Stillenden. Eine zu geringe Menge wirkt sich ungünstig auf ihre Fürsorge aus. Langanhaltender Stress, wodurch zu viel Vasopressin freigesetzt wird, beeinflusst die mütterliche Fürsorge ebenfalls negativ, wie auch die Komposition der Milch. Dadurch werde die neurobiologische Entwicklung der Kinder negativ beeinflusst (Fodor 2014).

Wie die Oxytocin-Rezeptoren seien auch die Vasopressin-Rezeptoren an Störungen des Autismus-Spektrums beteiligt, so Andreas Plückthun, Professor am Biochemischen Institut der Universität Zürich.

Zur Frage, wie viel Vasopressin sich in der Muttermilch befindet, antwortet Landgraf: »Reife Muttermilch hat davon dieselbe Menge wie Oxytocin. Wegen Mangel an experimentellen Daten kann man betreffs der Wirkung nur spekulieren.«

 

Soziale Beziehungen und Gefühle

 

Neumann betont: »Die Darm-Gehirn-Achse hat einen gravierenden Einfluss auf unsere Gefühlslage und unser Sozialverhalten.« Entscheidend dafür seien die beiden Neuropeptide sowie das Darm-Mikrobiom. Inwieweit etwa das Oxytocin der Muttermilch diese komplexen Interaktionen zwischen mütterlicher Geborgenheit, der Reifung und Aktivität des körpereigenen Oxytocin-Systems und sozio-emotionalem Verhalten beeinflusst, müsse weiter untersucht werden.

Es spielt offensichtlich eine große Rolle bei Autismus, Asperger-Syndrom, sozialen Ängsten oder Suchtanfälligkeit. Neumann: »Möglicherweise gibt es angeborene, also genetisch bedingte Störungen im Oxytocin-System, oder auch in der Balance beider Neuropeptid-Systeme, die sich auf Stress-Vulnerabilität, das Risiko an einer Psychopathologie zu erkranken oder die soziale Kompetenz auswirken. Auch Erfahrungen in der frühesten Kindheit beeinflussen langanhaltend über epigenetische Wirkungen die Aktivität des Oxytocin-Systems. Daher sind mütterliche Liebe und Geborgenheit so wichtige Faktoren für ein mental gesundes Leben.« Menschen brauchten Berührungen. Werde dieser »Skin Hunger« nicht gestillt, erhöhe sich das Risiko für psychische Erkrankungen.

Dr. Sue Carter, Neurobiologin und Direktorin am Kinsey Institute an der Indiana University, erklärt, dass der Oxytocin-Vasopressin-Signalweg helfe, sich hoch emotionalen Situationen anzupassen und selektive Beziehungen zu entwickeln: »Im Zustand von Sicherheit agiert Oxytocin auf den Oxytocin-Rezeptoren. Es ermöglicht Immobilität ohne Angst, einschließlich großen sozialen Handelns und sozialer Bindungen. Mit Oxytocin kann man besser Emotionen in den Augen anderer erkennen. Es entspannt und wirkt sogar heilend.«

Vasopressin und seine Rezeptoren würden wahrscheinlich dominant werden durch Angst oder Traumen, dann wirke auch Oxytocin auf diese Rezeptoren, Angst und Aggression nähmen zu. Eine Hypermobilität oder die Verteidigung des Territoriums (Fight-Flight) werde ausgelöst. Carter: »Wenn wir Furcht empfinden, fürchtet uns alles.« Man sei so damit beschäftigt, sich selbst zu verteidigen, dass man sich nicht positiv sozial verhalten könne. Es gebe Konditionen, unter denen beide Hormone nötig seien für ein normales Verhalten. Manche der Rezeptoren seien zudem unterschiedlich bei Mann und Frau und während der Lebensspanne.

Mit Tierversuchen zeigte Carter: »Ein einziger Tag mit mehr Oxytocin kann den Vasopressin-Rezeptor und damit Aggressionen herunterfahren, dann bilden sich Oxytocin-Rezeptoren im Gehirn«. Sie zitiert aus der Bibel: »Furcht ist nicht in der Liebe, sondern nur die völlige Liebe.«

Wird also das Oxytocin-System aktiviert, werden soziale Interaktionen synchronisiert, es entsteht eine starke Bereitschaft für soziales Engagement und Liebe. Meist ist auch etwas Vasopressin dabei. Dann sind Liebe und Bindung eher selektiv. Ist sehr viel Vasopressin vorhanden, etwa bei Stress sowie bei Autoimmunerkrankungen oder entzündlichen Krankheiten, nehmen Angst und Aggression zu, soziales Agieren wird vermieden (Fodor 2014).

Prof. Andreas Plückthun hat am Biochemischen Institut der Universität Zürich soeben den dreidimensionalen Bauplan des Oxytocin-Rezeptors bestimmt. Bekannt ist nun, wie er aussieht, wenn das Wehen unterdrückende Retosiban daran gebunden ist. Der Bauplan lässt sich auf den der Vasopressin-Rezeptoren übertragen.

 

Zu viel Oxytocin?

 

Auch für Oxytocin gilt: Die Dosis macht das Gift. Zu hohe Mengen werden ineffektiv oder wirken sich gar negativ aus. Neumann: »Eine fortwährende Gabe inaktiviert zunehmend die Bindungsstellen für das Hormon im Gehirn. Das körpereigene Oxytocin kann nicht mehr normal wirken – das hätte langfristig verheerende Auswirkungen.« Tierversuche haben gezeigt, dass die Vasopressin-Rezeptoren stimuliert und die Oxytocin-Rezeptoren heruntergeregelt werden können. Dabei kann es zu erhöhter Mobilität oder Verteidigungsverhalten kommen.

Der Name Oxytocin geht auf das altgriechische Wort okytokos zurück (okys: schnell, Tokos: Geburt). 1965 plädierte der deutsche Biochemiker Prof. Dr. Peter Karlson für die Schreibweise »Ocytocin«, denn es habe ja nichts mit Sauerstoff zu tun (Oxygenium, Altgriechisch von oxys: scharf, spitz, sauer). Ganz verkehrt wäre diese Schreibweise aber nicht, da das Hormon ja auch oxidativen Stress lindern kann (Wang 2018). Im Gegensatz zu Vasopressin, der ihn auslöst, bei Durst etwa.

ForscherInnen zeigen immer mehr, wie einzigartig und vielfältig Oxytocin und Vasopressin wirken und welche wichtige Rolle die Muttermilch dabei spielt. So wenig wie möglich sollte in die fein aufeinander abgestimmten Signalwege eingegriffen werden.

Rubrik: 1. Lebensjahr | DHZ 12/2020

Literatur

Amabebe E: Review: Osmoregulatory Adaptations During Lactation: Thirst, Arginine Vasopressin and Plasma Osmolality Responses. In: Nigerian Journal of Physiol 2017. Sci. 32: 109–116. www.njps.com.ng

Bosch OJ, Neumann ID: Brain Vasopressin is an important Regulator of maternal Behavior independent of dams’ trait Anxiety. Proc Natl Acad Sci USA 2008. 105:17139–144

Cadwell K, Brimdyr K: Intrapartum Administration of Synthetic Oxytocin and Downstream Effects on Breastfeeding: Elucidating Physiologic Pathways. Nurs Res Pract 2017. 2(3): 1024. ISSN: 2572–9403
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